Ein abgedunkelter, mit Molton behangener Raum in dem zusätzlich noch ein ganz bestimmter und auch wohlbekannter Geruch in der Luft liegt, ist für ein Museum doch eher ungewöhnlich. Aber schon der Eingangsbericht in dem das Gästebuch liegt, lässt erahnen worum es sich in dieser Ausstellung handeln könnte. Schwarze Ledersofas, daneben stehen schwarze Kerzenständer mit schwarzen Stoff verziert und in der Mitte ein Sarg als Tisch, natürlich auch in schwarz, deutet dann doch sehr eindeutig in welche Richtung es gehen wird. Für den oder die ein oder andere/n szenekundige/n Freund*In der Nacht am Anfang vielleicht schon zu viel Klischee, allerdings entstehen die nicht ohne einen Funken Wahrheit. Ort des Geschehens ist Leipzig, genauer gesagt das Haus im Böttchergäßchen des Stadtgeschichtlichen Museums. Die MacherInnen haben sich das 25. jährige Jubiläum des Wave-Gotik-Treffen in Bezug zur sächsischen Messestadt als Thema für die Sonderaustellung „Leipzig in Schwarz“ vorgenommen.
„Leipzig in Schwarz“
Während die VeranstalterInnen des Wave-Gotik-Treffens – passend zur Jubiläumsausgabe – mit einem Anstieg der Besucherzahlen aufwarten konnten, gilt dies nicht für alle Veranstaltungen der schwarzen Szene im Lande. Denn nach meinem Empfinden stagniert diese seit zwei, drei Jahren. So musste beispielsweise das Blackfield Festival im Ruhrgebiet nach acht Jahren aus Kostengründen die Segel streichen. In einer für Deutschland großen Stadt wie Hannover existiert nach Schließung des Ballsaals der Finsternis kein fester Club für Gruftis mehr, sondern es finden nur noch Partyreihen statt (ähnlich wie im Herfurter Club X). In einer anderen Landeshauptstadt mit vergleichlicher Einwohnerzahl wie Dresden sind etliche Konzerte des schwarzbunten Alternativgenres nicht mehr, wie in den Jahren zuvor von den selben Bands, ausverkauft.
Was läuft da in Leipzig anderes?
Am Geld kann es nicht nur liegen, schließlich war dies mitten im Festival auch mal alle (Stichwort „Chaos-Treffen“ im Jahr 2000). Trotzdem hat das WGT überlebt und sich mittlerweile zu einem internationalen Kunst- und Kulturfestival entwickelt, was mit seinem Begleitprogramm mittlerweile sogar in der Hochkultur eingezogen ist. Es ist am verlängerten Pfingstwochenende seit etlichen Jahren das (!) Mekka der schwarzen Szene, wofür viele Besucher aus der gesamten Welt anreisen. Schließlich gibt es so ein Szenefestival, was sich über die gesamte Stadt verteilt und kein begrenztes Gelände hat, kein zweites Mal auf diesem Planeten. Ist dies vielleicht schon die Antwort? Oder hält die Ausstellung noch Weitere bereit??
„Die Grufti Gefahr“
Die Sonderaustellung „Leipzig in Schwarz“ ist in zwei Erzählsträngen aufgebaut. Der eine ist der Zeitgeschichtliche, in dem u.a. auch auf die schwarze Szene in der Deutschen Demokratischen Republik zum Teil mit Dokumenten der damaligen Staatssicherheit („Die Grufti Gefahr“) eingegangen. In der DDR war man in der kleinen Gothic-Szene auf eine aktive, verlässliche Gemeinschaft angewiesen, was dann zum Teil nach dem Fall der Mauer mit ausschlaggebend für die ersten WGTs war. Thematisiert wird ebenso das sogenannte „Chaos-Treffen“, wo dem damaligen Veranstalter während des Festivals das Geld ausgegangen war, einige Bands aus Sorge im ihre Gage wieder abgereist sind. Andere sind dafür ohne Auftrittsgelder trotzdem auf die Bühne getreten und ein Teil des Publikums hat sich einfach selbstorganisiert, sich um Einlass, Security & Co. gekümmert. Gleichzeitig konnte dadurch das Festival halbwegs gut und vor allem friedlich zu Ende gebracht werden. Meiner Meinung hat sich die schwarze Szene damit selbst ein ganz großer Kompliment gemacht, das wäre bei keinem Festival anderen Subkulturen, egal ob Electro, HipHop oder Metal, so stressfrei abgelaufen.
Wie schon erwähnt spielt die Ausstellung manchmal auch mit Klischees und macht sich damit aber nicht nur für den kundigen WGTler, sondern gleichermaßen für den ‚normalen Bürger’ Leipzigs interessant, welcher sich (vielleicht immer noch) fragt, was da eigentlich jedes Jahr zu Pfingsten in ‚seiner Stadt’ abgeht. Es gab vor der Eröffnung Aufrufe unter den Freunden der Nacht durch die Ausstellungsmacher diverse Utensilien als Leihgabe zur Verfügung zu stellen.
Eben wegen dieser Fotos, Eintrittskarten, Kleidungsstücke, LPs, Plakate, Schuhe, Videos und anderen Andachtsgegenstände von Privatpersonen wird „Leipzig in Schwarz“ sehr persönlich – was damit auch den zweiten Erzählstrang erkennen lässt. Dem Besucher wird ein umfassender Einblick in die Gothic-Kultur gegeben und zeigt, dass diese nicht nur aus Kleidung, Literatur und Musik besteht, sondern eben auch Kunsthandwerk, Oper bzw. Theater beinhaltet – spontan kommt mir da während des Museumsbesuches die Steampunk Oper mit Coppelius in Gelsenkirchen oder die Wagner-Inszenierung mit Apocalyptica eben in Leipzig als Gedanke auf. Selbst spezielle Gottesdienste sind während des Festivals Teil des Begleitprogramms. Deshalb finden ebenso Themen wie Leben/Tod, Krieg/Religion oder Sex und der verschiedene Umgang in der schwarzen Szene damit Platz in der Ausstellung.
Schaut man ein wenig genauer hin, dokumentiert „Leipzig in Schwarz“ in Ansätzen aber auch, dass aus dem Treffen mit einer gewissen gegengesellschaftlichen Haltung eine stark kommerzielle Veranstaltung geworden ist, welche nicht nur über die ganze Stadt verteilt ist, sondern von vielen Gewerbetreibenden dieser gerade bzw. nur deshalb sehr geschätzt wird. Mit mehrmaligen Aussagen des derzeitigen Veranstalters in Interviews komplett unpolitisch zu sein, könnte der ein oder die andere auf bösen Hintergegangen kommen, dass das Wave-Gotik-Treffen in den letzten Jahren über Pfingsten zu einem reinen Abfeiern von sich selbst geworden ist, quasi der Rosenmontagsumzug der schwarzen Szene.
Die Eröffnung des diesjährigen Jubiläums-WGTs in einem Freizeitpark ist da nicht gerade ein entkräftendes Argument. Vor 25 Jahren musste man sich aus der großen Kiste die einzelnen Bausteine des weltbekannten Herstellers aus Dänemark für eine Ritterburg noch selbst zusammensuchen, mittlerweile ist so ein Teil als Komplettset käuflich zu erwerben – und steht zusammengebaut u.a. in einer Vitrine im Eingangsbereich des Stadtgeschichtlichen Museums von Leipzig. Sowie es ein Unterschied ist ob ich mir einen Film im laufenden Fernsehprogramm anschaue oder mich für den ganz bestimmten Film auf den Weg ins örtliche (Programm)Kino mache. Ist es ebenso ein Unterschied, ob das jeweilige WGT-Outfit Anfang der 90er selbst zusammengestellt bzw. -genäht oder heutzutage komplett im Set von der Stange erworben wurden ist.
Der Grad zwischen Kreativität und Kommerz wird eh immer ein Schmaler bleiben und was in die Musik gilt, gilt ebenso für das Festival im Allgemeinen bzw. die/den WGTler/in im Einzelnen. Eine Szene, welche oft behauptet sich immer kritisch mit Gesellschaft bzw. Kultur auseinander zusetzten, müsste dies im Umkehrschluss auch mit sich selbst tun. Dies fehlt meiner Meinung nach manchmal, aber dafür bietet beispielsweise eben diese Ausstellung des Leipziger Museums Platz.
Für meinen Geschmack hätten es noch ein, zwei Ausstellungsräume mehr sein können. Die vorhandenen Sitzmöglichkeiten laden zum Verarbeiten, Innehalten, Resümieren und Verifizieren des Gezeigten ein. Fehlen allerdings an der Stelle, wo auf einer Leinwand in Bild und Ton Festival-Impressionen flimmern, verweilt man dort, steht man eher den anderen Besuchern im Weg. Aber um auf die eingangs gestellte Frage, was da in Leipzig anders läuft, zurück zu kommen, ergeben sich vielleicht zwei, drei Motive.
Ein Grund ist sicherlich die ausgeprägte Untergrund-Szene mit entsprechenden Clubs bzw. Veranstaltungen, welche auch schon zu DDR-Zeiten existierte. Mit einer guten halben Million Einwohner ist die Stadt weder zu klein noch zu groß und dann müssen die Leipziger Bürger irgendwie einfach eine gewisse Aufgeschlossenheit als Messestadt in sich haben, schließlich gibt es etliche WGTler, welche extra wegen dem Festival gleich komplett nach Leipzig umgezogen sind.
Auch wenn die friedliche Revolution vor dem Fall der Berliner Mauer schon in anderen Städten wie Dresden begonnen wurde, so richtig gezündet haben die Montagsdemonstrationen erst ausgehend von denen, die damals rund um die Nikolaikirche statt fanden. Ob es am Leipziger Allerlei liegt kann ich nicht beurteilen, aber irgendwas scheint in der Luft der Leipziger Tiefebene zu liegen.
Da die Sonderaustellung „Leipzig in Schwarz“ im Stadtgeschichtlichen Museum aber noch bis Ende Juli zu sehen ist, sind natürlich jede bzw. jeder eingeladen sich selbst eine bildende Meinung zu machen. Dies gilt für alle (Leipziger) Normalos, WGTler im Allgemeinen oder Altgruftis, Dunkel-Romantiker mit mittelalterlichen bzw. viktorianische Bezug, Cyber Goths, Uniform/Tarnsachenanzieher, Ledermantelträger, Fetisch-Fans, Dunkel bzw. Steam Punks Im Speziellen und alle anderen Freunde der Nacht mit alternativen, schwarzbunten (Musik)Geschmack. „Abr ohne Schwarz geeht’s hald och ni!“
Links:
www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de
www.wave-gotik-treffen.de