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Most Wanted: Michael Gs musikalischer Jahresrückblick [2024]

Eigentlich müsste ich über das Jahr 2024 nur negatives schreiben: Politische Vollkatastrophen, immer mehr Kriege, Unglücke, Ignoranz und Idiotie. Privater Natur ist auch vieles so turbulent, dass es einen an die äußersten Grenzen bringt. Vor allem: Nur kurz nach Jahresbeginn wird mein Vorsatz aus dem letztjährigen musikalischen Jahresrückblick schnell zunichte gemacht (so viele Bands noch live zu sehen, so lange sie noch existieren, generell auftreten oder bevor die Musiker*innen traurigerweise die Bühne (des Lebens) für immer verlassen), denn Magnum-Mastermind Tony Clarkin verstirbt und ich habe nicht mehr die Möglichkeit ihn mit seiner Band auf der Bühne zu sehen. Verdammt!
Dass auch weitere traurige Verluste folgten, brauche ich nicht weiters aufzählen, wobei der Tod vom ehemaligen Iron Maiden-Sänger Paul Di´Anno (der die ersten beiden Platten der Band einsang, ohne die, die heutige (Heavy) Metal-Welt nicht die wäre, die sie ist) sehr bitter ist und betroffen macht. Glücklicherweise durfte ich ihn noch anno 2022 in Würzburg auf dem Keep It True Rising mit einem Iron Maiden-Set erleben. Für mich unvergesslich…

Dennoch habe ich im Allgemeinen ein überwiegend positives Bild von dem Jahr 2024. Denn, wo viel Schatten ist, gibt es auch viel Licht. Es gab einige private, berufliche und (das ist hier das vordergründliche Thema) musikalische Glanzlichter, die einen mit (teils) funkelnden Augen zurückblicken lassen. Mal abgesehen von Großereignissen wie den Adele-Konzerten (die ich aber nicht beigewohnt habe), dem überraschenden und gelungenen Comeback von Linkin Park oder Gojira bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele (wie genial, grandios und ehrenhaft ist das bitte?), hat das Jahr viele spektakuläre Konzerte geboten. Zwar habe ich das Live-Musik-Pensum nicht ganz dem Vorjahresniveau gegenüber erreicht („nur“ fünf Festivals, 18 Einzelkonzerte besucht und dabei insgesamt circa 179 Bands gesehen), aber dennoch einiges auf die Kette bekommen. Sich da auf nur ein einziges Live-Highlight zu einigen, ist schier unmöglich. Dafür ist die Auswahl mit AC/DC, Rammstein, Nestor, Long Distance Calling, Electric Callboy, Judas Priest, Alice Cooper, Dritte Wahl, Metallica, Eternal Champion, Toto, In Flames uvm. zu groß und auch zu breit gefächert.
Und nun starre ich auf meinen Bildschirm und überlege, welche Themen ich für meine Top 3 wählen soll. Ich kann mich auf kein Konzert einigen, Festival zwar schon (Keep It True Rising – mega!), aber welche Punkte soll ich noch wählen? Bester Newcomer? Hm, da haben Sabïre für mich die Nase vorn gegenüber u.a. Amethyst, Writhen Hilt, Aiwaz, Thriller oder Mechanic Tyrants.
Aber es juckt mich in den Fingern über etwas anderes zu schreiben. Es ist zwar „nur“ eine schlichte Liste, aber sie ist umso ausdrucksstärker: Meine Top 3 Alben des Jahres! Here we go:

Album des Jahres: Platz 1 Nestor – „Teenage Rebel

Nestor – Teenage Rebel Albumcover

Nichts, aber auch gar nichts, kommt dieses Jahr an diesem Hit-Feuerwerk vorbei. Die nicht mehr ganz so jungen Schweden haben vor drei Jahren mit ihrem Debütalbum „Kids In A Ghost Town“ nicht nur meinen damaligen Newcomer des Jahres markiert, sondern da schon ein nahezu perfektes Werk abgeliefert, das bis heute regelmäßig in meinem Player rotiert. Das Zweitwerk „Teenage Rebel“ klingt zwar minimal anders (breiter aufgestellt mit wärmeren und „fetteren“ Sound), aber man agiert erneut auf enorm hohen Hit-Niveau, ohne dabei in den Kitsch abzudriften. Wer AOR, Melodic Rock bzw. melodischen Hard Rock mit gewisser Pop-Affinität liebt, der ist bei Nestor goldrichtig.
Was diese Band so besonders macht ist nicht nur ihre Bandgeschichte (1989 als Teenager-Band gegründet, nach ein paar Jahren aufgelöst, etwa 2020/2021 reformiert um den damaligen Zeitgeist mit Spaß an der Sache erneut aufleben zu lassen), sondern auch der verdiente Aufstieg und Erfolg der Band. In ihrer Heimatstadt Falköping sind sie hoch angesehen, haben inzwischen auch ihr eigenes Festival (Nestor-Fest), gehen weiterhin ihren bürgerlichen Berufen als u.a. Polizist, Grundschuldirektor oder Computerspiele-Entwickler/Komponist nach und sind dabei so sympathisch bescheiden geblieben und authentisch, dass man diese Jungs einfach nur lieben kann. Wem dies nicht ausreicht, den kann man nur auf Sänger Tobias Gustavsson verweisen (Fun Fact: Tobias lebte eine Zeitlang in Deutschland und war als Songschreiber für die No Angels tätig.). Mit seiner Stimme nimm er einen gefangen und singt live umwerfend. Dabei sind die Hits von „Teenage Rebel“ alles andere als anspruchslos. Ich könnte jeden einzelnen Song als Beispiel nennen, aber um die herausragende songwriterische Qualität hervorzuheben sei nur „Caroline“ genannt, dessen Mitsang-Part am Ende Gänsehaut verursacht. Und seinen wir mal ehrlich: Welche KünstlerInnen und Künstler in der heutigen Pop-Welt kreieren weder so einen Part, geschweige erzeugen so ein Gefühl? Eben, niemand.
Apropos Gefühle: Es mag sein, dass manch einer monieren mag, dass die Musik von Nestor nicht innovativ sei, weil sie den Zeitgeist der 80er/90er widerspiegelt und sie in die heutige Zeit „zerren“. Aufgrund ihrer Geschichte ist dies natürlich so, aber um einen Satz aus dem Intro „The Law Of Jante“ zu zitieren: „FUCK THAT!“. Ihre Musik berührt, man fühlt sich damit verbunden, sie ruft Erinnerungen wach und man kann nahezu nachempfinden, wie sich die (einstige) Teenagerzeit, Jugendromanzen und sommerliche Abende am Strand/Lagerfeuer (in Schweden) angefühlt hat. Absoluter Respekt!
Diese Platte ist erneut nahe an der Perfektion und ist nicht nur das Sommeralbum des Jahres (wegen der auslösenden Emotionen und musikalischen Klasse der wärmenden Melodien), sondern auch das Album des Jahres!

Album des Jahres: Platz 2 Blood Incantation – „Absolute Elsewhere“

Bloos Incarnation – Absolute Elsewhere Albumcover

Dieses Album ist ein absolutes Monster! 08/15-Spotify-Höhrer sind hier sowas von Fehl am Platz, denn dieses Werk ist etwas für Genussmenschen. Blood Incantation aus Denver, Colorado haben sich in den letzten Jahren schon einen exzellenten Ruf erspielt, da sie nicht nur eine spielerische Klasse an den Tag legen, sondern auch auf einem besonderen Wege innovativ sind. Und diese Entwicklung gipfelt aktuell in ihrem Magnum Opus „Absolute Elsewhere“. Eine Kombination aus Death Metal, Progressive Metal und Krautrock (!) zu erschaffen, die künstlerisch höchst anspruchsvoll ist und dabei dennoch einen spannungsgeladenen Fluss in den beiden überlangen Songs (20 und 23 Minuten lang) zu kreieren, überragt in der derzeitigen (Metal-)Musikszene heraus!
Im Vorfeld zu diesem Album wurde Großes prophezeit. Seitdem diese geniale Platte erhältlich ist, läuft sie regelmäßig bei mir und wächst mit jedem weiteren Hördurchlauf. Das spannende an „Absolute Elsewhere“ ist, dass sie zu keiner Zeit langweilig wird, bei jeder weiteren Rotation bemerkt man neue Facetten und viele Parts machen auf Dauer regelrecht süchtig, dass man sie (erneut) hören will. Langatmig sind die beiden Tracks absolut nicht, dafür wird viel abwechslungsreiches, aber sehr aufregendes geboten, was fasziniert. Man muss sich natürlich diese Scheibe ein wenig erarbeiten (auch wenn für Spotify-Hörer die Songs in jeweils drei Teile „aufgeteilt“ wurde, als die sogenannten „Tablets“), aber ist man in dieser famosen Klangwelt angekommen und eingetaucht, möchte man sie auch nicht mehr verlassen.
Dass hier (Musik-)Nerds am Werk sind, ist jederzeit hörbar. Ebenso wie die Aufnahmen in den berühmten Hansa Tonstudios in Berlin stattfanden, passt hier perfekt. Last but not least: Gastmusiker von Sijjin, Hällas und Tangerine Dream (!) mit an Bord zu haben, die sich superb in den Klangteppich einfügen, runden das Gesamtbild weiter ab.
Es ist absolut nicht verwunderlich, dass „Absolute Elsewhere“ für viele Szenekenner das Album des Jahres darstellt. Was die Innovation, Kreativität und Klasse dieser Scheibe anbelangt, unterstreiche ich zu 100%. Es ist jetzt schon ein wegweisender Klassiker und hat die Messlatte für zukünftige Alben enorm hochgelegt. Warum es aber nicht mein persönliches Album des Jahres geworden ist? Ich bin ein Gefühls- und „Hit“-Mensch. Emotionen löst „Absolute Elsewhere“ definitiv auch in mir aus, aber man muss sie als Gesamtkunstwerk betrachten. Es gibt hier keinen „Hit“ (braucht es definitiv auch nicht), aber die unabdingbaren Ohrwürmer von Nestor sprechen mich noch einen ticken mehr an. Anders ausgedrückt: Betrachtet „Absolute Elsewhere“ als ein Stück klassischer Musik von Mozart und das Nestor-Album „Teenage Rebel“ als einen Klassiker von ABBA. Beides grandiose musikalische Kunst, aber nach was greift ihr eher?

Album des Jahres: Platz 3 Chapel Of Disease – „Echoes Of Light“

Chapel Of Disease – Echoes Of Light Albumcover

Man könnte meinen, nach den Lobhuldigungen der beiden Plätze davor, kann das nun folgende eigentlich nur abstinken dagegen. Falsch! Dieses Jahr erschien so viel anspruchsvolle und künstlerische Musik, dass der Kampf um Platz 3 härter umkämpft wurde. Doch gegen weitere Anwärter wie Bruce Dickinson, Opeth oder auch Necrophobic setzten sich Chapel Of Disease mit ihrem Album „Echoes Of Light“ durch.
Innovativ ist auch bei Chapel Of Disease Programm, denn die Band um Laurent Teubl, hat mit dem Vorgänger-Werk „…And As We Have Seen The Storm, We Have Embraced The Eye“ (2018) bereits eindrucksvoll Death Metal mit (Classic) Hard Rock kombiniert und eine eigenständige Mischung erzeugt, die viele Münder offen stehen ließ. Ich dachte erst, dieses Konzept wird noch weiter verfeinert und auf die „Spitze“ getrieben, aber Laurent entschied sich anders und fügte progressive Elemente hinzu (stellenweise mit einem Hauch Psychedelic) und schraubte dafür den Hard Rock-Part etwas zurück. Grenzen würden überschritten, Klang- bzw. Traumwelten erschaffen und Emotionen hervorgerufen, die zu Tränen rührt. Wer das nicht glaubt, der braucht nur den Übersong „A Death Though No Loss“ anzuhören.
Kurz vor Veröffentlichung von „Echoes Of Light“ kam der Schockmoment: Laurent Teubl und der Rest der Band gehen einvernehmlich getrennte Wege. Laurent führt die Band weiter, hat sich für die Live-Aktivitäten befreundete Musiker mit ins Boot geholt und konnte u.a. auf dem Braincrusher In Hell-Festival in Hirschaid auftreten. Dass dieser Gig für mich magisch war, muss man nicht explizit erwähnen (ähm, oops). Wie bzw. mit wem es mit Chapel Of Disease weitergeht, ist noch nicht bekannt, aber ich hoffe sehr, dass die passenden Mitstreiter gefunden werden. Nicht nur weil ich auf die weitere musikalische Entwicklung rund um Laurent Teubl gespannt bin, sondern weil ich die Tracks von „Echoes Of Light“ nochmal live hören möchte.

Musikalischer Vorsatz für 2025:

Hier kann ich es kurz und knapp machen und habe den gleichen Vorsatz wie letztes Jahr. Ich hoffe nur, dass es nicht gleich wieder nach Jahresbeginn hinfällig ist. Nächstes Jahr kommen nämlich einige interessante Bands auf Tour, die man gerne mal live sehen möchte. Ich sage nur Savatage…

Als Teil unserer Beitragsreihe Reingehört haben unsere Redakteur*innen Monat für Monat ihre Lieblingssongs in unserer Spotify Playlist bs! Songs Of 2024 gesammelt und daraus einen zufällig ausgewählten Song am Ende des Monats kurz und knapp reviewt.

Die Top 3 Songs des Jahres 2024 von Michael G. sind (in unspezifischer Reihenfolge):
– Nestor: „Caroline“
– Chapel Of Disease: „A Death Though No Loss“
– Unto Others: „Suicide Today“

Wenn ihr Wissen wollt was unsere Redaktion dieses Jahr sonst so gehört und gefeiert hat dann schaut gerne in die anderen Jahresrückblicke unserer Redakteur*innen rein oder checkt unsere Spotify Playlist bs! Songs Of 2024 mit allen Lieblingssongs 2024 aus.

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