Gegen Ende eines jeden Jahres schwirrt mir der Porcupine Tree-Song „Time Flies“ im Kopf herum. Nicht nur weil es ein guter Track ist, sondern auch aufgrund des Titels, der mich dann wieder realisieren lässt, wie schnell 12 Monate vergangen sind und es zeit wird, sich wieder Gedanken für den Jahresrückblick zu machen.
Gesagt, getan! So muss ich gestehen, dass das Jahr 2023 nicht wirklich berauschend war. Es bestehen immer noch zu viele Konflikte auf der Welt, weitere Kriege kamen hinzu, viele Entscheidungen die eigentlich etwas Positives bewirken sollten, wurden nicht wirklich durchdacht und erzielten ihre Wirkung in die falschen Richtung. Die Welt wird unsicherer und wir rücken der Apokalypse immer ein Stückchen weiter entgegen. So ist die Kunst- und Unterhaltungsbranche ein passender Zufluchtsort um diesen Wahnsinn für ein paar Stunden vorübergehend zu entfliehen. Doch leider regiert hier auch nicht eitel Sonnenschein: Konzertabsagen, gestiegene Kosten und der Einsatz von KI bedroht die künstlerische Freiheit bzw. Kreativität. Noch schlimmer ist es, wenn dann auch noch Persönlichkeiten im (verhältnismäßig) jungen Alter unerwartet versterben, die für einen persönlich einen hohen Stellenwert hatten, da sie z.B. einen Seriencharakter verkörperten, mit dem man sich (einst) identifizieren konnte (Rest in Peace, Matthew Perry!). Was stets ein hervorragendes und zuverlässiges Hilfsmittel gegen (Welt)Schmerz ist, ist Musik. Genauer gesagt, gute Musik! Zugegeben, ganz so überragend ausgefallen wie das Vorjahr, ist das Musikjahr 2023 nun nicht. Natürlich sind viele richtig gute Scheiben veröffentlich worden, aber die ganz großen Überflieger waren nur in sehr kleiner Anzahl vorhanden und somit überschaubar. Aber trotz aller Negativbeispiele, gab es genügend positive Erlebnisse und Lichtblicke, die da wären:
1. Album des Jahres: Sorcerer – „Reign Of The Reaper“
Kann mich mal bitte jemand kneifen? Ich träume doch! Was? Ich bin wach? Es ist wirklich wahr? Der Wahnsinn! Die schwedischen Epic Doom-Metaller haben mit ihren letzten beiden Alben („The Crowning Of The Fire King“ (2017) und „Lamenting Of The Innocent“ (2020)) mein Album des (jeweils damaligen) Jahres veröffentlicht. Man macht den Hattrick perfekt und konnte sich dabei gegen potenzielle Titelanwärter á la High Spirits, Wytch Hazel, Fifth Angel, Ray Alder, The Night Eternal oder Riverside (die rund 10 Monate lang mein Ranking „Album des Jahres 2023“ anführten – Ende Oktober kamen dann Sorcerer ins Spiel) durchsetzen (das muss man wirklich erst mal schaffen…).
Man stellt sich unweigerlich die Frage, wie haben sie das geschafft? Nun, wenn man einen Sänger, in Form von Anders Engberg, der eine wundervolle Stimme inne hat und auch weiß damit umzugehen (Epik, Drama, Schmerz, Tragik, Freude – er kann alles stimmungsvoll umsetzen!), der hat schon mal gute Karten. Dann befindet sich in deren Reihen die beiden genialen Gitarristen Kristian Niemann und Peter Hallgren, die mit ihren Finger schier magische Melodien zaubern, die einem Gänsehaut verpassen. Und dann natürlich diese Songs, die in der ausgewogenen Schnittmenge aus Epic-, Doom- und Heavy Metal die nahezu perfekte Balance finden. Man höre sich nur mal den Opener „Morning Star“ und den Titeltrack an, dann weiß man was Sache ist. Be-ein-druck-end!
2. EP des Jahres: Ghost – „Phantomime“
Normalerweise bin ich nicht so der große EP-Konsument, aber im Falle Ghost musste es sein. Und es lohnt sich absolut! Ich bin seit Jahren Fan der Band (hüstel…) bzw. Mastermind Tobias Forge und als bekanntgegeben wurde, dass (nur) eine EP erscheint, war die Freude groß (ein vollwertiges Album wäre mir zwar lieber gewesen, aber lieber eine EP, als gar nichts). Nun aber die Krux an der Sache: Es ist eine reine Cover-EP! Normalerweise lassen mich solche Angelegenheiten vollkommen kalt, denn ich halte generell nicht viel von Cover-Versionen. Allein 90% der nachgespielten Versionen, egal aus welchen Gründen ein(e) Künstler*innen andere Künstler*innen neu vertont oder auch was man damit bezwecken will, sind absolut unnötig. Doch die Ausnahme bestätigt die Regel: Mir fallen nur eine handvoll Bands ein, bei denen Cover-Versionen interessant, gelungen und auch, ja, das meine ich ernst, sinnvoll (!) sind. Neben Heaven Shall Burn und Volbeat, sind das Ghost. Alle drei Bands einigen sich diesbezüglich mit dem gleichen Hintergrund: Die Songs, die sie neu interpretieren sind Einflüsse, die sie in ihren eigenen Tracks mit der eigens kreierten Sound-DNA verinnerlicht haben. Soll im Falle Ghost heißen: Im Sound von Ghost findet man zuvor schon Elemente von Bands wie Iron Maiden, Tina Turner, Television, Genesis oder den Stranglers. Alle grundverschieden, aber dennoch erkennbar.
Was habe ich „Phantomime“ in den warmen Monaten rauf und runter gehört. Allein der Genesis-Track „Jesus He Knows Me“ passt in das Konzept von Ghost wie Arsch auf Eimer. Auch „Hanging Around“ (The Stranglers), „We Don´t Need Another Hero“ (Tina Turner – R.I.P.!) und „See No Evil“ (Television) sind im ersten Moment vielleicht eher untypische, aber dennoch absolut passende Nummern im Ghost-Kontext. Aber die Mammutaufgabe, die Tobias Forge sich auferlegt hat, heißt „Phantom Of The Opera“. Es gehört sich nicht, u.a. diesen Iron Maiden-Klassiker zu covern (auf sowas steht eigentlich die Todesstrafe…), denn die Gefahr ist viel groß, dass man es nur verhunzt. Aber bei Satan, es ist richtig gut geworden, obwohl Tobias Forge natürlich kein Paul Di ´Anno ist. Die Instrumental-Sektion ist richtig stark geworden! Man sieht, man kann in Ausnahmefällen auch einen riesen Spaß mit Coverversionen haben. Den hatte ich, denn Ghost haben es mit der Cover-EP „Phantomime“ möglich gemacht.
3. Taubertal Festival/The Baboon Show
Last but not least, muss an letzter Stelle die vielen tollen Konzerte und Festivals genannt werden, die man besucht hat (gerade weil sie möglich sind). Wenn ich auf meine persönliche Statistik für 2023 blicke, kann ich mich unmöglich auf nur ein einzelnes Konzert/Festival einigen, das alle anderen überstrahlt haben soll (nur zur Verdeutlichung: 6 Festivals und 28 Einzelkonzerte besucht und dabei circa 193 Bands live gesehen). Darunter waren Bands wie Kiss, Def Leppard, Mötley Crüe, Rammstein, Ghost, Heaven Shall Burn, Long Distance Calling, Soilwork, Dream Theater, Heathen, Overkill, Obituary, Powerwolf, Trivium, In Flames, Flotsam And Jetsam, Sorcerer, Metal Church, Sacred Reich, Watchtower, Pantera, Scorpions, Uada, Imha Tarikat, Accept, usw… Man sieht, es ist einfach unmöglich bei so einer Auswahl nur eines als „besonders“ zu benennen. Es wäre absolut unfair und somit den anderen nicht gerecht.
Daher wird Trick 17 angewendet: Ich hebe das Taubertal Festival hervor, da ich dort seit mehr als 10 Jahre zugegen bin und meist (in anderen Funktionen) gearbeitet habe. Dieses Jahr war ich aber das erste Mal mit Kamera in den Fotogräben vor Ort. Dies hatte ein ganz neues und „spezielleres“ Gefühl für mich bereit: Favorisierte und für mich besondere Interpreten bzw. Persönlichkeiten NOCH näher zu sein und sie bei ihrer musikalischen Ausübung zu fotografieren. So entstand beim besten Auftritt des kompletten Festivals auch mein Lieblingsbild, das von The Baboon Show-Sängerin Cecilia Boström:
Dieses Foto spiegelt von seiner Ausstrahlung her perfekt die Show wieder: Energiegeladen, dreckiger Hard Rock gepaart mit rotzigem Punk, vollem Körpereinsatz, Ausstrahlung und mit Hits, bei denen man sich die Kleider vom Leib reißen möchte. Dieser Auftritt hat bewiesen, dass man als („kleinere“) Band keine aufwendigen Bühnenbilder, einstudierte Choreos, teure Pyrotechnik oder besondere Showeinlagen braucht, um ordentlich beim Publikum zu punkten. Wenn man herausragende Musik komponiert, mit Seele und Spielfreude diese performt und dabei mit Charisma (und ggf. Humor) einen gefangen nimmt, dann hat man auch gewonnen. Und, wie in diesem Fall, den besten Auftritt eines Festivals.
Musikalischer Vorsatz für 2024:
Wir werden ja alle nicht jünger. Daher habe ich mir vorgenommen, so viele Bands noch live zu sehen, so lange sie noch existieren, generell auftreten oder bevor die Musiker*innen traurigerweise die Bühne (des Lebens) für immer verlassen. Wir haben dieses Jahr schon viele wichtige, besonderen und einflussreiche Persönlichkeiten verloren. Von Tina Turner, Jeff Beck, Bernie Marsden, Kevin Walker, Gary Rossington über Algy Ward, Majk Moti, Jim Durkin, Kirk Arrington, Matt Vinci und Jeff L´Heureux bis hin zu Steve Riley, Myles Goodwyn, Shane MacGowan und Charlie Dominci. Man solle sich lieber daran erfreuen, dass die jeweilige Künstler*innen unter uns weilen. Let´s go to more concerts!
Als Teil unserer Beitragsreihe Reingehört haben unsere Redakteur*innen Monat für Monat ihre Lieblingssongs in unserer Spotify Playlist bs! Songs of 2023 gesammelt und daraus einen zufällig ausgewählten Song am Ende des Monats kurz und knapp reviewt.
Die Top 3 Songs des Jahres 2023 von Michael G. sind (in unspezifischer Reihenfolge):
– Sorcerer: „Morning Star“
– Riverside: Friend Or Foe?“
– The Night Eternal: „In Tartarus“
Wenn ihr Wissen wollt was unsere Redaktion dieses Jahr sonst so gehört und gefeiert hat dann schaut gerne in die anderen Jahresrückblicke unserer Redakteur*innen rein oder checkt unsere Spotify Playlist bs! Songs of 2023 mit allen Lieblingssongs 2023 aus.