Most Wanted: Michael Gs musikalischer Jahresrückblick [2022]

Sind denn wirklich 12 Monate seit dem letzten Jahresrückblick schon wieder vorbei? Ach Kinners, wie die Zeit vergeht…
Also gut, dann werfe ich mal einen Blick auf das vergangene Jahr zurück: im Grunde war 2022 geprägt von Extremen. Die weltpolitischen, Pandemiebedingten und sozialen Extremen brauche ich gar nicht näher schildern, da diese uns tagtäglich um die Ohren gehauen wurden und (traurigerweise) immer noch werden. Die Lauscher brauchten daher eine regelmäßige Erholung davon und was eignet sich am besten dafür? Richtig, Musik! Auch in unserem liebsten Metier haben wir gewisse Extremen erlebt. Zum einen ausverkaufte Großveranstaltungen, zum anderen reihenweise Absagen von Touren kleinerer Bands, auf Grund von Kostenexplosionen, Planungsunsicherheiten und ausbleibenden bzw. zu niedrigen Ticket-Vorverkäufen. Dazu die tragischen Verluste (u.a. Meat Loaf, Boris „Yellow“ Pfeiffer, Taylor Hawkins, Trevor Strnad, Steve Grimmett, Dan McCafferty), aber auch Erfolgsgeschichten (u.a. Rammstein und Electric Callboy). Gab es auch etwas dazwischen? So gesehen ja, denn Monat für Monat sind Alben erschienen die mal mehr, mal weniger begeisterten. Die Wahl für mein Album des Jahres steht fast seit Beginn des Jahres schon fest, denn auch wenn noch einige sehr starke Platten auf den Markt kamen, hat keines davon das absolute Highlight schlagen können. Vorhang auf für…

1. Album des Jahres: Ghost – „Impera“

In meinem Review zu „Impera“ habe ich das Wichtigste bereits zusammengefasst und kann auch nichts weiteres mehr dazu sagen (zum Nachlesen: HIER). Haha, reingelegt! Rund neun Monate später gibt es natürlich weitere Punkte zu diesem Album zu sagen. In erster Linie zeigt dieses geniale Werk nach unzähligen Durchläufen (ich habe wirklich keine Ahnung wie oft ich „Impera“ gehört habe, aber es war verdammt oft!) keine Abnutzungserscheinungen (so muss das sein!) und immer wieder wechseln die favorisierten Hits. Egal ob „Watcher In The Sky“, „Kaisarion“, „Call Me Little Sunshine“, „Darkness At The Heart Of My Love“ oder „Spillways“, diese Ohrwürmer erspielen sich regelmäßig einen Platz in den Gehörgängen. Catchiness trifft auf emotionale Tiefe, Pathos auf musikalische Vielfalt und konzeptioneller Glanz auf ausgetüftelter Showdarbietung.
Eine herausragende Platte, das sich gegen die neuen Scheiben von u.a. Soilwork, Long Distance Calling, Rammstein, Audrey Horne, Sumerlands, Electric Callboy, Machine Head, Kreator, Threshold, Riot City, Amorphis und vielen anderen (wenn auch teilweise nur sehr knapp) durchsetzen konnte.

2. Keep It True Rising II – Festival bzw. Konzerte/Festivals allgemein

Ich denke viele von uns werden es als ein Jahreshighlight ansehen, dass Konzerte bzw. Festivals im normalen Umfang und Ablauf stattfinden konnten. Für mich war es definitiv eine Befreiung und im Laufe der Monate eine regelrechte „Live-Orgie“. Ich war noch nie so oft auf Konzerten und Festivals wie in diesem Jahr. Es wurde schier eine „Sucht“, sobald man ein Konzert besucht hatte, begann man schon das nächste Event zu planen. Geboten wurde genug, da viele Veranstaltungen wegen Verschiebungen (endlich) nachgeholt wurden und auch die Bands an jeder Steckdose spielten, die sich Ihnen noch irgendwie angeboten hatte. Vor allem die Spielfreude vieler Bands merkte man an, ebenso wie Freude und Lust auf Live-Musik seitens des Publikums.

Ich zelebrierte diese Live-Erlebnisse in schwindelerregend hoher Ekstase mit Bands wie Sacred Reich, Secrets Of The Moon, Heaven Shall Burn, Ignite, Audrey Horne, Rammstein, Dritte Wahl, The Night Flight Orchestra, Iron Maiden, Ghost (gleich 2x auf ihrer Tour), Watain, Rose Tattoo, Judas Priest, Powerwolf, Airbourne, (Dolch), Bölzer und noch vielen mehr. Und weil das nicht gereicht hat, mussten auch noch Festivals mitgenommen werden wie Rock im Park, Lieder am See, Taubertal Festival, Summer Breeze oder dem Hammer Of Doom XV.

Aber auch wenn alle genannten Konzerte und Festivals für sich grandios waren, gab es ein Festival, das überstrahlt hat: das Keep It True Rising II-Festival. Die erste Ausgabe im Jahr davor war schon besonders (nicht nur wegen der Pandemie-Situation zu dieser Zeit), aber dieses Festival war ein Sahnestück. Ein Line-Up das die NWOBHM (New Wave Of British Heavy Metal) huldigt und dabei Bands holen konnte, mit Special Shows, die zum Niederknien sind und auch waren. Dazu jüngere Gruppen, die genretechnisch artverwandt sind und die absolut das Potenzial haben noch richtig groß zu werden. Und last but not least eine Tribute-Show für Steve Grimmett (Grim Reaper – er sollte selbst auf dem Festival performen, verstarb aber leider rund eineinhalb Monate vorher), die nicht nur sehr emotional war, sondern auch eine Darbietung bot, die seinesgleichen suchte.
Weil es so schön war, gibt es noch einmal das Line-Up zum auf der Zunge zergehen lassen: Saxon (40th Anniversary-Setlist), Venom Inc. („Return To Hammersmith 1984“-Stage Show), Riot V („Thundersteel“-Setlist plus Classic Set), Diamond Head („Lightning To The Nations“-Setlist), Paul Di´Anno (Iron Maiden-Setlist), Steve Grimmett´s Grim Reaper Tribute Show, Holocaust („The Nightcomers“-Setlist), Tygers Of Pan Tang, Satan, Tyrant, Kevin Riddles´ Baphomet („Angel Witch“-Setlist), Cloven Hoof, Gravestone, Mythra, Tytan, Saracen, Quartz, Torch, Witch Cross, Wytch Hazel, Riot City, Iron Fate, Konquest, Tentation, Avenger, Blitzkrieg und Demon Pact. Einfach nur genial und absolut zu Recht das Festival-Highlight des Jahres!

3. David Andersson (Soilwork/The Night Fligh Orchestra)

Alle Mitglieder unseres Teams, die einen Jahresrückblick präsentieren, listen ihre Top 3 des Jahres 2022 auf. Dies schließt normalerweise darauf, dass nur positive Sache genannt werden. Ich möchte aber mit meinem dritten Punkt einen Tribut zollen, der aus einer negativen Sache, eine positive Würdigung darstellt und das Schaffen dieses Musikers ins Scheinwerferlicht rückt. Es ist für mich persönlich eine wichtige Angelegenheit und muss daher hier einen „Ehrenplatz“ erhalten. Ich widme diesen Platz David Andersson, dem genialen Songschreiber und Gitarristen von Soilwork und The Night Flight Orchestra.

Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein absoluter Fan dieser beiden Bands bin. Seit mehr als 20 Jahren höre ich Soilwork und damals zockte noch Peter Wichers an den Saiten, bis er 2012 die Band final verließ. Live wurde er schon länger ersetzt, durch einen Mann, der später seinen Platz fest einnehmen sollte: David Andersson. Dass dies sich im Laufe der Zeit als absoluten Glücksgriff erweisen sollte, konnte man (vielleicht) noch nicht erahnen. Die Qualität der Alben die sie gegen Ende der 00er-Jahre veröffentlicht hatten, waren zwar noch gut, aber nicht mehr so immens hoch wie zuvor. Durch Davids Einstieg ging die Kurve aber wieder nach oben. Er fügte sich in den folgenden Jahren in die Band nach und nach ein und beteiligte sich immer mehr am Songwriting. Ein Talent, das ein viel Größeres war und ausgelebt werden musste. So kam es, dass er mit Sänger Björn „Speed“ Strid eine Nebenband ins Leben rief, in der beide gemeinsam ihre Liebe für AOR und Classic Rock freien Lauf ließen: The Night Flight Orchestra waren geboren.
Was in diesen zehn Jahren auf vier Soilwork-, und sechs The Night Flight Orchestra-Alben zu hören war, manifestiert die Speerspitzenpositionen in den jeweiligen Subgenres. „Verkligheten“ und „Övergivenheten“ sind abwechslungsreiche, spannende und ideenreiche Melodic Death Metal-Meisterwerke, die mit Ohrwürmern ausgestattet sind, für die andere Bands sterben würden. Und diese Ohrwurm-Hitdichte wird noch mehr abgebrannt auf den AOR-Perlen „Sometimes The World Ain´t Enough“, „Amber Galactic“ und den beiden „Aeromantic“-Teilen. Mittendrin in diesen kreativen „O(h)rgasmen“: David Andersson.

Ich hatte zweimal die Ehre ihn persönlich zu treffen, beide Male bei einer Autogrammstunde von Soilwork. Nie werde ich vergessen, wie Björn und David sehr erfreut darüber waren, als ich erst das Debüt ihrer Zweitband und Jahre später das Zweitwerk von ihnen zum Signieren vorgelegt hatte. David war nicht nur ein genialer Musiker, er war auch hauptberuflich Arzt und praktizierte als Gastroenterologe, worüber ich mich u.a. mit ihm ausgetauscht hatte. Ich lernte ihn, in diesen Gesprächen, als einen netten, sympathischen und charismatischen Typ kennen.

Als ich am 14. September die Nachricht erhielt, dass er nicht mehr unter uns weilt, war ich zutiefst geschockt. Es war wie ein sehr harter Schlag in die Magengrube. Was war passiert? Als Ursache wurde Alkohol und psychische Erkrankung genannt. Mehr ist nicht bekannt, nur das David unter Depressionen litt. Spätestens als das letzte Album mit seiner Beteiligung, das Soilwork-Werk „Övergivenheten“ (schwedisch: „Verlassenheit“) erschien und man die Texte dazu las („Death, I Hear You Calling“), wusste man, dass er eine schwere depressive Phase durchmachte. Und wozu diese führen kann, ist leider allgemein bekannt…
Tagelang trug ich diese Trauer in mir und konnte es nicht fassen. Mit gerade einmal 47 Jahren, schlossen sich die Augen des freundlichen Doktors für immer. Noch trauriger macht es, dass eine Person, die in einem Bereich tätig war, die wusste, wo man sich eine angemessene Hilfe hätte holen können (womit ich aber nicht ausschließen möchte, dass er dies nicht getan hat!), leider keinen positiven Erfolg erzielen konnte. Ein Mensch, der Familie hatte und von vielen Fans gefeiert wurde. Aber scheinbar reichte dies nicht aus und die andere Seite hatte zu sehr die Oberhand.

Auch wenn beide Bands ein hohes Standing in der Szene haben, muss ich gestehen, dass ich es absolut nicht verstehen kann, warum speziell The Night Flight Orchestra noch nicht den ganz großen Durchbruch geschafft haben. Kurz nach der „Aeromantic II“-Veröffentlichung konnte ich das dazugehörige Bandshirt mein Eigen nennen und trage es seitdem regelmäßig voller Stolz. Ich wurde auf dieses T-Shirt nicht nur von Fans angesprochen, sondern sowohl von Eli Santana von Ignite, als auch seitens Toschie von Audrey Horne. Jeder von ihnen mag, feiert und liebt diese Band. Dies zeigt, dass diese Band keine Unbekannten sind und wertgeschätzt werden. Warum man aber nicht die Charts dominiert und riesige Hallen ausverkauft, ist mir ein riesengroßes Rätsel. An den Songs kann es nicht liegen, denn Hits wie „White Jeans“, „Moonlit Skies“, „Gemini“, „Turn To Miami“, „Divinyls“, „Midnight Flyer“, „Impossibile“, „Satellite“, „This Time“, „Stiletto“ oder „Burn For Me“ sind Göttergaben. Es gibt einige Bands, denen ich einen größeren Erfolg wünsche, aber The Night Flight Orchestra würde ich dies schon seit Jahren gönnen. Und jetzt noch mehr, denn die Musik, die David (mit)geschaffen hat, verdient es, ein weltweites Hörerlebnis zu erfahren und jedem ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, mit diesen wunderschönen Melodien. Ich kann nur jedem meinen Lieblingssong von NFO an Herz legen, der auch auf der kürzlich erfolgten „Death To False AOR“-Tour ihm gewidmet wurde: „Something Mysterious“, geschrieben von David. Wie viel Gefühl er nicht nur im Songwriting hatte, sondern auch in seinem Spiel, der höre nur mal das traurig schöne Solo in dem Soilwork-Track „Övergivenheten“ (Minute 04:02 bis 04:27).

Jeder Verlust ist schmerzhaft und ich möchte die anderen traurigen Ereignisse in diesem Jahr (siehe oben) nicht verharmlosen, aber David Andersson und seine Musik hat einen besonderen Stellenwert in meinem Leben. Unzählige Stunden wurden mir auf eine besondere und positive weise verschönert. Kraft für die Seele. Ich wünschte, dies hätte er auch für sich selbst erfahren können. Ich werde dich vermissen, David. Du bist leider nicht mehr auf Erden, aber deine Musik ist es und hat bereits Unsterblichkeit erlangt. Danke dir dafür!

Ausblick auf das kommende Jahr:
Obwohl es viele Dinge gibt, die einem jetzt schon das Jahr 2023 negativ betrachten lässt, sehe ich sehr positiv darauf. Der Grund: wir haben in den letzten rund 24 Monaten viel Kurioses erlebt und ich glaube nicht, dass man dies in einer noch krasseren Form toppen kann. Gänzlich ohne neue Absurditäten wird es zwar auch nicht gehen, aber nun hat erstmal das Gute, die Freude, die Liebe und das Glück den Vorrang. Auch wenn dieser Zeitpunkt noch nicht gekommen ist, passt dazu der Song „The Wrong Time“, vom kommenden neuen Obituary-Album „Dying Of Everything“, dessen Refrain den Nagel auf den Kopf trifft: „The right mindset – the wrong time“.
Nun denn, Kopfhörer auf und mit diesem Soundtrack auf den Ohren, brechen wir gemeinsam auf in das Jahr 2023!

Als Teil unserer Beitragsreihe Reingehört haben unsere Redakteur*innen Monat für Monat ihre Lieblingssongs in unserer Spotify Playlist bs! Songs of 2022 gesammelt und daraus einen zufällig ausgewählten Song am Ende des Monats kurz und knapp reviewt.

Die Top 3 Songs des Jahres 2022 von Michael G. sind (in unspezifischer Reihenfolge):
– Ghost: „Spillways“
– Soilwork: „Övergivenheten“
– Long Distance Calling: „Giants Leaving“

Wenn ihr Wissen wollt was unsere Redaktion dieses Jahr sonst so gehört und gefeiert hat dann schaut gerne in die anderen Jahresrückblicke unserer Redakteur*innen rein oder checkt unsere Spotify Playlist bs! Songs of 2022 mit allen Lieblingssongs 2022 aus.

Michael Gerlinger
Michael Gerlingerhttps://www.be-subjective.de/
Bei Mike handelt es sich im Einzelnen um allerhand mittelfränkische Verhandlungsmasse, ein wahrer Gentleman, ein wahrer Poet Den Löwenanteil seiner irdischen Sternzeit fristet Metalmike, wie wir ihn nennen, auf 49°17`60" N, 10°33`34" O in der Multi Media Abteilung eines Glücksgefühl-Sortimentas. In den 90ern war Gentlemicha der erste, der sich “Musik ist (mein) Leben!” auf die Pommesgabel hat tätowieren lassen, deswegen reichte das Taschengeld auch nicht für ‘ne Baumpatenschaft. Weil Metalmike jeden Tag einen Clown frühstückt, sperren wir ihn in der Regel statt Jack in die Box und füttern ihn für den Rest des Tages hauptsächlich mit Rock- und Metalscheiben, von Weichspülern bis hin zum richtig steilen Zeug à la Mgla, Lifelover und Co.

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