Preview: Muff Potter zum Jahresabschluss nochmal unterwegs (2019)

Wüsste man es nicht besser – und stünden diese Sätze in einem Buch, so einem, wo ein sprachbegabter Musiker aufregende Momente seiner Biografie zur Vorlage furioser Fiktion nimmt, und dann mit Gedanken und Figuren herrlich fliegen geht, so jemand vielleicht wie der weithin gefeierte Selfmade-Romancier Thorsten Nagelschmdt aka Nagel – hätte man den folgenden Satz im vergangenen Jahr zweifellos für reine Fantasie gehalten, denn nichts schien absurder: Muff Potter kehrten zurück auf die Konzertbühnen! Tatsächlich und in Farbe und Fleisch und Blut! Und das gleich für sieben Konzerte deutschlandweit, die nach nur wenigen Minuten restlos ausverkauft waren. Nach fast einem Jahrzehnt konsequenter Stille, mit den Original-Protagonisten, mit der Wut von damals und all diesen Songs, die sehr vielen sehr guten Menschen im Deutschland des Neumillenniums zum Ausdruck der eigenen Widersprüchlichkeit und Fehlerhaftigkeit wurden.

Muff Potter (Foto: Thea Drexhage bs! 2019)


Es wurden sieben Abende, die keiner der Anwesenden vergessen wird, denn sofort war sie wieder da, diese Energie, diese Dringlichkeit und Unmittelbarkeit – und niemand, der das erlebt hat, konnte glauben, wie lange es irgendwie doch weiter ging mit dem Leben und ohne Muff Potter. Nachdem die Band zusätzlich zu diesen Clubkonzerten in diesem Sommer eine Handvoll Festivalshows gespielt hat, kehren sie nun im November aufgrund der großen Nachfrage und noch größeren Fanliebe noch ein weiteres Mal in die deutschen Clubs zurück. Und man fragt sich letztlich nur eins: Werden diese Tickets noch schneller weggehen als jene der ersten Tour? Aller Voraussicht nach schon. Die sieben Alben und zahllosen EPs und Singles, die Muff Potter zwischen 1996 und 2009 veröffentlichten, gerieten weit über die Szene hinaus zu wahren Manifesten einer textlich wie kompositorisch selten klugen Punk-Dringlichkeit, zu scharfzügigen, entlarvenden, aber auch selbstgeißelnd introspektiven Sturmböen der Wahrhaftigkeit. Anfangs ebenso stark vom Geist des frühen Politpunks Marke Slime, …But Alive oder EA80 geprägt wie vom krachenden und bisweilen scheppernden Alternative-Rock zwischen Dinosaur Jr., Hüsker Dü oder Fugazi, entwickelten sich Muff Potter unter der Ägide ihres Sängers, Gitarristen und Texters Thorsten Nagelschmidt zu wahren Meinungsführern der deutschen Subkultur und geradezu literarischen Meistern der feinen Beobachtung.

Selbst der schwierige Spagat zwischen überzeugter DIY-Attitüde – sie hatten bereits zur Veröffentlichung ihres Debütalbums mit Huck’s Plattenkiste ihr eigenes Label gegründet – und dem Flirt mit dem Big Biz in Form eines Vertrags mit dem Marktführer Universal gelang über zwei Alben und brachte neue Nuancen in Text und Ton, ohne ihre treu verfolgten Werte von entlarvend aufrichtiger Musik zu verwässern. Trotzdem kehrten Muff Potter 2009 mit „Gute Aussicht“ stilistisch und geschäftlich wieder zurück in ihre natürliche Keimzelle der Subkultur und in ihre Rolle als pointierter Stachel im allzu schalen Pop-Fleisch. Und doch: Mit dieser Platte, die vielen Fans seit den Frühwerken als die unmissverständlichste gilt, schloss sich der Kreis für Muff Potter. Denn Nagel, der bereits 2007 seinen autobiografischen Debütroman „Wo die wilden Maden graben“ veröffentlicht hatte, fand im Schreiben eine stärkere Kraft und dringende Notwendigkeit. Entsprechend wurde stets von allen Mitgliedern die Möglichkeit einer Wiedervereinigung verneint; es schien ausgemacht, dass Muff Potter für immer ein Ereignis unserer Erinnerung bleiben.

Muff Potter (Foto: Thea Drexhage bs! 2019)


Ironischerweise brachte ausgerechnet eine Lesung Nagels, der mit seinem aktuellen, dritten Roman „Der Abfall der Herzen“ sein bislang persönlichstes Buch schrieb und es deshalb erstmals unter seinem wahren Namen Thorsten Nagelschmidt veröffentlichte, eine auch für die Hauptakteure ungeahnte Wendung: Im Februar 2018 standen während seiner Lesung im Berliner Festsaal Kreuzberg plötzlich drei Viertel der Band gemeinsam auf der Bühne und spielten einige Songs zur nachgerade ekstatischen Freude aller Anwesenden. Was nur als einmaliges Bonbon gedacht war, entwickelte über die folgenden Monate offenbar eine Eigendynamik, die den Beteiligten neuen Schub verlieh. So kam es also zu dieser Sensation: Muff Potter waren wieder da. Und prompt fühlte sich die Welt etwas weniger kalt, unwirtlich und abweisend an

Die Dates:

  • 22.11.2019 Berlin – Columbiahalle
  • 23.11.2019 Köln – Palladium
  • 25.11.2019 Karlsruhe – Substage
  • 26.11.2019 Dortmund – FZW
  • 28.11.2019 Osnabrück – Rosenhof
  • 29.11.2019 Leipzig – Werk2
  • 30.11.2019 Hamburg – Docks

Links:
www.muff-potter.de

Thea Drexhage
Thea Drexhagehttps://www.be-subjective.de
Thea Drexhage hat Salma Hayek einiges voraus! 10 mm. Wie die meisten Frauen der Redaktion, Duffy, Beth Ditto, Joan Rivers oder Angus Young kann sie die MusikerInnen aus dem Bühnengraben also völlig problemlos sehen, wenn jemand ihren Hocker trägt, wird aber - das hat sie mit Salma dann doch wieder gemein - dennoch viel zu oft auf Ihre Körpergröße, ihre Mähne und ihre leicht misanthropischen Anflüge reduziert. Damit sie also nicht im nächstbesten Titty Twister von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang Menschenmengen und Bläser mätzelt, halten wir “Aggro-Thea”, die zuvor ganze Landstriche in Mecklenburg Vorpommern ausgerottet hat, halbtags im spießbürgerlichen Oldenburger Exil an der langen Leine. Seither legt sich die scheißpünktliche existentialistische Besserwisserin analog mit Sartre, Camus & Kodak an und ja, auch wir müssen neidlos zugestehen, dass der Instagram-Account ihrer beiden Katzen “Salma” und “Hayek” mehr Follower pro Tag hat, als unser webzine im ganzen Jahr.

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