Preview: Kettcar von Januar bis März (2018)

Oft merkt man nicht, dass etwas fehlt. Dass da eine Leere ist, eine diffuse Unzufriedenheit, die man gar nicht richtig festmachen kann. Man merkt nicht, dass etwas fehlt – bis es dann da ist. Genauso ist es mit der neuen Kettcar-Platte „Ich vs. Wir“.

2013 kündigte die Band eine Pause an, Marcus Wiebusch machte sich an seine Soloplatte. Wie lange Kettcar auf Eis gelegt würden? Vielleicht sogar für immer? Das war damals nicht klar, und es gab nicht wenige, die das leise Ende einer großen Band gekommen sahen.

Doch fünf Jahre später sind Kettcar wieder da. Und zwar so richtig! Kein Herantasten, kein sachtes Klopfen, kein bescheidenes Wir-würden-dann-auch-mal-wieder… Nein, Kettcar kommen mit Pauken und Trompeten und Fäusten und Megafonen und mit elf in Songs gegossenen Ausrufezeichen. Und hauen, als ob es nichts Leichteres gäbe, ein Album raus, wie man es hierzulande lange, sehr lange, vielleicht sogar noch nie gehört hat. Ein Album, das Position bezieht in einer Zeit der Konturlosigkeit. Das sich Haltung gönnt, wo Kuscheln, Kungeln und übertriebenes Verständnis vorherrscht. Das macht, packt und angreift, wo die meisten sich doch nur wohlfühlen und arrangieren wollen.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://www.youtube.com/watch?v=9y3w7SiEucs

Musiker können sich die Zeit, in der sie leben, nicht aussuchen. Nur das, worüber sie singen. Und Kettcar formulieren so treffend und pointiert, dass man unter jeden der elf Songs einen fetten Haken machen will. Die haben so Recht! Das ist so wahr! Genau so denke, sehe und fühle ich das auch! Allerdings wird dabei dem Publikum keineswegs nach dem Mund geredet. So einfach machen sie es sich nicht, die Predigt an die Bekehrten überlassen sie lieber anderen. Stattdessen zeigt „Ich vs. Wir“ die ganze verdammte Ambivalenz, die Leben in Deutschland im Jahr 2017 bedeutet.

Jede Zeit bekommt die Kunst, die sie verdient – das gilt im Schlechten wie im Guten. Wobei Kettcar natürlich die Guten, wenn nicht gar die Besten sind. Denn selten war eine Platte so nötig wie diese, und es ist wirklich verblüffend, wie ein Album gleichzeitig so aktuell sein kann, auf der anderen Seite aber über das Hier und Heute hinausweist und das große Ganze ins Visier nimmt. Die Liste der wirklich wichtigen, wirklich bedeutenden deutschen Platten, die für eine Zeit und gleichzeitig über der Zeit stehen und über Jahre hinaus Relevanz besitzen, ist bekanntlich ziemlich kurz. Mit „Ich vs. Wir“ wird sie ein bisschen länger.

Text: Ingo Neumayer

Kettcar (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Die Dates:

  • 18.01.2018, Saarbrücken, Garage
  • 19.01.2018, München, Tonhalle
  • 20.01.2018, A-Wien, FM4 Geburtstagsfest
  • 21.01.2018, A-Graz, PPC
  • 22.01.2018, CH-Schaffhausen, Kammgarn
  • 23.01.2018, CH-Bern, Bierhübeli
  • 24.01.2018, Erlangen, E-Werk
  • 25.01.2018, Stuttgart, Theaterhaus
  • 26.01.2018, Dortmund, FZW
  • 27.01.2018, Bremen, Schlachthof
  • 28.01.2018, Kiel, Max
  • 30.01.2018, Magdeburg, Altes Theater
  • 31.01.2018, Dresden, Schlachthof
  • 01.02.2018, Leipzig, Haus Auensee
  • 02.02.2018, Wiesbaden, Schlachthof
  • 03.02.2018, Köln, Palladium
  • 05.02.2017, Hamburg, Große Freiheit 36
  • 06.02.2018, Hamburg, Große Freiheit 36
  • 07.02.2018, Hamburg, Große Freiheit 36
  • 08.02.2018, Hannover, Capitol
  • 09.02.2018, Bielefeld, Ringlokschuppen
  • 10.02.2018, Berlin, Columbiahalle
  • 23.03.2018, Essen, Weststadthalle
  • 24.03.2018, Bremen, Schlachthof

Links:
www.kettcar.net

Thea Drexhage
Thea Drexhagehttps://www.be-subjective.de
Thea Drexhage hat Salma Hayek einiges voraus! 10 mm. Wie die meisten Frauen der Redaktion, Duffy, Beth Ditto, Joan Rivers oder Angus Young kann sie die MusikerInnen aus dem Bühnengraben also völlig problemlos sehen, wenn jemand ihren Hocker trägt, wird aber - das hat sie mit Salma dann doch wieder gemein - dennoch viel zu oft auf Ihre Körpergröße, ihre Mähne und ihre leicht misanthropischen Anflüge reduziert. Damit sie also nicht im nächstbesten Titty Twister von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang Menschenmengen und Bläser mätzelt, halten wir “Aggro-Thea”, die zuvor ganze Landstriche in Mecklenburg Vorpommern ausgerottet hat, halbtags im spießbürgerlichen Oldenburger Exil an der langen Leine. Seither legt sich die scheißpünktliche existentialistische Besserwisserin analog mit Sartre, Camus & Kodak an und ja, auch wir müssen neidlos zugestehen, dass der Instagram-Account ihrer beiden Katzen “Salma” und “Hayek” mehr Follower pro Tag hat, als unser webzine im ganzen Jahr.

Weitere Artikel

Ähnliche Beiträge

Preview: Romance is a Band – Fontaines D.C. [2024]

Es ist kaum zu glauben, was Fontaines D.C. in...

Review: Verrückt, Verzückt, Verzerrt – Imminence live (23.10.2024, Hannover)

Am Anfang war das Feuer. Die Welt war irgendwie,...

Preview: Es hört nicht auf – SAGA live (2024)

Wenn das Intro von „Wind Him Up“ erklingt, das...

Review: Reeperbahn Festival 2024 (18.09.-21.09.2024, Hamburg)

Tag 1 – Mittwoch Der Startschuss für das Reeperbahn Festival...