Review: Tschaika 21/16 – Tante Crystal Tourlaub Tour (22.12.2016, Dresden)

Das Dresdner Sabotage gibt es nun schon eine ganze Weile, aber bis jetzt hat es mich konzerttechnisch noch nicht hierher verschlagen, mal von einem kleinen Abstecher zu einer Party abgesehen. Das Innenleben der im Hinterhof gelegenen Lokalität erinnert mich jedenfalls sehr an Einrichtungsdekorationen ehemaliger Techno-Clubs der 90er in Dresden. Insofern macht es durchaus Sinn, dass hier die eine oder andere Tanzveranstaltung für diese Art der elektronischen Musik stattfindet.

„Tante Crystal uff Crack am Reck“.

Heute steht aber ein Konzert für Anhänger der Stromgitarrenverzerrungen und Trommelwirbelattacken auf dem Programm. Tschaika 21/16 haben zum weihnachtlichen Vorglühen gerufen und machen auf ihrer „Tante Crystal Tourlaub Tour“ in der sächsischen Landeshauptstadt halt. Bei solch einem einprägsamen Bandnamen macht es nur durchaus Sinn, dass die Vorband Gaffa Ghandi heißt. Diese kann mich persönlich nicht wirklich überzeugen, profitiert allerdings davon, dass die gesamte Veranstaltung eine Stunde später beginnt und sich schon einige ZuschauerInnen mehr vor der Bühne befinden, als dies sonst wahrscheinlich der Fall gewesen wäre. Vom Sound her geht das Ganze schon mal in die Stoner-Noise-Rock-Richtung im weitestgehend instrumentalen Gewand, der nach einer Umbaupause nun auch von Tschaika 21/16 zu erwarten ist.

Tschaika (Foto: Kristin Hofmann bs!)

Ob Tim (Gitarre) und Onkel (Schlagzeug) feat. Sören (Gesang & Trompete) bei der Namensfindung an den linken Zufluß der Lena bzw. den rechten Zufluß des Jenissei in Russland gedacht haben!? Oder ist der Bandname doch eher an die bekannte russische Automarke angelehnt. Letzteres würde vom Klang her jedenfalls mehr Sinn machen, weil der Zusatz 21/16 auch eine Abkürzung für ein Mörser-Geschoß ist, welches vom deutschen Kaiserreich im ersten Weltkrieg eingesetzt wurde. Vielleicht ist mit Tschaika auch das russische Funknavigationssystem gemeint und 21/16 vom bekannten Kartenspiel Black Jack abgeleitet. In Wirklichkeit stammen alle Bandmitglieder vom russischen Komponisten Tschaikowski ab und interpretieren bzw. übertragen seine berühmten Werke in die heutige Zeit. Nichts genaues weiß man nicht, wir leben ja schließlich auch in einer Welt, in der „postfaktisch“ zum Wort des Jahres gewählt wurde.

Tschaika (Foto: Kristin Hofmann bs!)

Deshalb verwundert es auch nicht, dass einige (uninformierte) Veranstalter die Band schon als Singer/Songwriter- oder Comedy/Kabarett-Act angekündigt hatten, wie Tschaika selbst während des Konzertes berichten – macht auch besonders viel Sinn bei den verbalreichen Liedtexten und Refrains von Tschaika 21/16.1 Die Anwesenden scheinen jedenfalls richtig informiert zu sein und freuen sich auf die Livepräsentation von Tschaika 21/16, ein Nebenprojekt von Mitglieder der Bands RotoR bzw. Ohrbooten, des im November veröffentlichten Erstlings mit dem Namen „Tante Crystal auf Crack am Reck“.

Da die LP meist instrumentalen Charakter hat, haben sich Tim (nimmt Gitarren auch mal nur so auf eine Ausfahrt mit) und Onkel (nur echt mit gelben Glitzer-Basecape) feat. Sören (auch Blechfresse genannt) bei den Titelnamen besonders viel Mühe gemacht. Im dunklen Kellerschlauch des Sabotage ist nicht viel zu sehen, dafür knallen die kürzeren, stonernden Rocker wie „Griechisches Bein“, „Breitzeit“ oder „Zeh 64“ genauso gut in die jeweiligen Gehörgänge wie die etwas längeren, doomigen Noise-Kracher „Lass mich doch in deinem Wald der Oberförster sein“ oder „Hip Hop Anna Ampel – Krieg auf deutschen Straßen“.

Den Award für die einfallsreichsten Songtiteln haben sie auf alle Fälle schon mal sicher.

Tschaika (Foto: Kristin Hofmann bs!)

Nach der Zugabe „Man nennt sie Nancy“ wird dem GOTT (aka Banane) an den Reglern gehuldigt. Unter Trommelwirbel und riesiger Pyrotechnik (aka ein einzelnes Tischfeuerwerk) wird der letzte Track des Abends eingeleitet. Die unterhaltsame Spiellaune von Tschaika 21/16 hat sich mittlerweile komplett auf die begeisterten Tschaikianer übertragen, deshalb überlasse ich der „Tante Crystal auf Crack am Reck“ das Fazit des Abends…“Doom mich auch“! In diesem Sinne, bald im Player des Vertrauens und/oder bei nächster Gelegenheit (wieder) live.

Galerien:

„grobe Orientierung“

Setlist:

  1. 21/16
  2. Nadaschabackdiegowa
  3. Quadratur vom Fotz
  4. Breitzeit
  5. Las mich doch in dem Wald der Oberförster sein (Haare)
  6. Doom mich auch
  7. Man nennt sie Nancy
  8. HipHop anna Ampel – Krieg auf deutschen Straßen
  9. Wurscht on the Rockz
  10. Zeh 64

Links:
www.facebook.com/pg/tschaika

Anmerkung:
1 Ein weiteres Bezeichnungs-Highlight sei Folk- bzw. Tschernobyl Rock (wäre ein klasse Subgenre-Titel beim Plattenhändler des Vertrauens ) gewesen.

 

Tobias Richter
Tobias Richterhttps://www.facebook.com/mischband/
Jeder sollte einen Tobi haben. Keiner von uns hat ihn je gesehen, der Typ ist einfach zu groß und artig, der schmeißt aufgeblasene orange Dinger in Einkaufsnetze und - wie man so hört - muss sich der Ü190 Hüne dafür bücken. Eat Sleep Ball Repeat. Ansonsten ist ein Tobi einer, der Kassetten professionell aufwickeln kann, "der immer Ärger macht, der Streiche spielende Anstifter, der, der süchtig nach Furcht ist, ein Sinnbild für Gefahr." Jeder sollte einen Tobi haben. Und eine B-Seite.

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