Review: Triggerfinger – schokoladig-sexy-rockig-verrucht (18.10.2017, Zürich, Schweiz)

Mittwochabend, Zürich: das Mascotte beginnt sich zögerlich zu füllen. Ein Teil der Zuschauer verfolgt das alte Motto: Vorband ist eh egal, es reicht, wenn man pünktlich zum Hauptact da ist. Kann man machen, rächt sich aber auch manchmal. So wie heute Abend.

Denn auf dem Programm steht Death By Chocolate. Für die schokoladensüchtige Redaktion sind damit sowieso schon mal jede Menge Pluspunkte vorprogrammiert. Diese Vor-Pluspunkte hat die Band aber überhaupt nicht nötig.

Death By Chocolate (Foto: Silke Kemnitz bs! 2017)
Death By Chocolate (Foto: Silke Kemnitz bs! 2017)

Denn bevor der Tod durch Schokolade eintritt, rocken die Herren aus Biel noch einmal ordentlich die Bühnen der Welt. Und das schon lange und hoffentlich auch noch lange!

Die fünfköpfige Band, bestehend aus 1x Sänger/Gitarrist, 1x Gitarrist, 1x Bassist, 1x Keyboarder, 1x Bassist garniert mit 2x lockigem Haarwunder, schlagen von Anfang an temporeiche rockig-krachende Töne an. Laute, knackige Gitarrenriffs, derbe Drums, eingängig-eindrücklicher Gesang, dazu noch eine ordentliche Portion Rock’n’Roll, etwas Unkonventionalität, jede Menge Spielfreude, eine charmanten Prise Selbstironie gepaart mit jeder Menge guter Laune:

Fertig ist die rockige-gute Laune-Schoko-Mischung!

Und die reißt mit, macht Freude und besitzt eindeutig schweißtreibende Eigenschaften. Sowohl auf der Bühne als auch vor der Bühne. Wen wundert es da noch, dass Death By Chocolate schon für Bon Jovi die Fans eingerockt hat. Entsprechend erledigen sie ihre heutige Aufgabe, nämlich die Bühne für Triggerfinger zu ebnen, mit Bravour. Selten ist der Applaus für eine Vorband so tosend und selten möchte man den Beginn des Hauptacts gern noch ein paar Lieder hinauszögern. Aber heute Abend ist das so.

Triggerfinger (Foto: Silke Kemnitz bs! 2017)

Nach einer kurzen Umbauphase mit den bestangezogensten Umbauern geht es auch schon los mit Triggerfinger. Hier ist Programm nun mal Programm, schlapprige T-Shirts kommen hier einfach nicht auf die Bühne. Auch nicht zum Umbauen. Man hat schließlich einen Ruf zu verlieren. Und zu den Klängen des grausigsten Songs des neuen Albums kommen auch schon die gut angezogenen Herren aus Antwerpen auf die Bühne.

Triggerfinger (Foto: Silke Kemnitz bs! 2017)

Da wären Ruben Block, die Mischung aus Sky Dumont, Mario Adorf, mit einer Prise James Bond, kurz durchgeschüttelt, und für den heutigen Abend in ein kräftiges Rosa mit Türkis gesteckt, freundlicherweise abgedämpft durch ein tiefes Blau. Mario Goossens, der quirlige Schlagzeuger, der vermutlich allein schon aus therapeutischen Gründen mehrere Stunden wöchentlich hinter dem Schlagzeug verbringen muss, heute im klassichen Schwarz-weiß. Paul Van Bruystegem, der massige Bassist, in einem coolen einheitlichen Schwarz. Als Verstärkung ist an dem heutigen Abend David Poltrock, ebenfalls im klassischen Schwarz, am Keyboard dabei.

Triggerfinger (Foto: Silke Kemnitz bs! 2017)

Und wie klingt der grausigste Song „Wollensack Walk“ des neuen Albums live? Gar nicht mal so schlecht! Vielleicht ist es noch die rockige Energie von Death By Chocolate, die dem Song auf einmal einen Teil der fehlenden Würze gibt. Vielleicht sind es die fehlenden Soundeffekte, die Triggerfinger wie gehofft live nicht in dem Ausmaß reproduzieren kann, die den Song auf einmal runder wirken lassen. Vielleicht ist es die live – Stimmung, die Bühnenpräsenz oder der Elan, mit der die Band es vom ersten Song an krachend angeht. Was auch immer es ist: Triggerfinger machen gleich zu Beginn klar, dass es heute Abend laut wird. Und sexy. Und derbe rockig. Und etwas verrucht. Und temporeich.

Eine Show ganz in der Triggerfinger-Tradition!

Die Stimmung ist bereits bestens, steigert sich aber während des Konzerts zunehmend. Triggerfinger spielt eine bunte Mischung aus ihrem aktuellen Album „Colossus“ und dem Vorgänger-Album „By Abscene Of The Sun“ erweitert mit den zwei alten Klassikern „My Baby’s Got A Gun“ und „All This Dancin‘ Around“. Auffallend ist, dass in der Setlist fast vollständig Balladen fehlen. Insbesondere die wunderschönen Songs wie „Love Lost In Love“, „Soon“ und natürlich der Cover Song „I Follow Rivers“ stehen an dem Abend nicht auf dem Programm. Eigentlich Songs, die irgendwie auf jedem Konzert erwartet werden. Zumindest einer von ihnen. Songs, die jede Band im Repertoire hat. Auch wenn die musikalische Entwicklung schon Meilen entfernt ist, bestimmte Songs gehören zu der ungesagten Erwartungshaltung der Fans und müssen spätestens bei der Zugabe gespielt werden. Triggerfinger ist das egal. Und sie machen es einfach nicht. Passt auch gut zu der musikalischen Entwicklung, die die Band mit ihrer aktuellen CD „Colossus“ auf Disk gebannt hat. Der Fokus liegt auf knackigen Gitarrenriffs, auf powervollen Rock, auf mitreißendem Gesang. Es muss dröhnen, der Sound muss durch die Füße, direkt in den Bauch und über die Ohren wieder hinaus und/oder umgekehrt durch das Publikum krachen. Und all das optisch garniert mit den gut gekleideten Herren aus Belgien.

Diese werden anfänglich noch von den wenigen kreischenden Teenis aus der ersten Reihe gefeiert. Allerdings werden die Selfies dann doch irgendwann wichtiger. Auch nicht einfach als heutige Rockband, wenn das Instagram Selfie wichtiger ist, als die Band und das Konzert. Triggerfinger trägt es mit Fassung. Und sowieso, die Band macht nicht den Anschein, als ob kreischende Teenis für sie wichtig wären. Auch wenn die Band klar mit ihrem Sex-Appeal und dem Hauch des Verruchten spielt. Aber all das ist Teil der Show, schmückt die Songs aus, gehört zum Triggerfinger-Image. Und macht das Live-Erlebnis rund.

Triggerfinger (Foto: Silke Kemnitz bs! 2017)

Überhaupt die Songs: Triggerfinger dehnen die meisten Songs etwas aus: mal durch ein Gitarrensolo, dort etwas ausgedehnterer sexy Gesang, hier ein Drummer-Solo. Stichwort der Drummer: an üblicher Stelle auf der Bühne positioniert, allerdings ohne von anderen Bandmitgliedern verdeckt zu werden. Diese haben sich artig an den Seiten des Schlagzeugs positioniert. Und das nicht ohne Grund. Mario Goossens ist eine Show für sich: Er trommelt sich mit Leib und Seele den Wolf, ist komplett in der Musik versunken, dabei voller Energie, die über das Schlagzeug hinwegspringt, wie auch fast der Drummer selbst. Mario Goossens zeigt, dass ein Schlagzeuger nicht zwangsläufig immer versteckt hinter den Drums sitzen muss. Im Publikum ist man froh, dass zwischen dieser ungestümen musikalischen Energie und dem Publikum noch das Schlagzeug ist. Ein Highlight des Abends ist sicherlich ein ausgedehntes Drummer Solo, bei dem sich auch Ruben Block und Paul Van Bruystegem als Drummer betätigen.

Fett! Ausufernd! Sexy!

So wie das gesamte Konzert! Triggerfinger sind live einfach hörens- und sehenswert! Und wer Probleme mit dem neuen Album hat, dem sei versichert: live klingt es gleich viel besser. Vermutlich weil Triggerfinger das ganze Soundgemisch erwartungsgemäß nicht reproduzieren kann. Zwar bieten sich live natürlich andere soundtechnische Masochismen, die Triggerfinger aber glücklicherweise nur sehr eingeschränkt nutzt. Insgesamt bieten die Belgier eine qualitativ hochwertige Show, sowohl musikalisch als auch vom Entertainment.

Daher ganz klarer Tipp der Redaktion: nächstes Triggerfinger Konzert: Hingehen! Ohne Widerworte! Und wenn wir gerade dabei sind: zu Death By Chocolate auch!

Galerien (by Silke Kemnitz bs! 2017):

Setlist – Death by Chocolate:

  1. Gravedigger
  2. Give us a Reason
  3. Alfred
  4. Virgin Killer
  5. GoGoGo
  6. Siren Calls
Triggerfinger (Foto: Silke Kemnitz bs! 2017)

Setlist – Triggerfinger:

  1. Wollensack Walk
  2. Upstairs Box
  3. …And There She Was, Lying in Wait
  4. First Taste
  5. By Abscene Of The Sun
  6. Flesh Tight
  7. Perfect Match
  8. My Baby’s Got A Gun
  9. Black Panic
  10. Bring Me Back A Live Wild One
  11. All This Dancin‘ Around
  12. Colossus
    Encore
  13. After Glow

Links:
https://www.triggerfinger.net/
https://www.deathbychocolate.ch/

Judith Sander
Judith Sanderhttps://www.be-subjective.de
Es gibt Sucht-Charaktere, die entsagen und es gibt andere, die setzen sich ins Epizentrum ihres Verlangens. Nein, Judith ist keine Schweizer Taschenmesserwerferin, sie ist bekennend schokoladensüchtig und metzelt ohne zu zucken für ‘ne Toblerone oder Eiscreme oder Tobleroneeiscreme oder.. na jedenfalls: Die Frau ist echt Zucker, echt hart drauf, hat ein feines Näschen, legt sich für die richtigen Dinge ins Zeug, in die Kurve und nascht am allerliebsten an kleinen, unbekannten Bands in ruhiger Atmosphäre. Wer die olle Genießerin dennoch ans Messer liefern will, sperrt sie – in einen rosa Rüschen-Alptraum gehüllt – mit stinkenden Dränglern ins Musikantenstadl und nimmt ihr das letzte Milkyway weg.

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