Wird es langsam zur Gewohnheit, dass sich Tool wieder in unseren Breitengraden einfinden? 2019, 2022 und 2024 – das sieht nach neuer Regelmäßigkeit aus, schließlich war zuvor 10 Jahre Funkstille gen Deutschland. Ca. 9000 Fans freut es an diesem Abend in Hannover. Lange Schlangen schwarz gekleideter Menschen vor der Halle mit Tool-Shirts aus allen Epochen bewegen sich nur langsam durch die Einlasskontrollen, sodass zum Beginn der Supportband noch längst nicht alle in die ZAG-Arena hineingekommen sind. Das macht aber nix, denn Night Verses drehen auch so laut, dass sie außerhalb des Saals, an diesem Abend komplett bestuhlt, zu hören sind.
Die Band aus Kalifornien ist mit ihrem Sound, der sich irgendwo zwischen Alternative Metal und Post-Hardcore bewegt, ganz gut im Support Slot aufgehoben. Eingeladen wurden sie für die gesamte Tour von Justin Chancellor persönlich. Während man eine Tool-Show durchaus sitzend und kopfnickend verbringen kann, fühlt sich das bei Night Verses dann doch irgendwie falsch an – allerdings herrscht auch unter den Musikern nur wenig Bewegung. Dennoch machen die drei, die jüngst einen Song mit Brandon Boyd von Incubus veröffentlichten, einen ordentlichen Job und beenden ihr Set nach exakt 30 Minuten.
Der Abend funktioniert wie eine gut geölte Maschine. Nach minimaler Umbaupause von 25 Minuten öffnet sich bereits das Tor zur Hölle. Aus den Boxen ertönt ein Herzschlag, auf der riesigen LED-Wand im Hintergrund verschwimmen rot und schwarz und gelb zu einem Flammeninferno. Jones, Carrey und Chancellor platzieren sich an ihren Instrumenten. Hinter dem gewaltigen Schlagzeug im Schatten findet sich Maynard James Keenan auf einem von zwei Podesten ein. Nur minimal beleuchtet, wie man es aus den vergangenen Jahren kennt. Die Rampensau-Zeit ist vorbei. Mit dem gewaltigen Jambi vom 2006er Album 10.000 Days beginnt die sound- und bildgewaltige Show der Kalifornier. Es soll ein Abend mit besonderer Setlist werden.
Das künstlerische Talent der Band wird zu keiner Minute des Abends in Frage gestellt. Jeder Ton sitzt, Keenans Stimme einnehmend wie eh und je. Untermalt von anhalten Animationen und fetter Lichtshow kann man sich gänzlich in der Musik verlieren. Auf den Sitzen bleiben nur die Wenigsten, zumindest im Innenraum. Aber Fanservice, das ist so eine Sache. In der Halle herrscht striktes Smartphoneverbot (eigentlich ganz schön), jeder Versuch ein Foto zu erhaschen wird mit mahnenden Blicken der Security geahndet. Aber das kennt man als Tool-Fan schon. Auch die Merch- und Ticketpreise sind keinesfalls fan-freundlich und locken Bootleg-Merch-Verkäufer (die gibt’s noch?)mit 20€-Shirts vor die Halle. Und Keenan selbst lässt sich keine Sekunde am vorderen Bühnenrand blicken. Wie ein Raubtier im Zoo schleicht er immer wieder an den Grenzen seiner Podeste entlang oder verschwindet komplett, wenn die Kollegen in ihre beeindruckenden Instrumentalparts übergehen. Auch geredet wird nicht viel. Eine knappe Begrüßung am Anfang und eine fast schon rührselige Verabschiedung gen Ende. Keenan, der in diesem Jahr 60 Jahre alt wird, bedankt sich für die lange Treue.
Das Set würdigt Tools jüngstes Album Fear Inncoculum ausgiebig, dass das nicht ist, was sich die Menge wünscht, merkt man vor allem beim enormen Applaus während der ersten Töne von Pneuma – die Schism ja nun wirklich zum verwechseln ähnlich klingen und der dann langsam einkehrenden Erkenntnis. Schism wird es an diesem Abend nicht geben, auch keine andere der großen Nummern. Kein Aenima, kein Sober, kein The Pot. Lediglich das fette Stinkfist zum Schluss versöhnt jene, die vielleicht das erste Mal auf einer Tool-Show waren und sich auf die Klassiker gefreut haben. Für jene, die die Band schon des Öfteren erleben durften, gab es dafür eine gelungene Abwechslung. Man kann es eben nicht allen gleich machen.
Und Fakt ist: Ja, eine Tool-Show ist teuer geworden. Vielleicht mag Keenan seine Fans nicht besonders gern, das behauptete er in der Vergangenheit ja selbst in einigen Interviews. Dafür gibt’s aber auch zwei Stunden volles Programm – inklusive gewaltigem Schlagzeugsolo vor Chocolate Chip Trip, bei dem Danny Carey beweist, dass er es auch mit 63 noch voll drauf hat – und keine halben Sachen, was die Produktionsqualität angeht. Und so lange das so bleibt, können sich Tool auf weitere volle Hallen in den kommenden Jahren freuen, denn von Altersmüdigkeit gibt’s noch keine Spur.
Now You can take out your fucking phones!
Und zum letzten Song dann doch die Versöhnung und die Chance für die Gäste, auf ein kleines Erinnerungsfoto.
Galerie (by Thea Drexhage bs! 2024):
Setlist Tool:
- Jambi
- Fear Inocolum
- Rosetta Stoned
- Pneuma
- Intolerance
- Descending
- The Grudge
Encore: - Chocolate Chip Trip
- Flood
- Invincible
- Stinkfist
Links:
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