Singende Schauspieler können mich mal. Und zwar kreuzweise. Bruce Willis? Eddie Murphy? David Hasselhoff? Letzterer ist im klassischen Sinne möglicherweise nicht mal ein Schauspieler. Das Prinzip: Wenn man schon mit dem einen erfolgreich ist, ohne Talent zu besitzen, kann man sich genauso gut am anderen versuchen. Es wird nicht besser, wenn man Revue passieren lässt, welche deutschen Schauspieler sich im Laufe der Zeit grundlos ein Mikro geschnappt haben. Oli Ps Stokelhop? Jan Joseph Liefers‘ Boredom-Core? Die Ochsenknechtboys und ihr Minderjährigenbefeuchtungspop? Man weiß nicht, wem man zuerst die Fresse polieren will. Außerdem blöd: Über singende Schauspieler zu mosern, ist ähnlich banal, wie die Musik, über die man sich dabei echauffiert.
Was will ich sagen? Mich nervt’s einfach tierisch, wenn Musik dermaßen offensichtlich mehr Produkt als Ausdruck von Kreativität und Persönlichkeit ist; wenn ein Musikalbum das Äquivalent zum Promikochbuch darstellt; wenn ich durch die Musik nicht mehr über den jeweiligen Performer erfahre als: „Mir geht einer ab, wenn ich angehimmelt werde und dabei auch noch Kohle scheffle.“
Dementsprechend begeistert war ich, als ich gefragt wurde, ob ich mit zum Tom Schilling Konzert kommen will. Konnte ja nix werden. Logisch. Nachdem das erste versnobbte Pfffff! allmählich abgeklungen war, musste ich mich kurz überzeugen, wie beschissen das Ganze tatsächlich ist und habe mir Vilnius, das Debütalbum von Tom Schilling & The Jazz Kids, angehört. (Sich Musik anzuhören, bevor man sie scheiße findet, wird ja gerne mal vergessen.) Und dann hocke ich da, die Augen schon vorab verdreht und das herablassende Schnaufen in die Lunge geatmet, lausche, bereit, mich in zwei Minuten durch’s komplette Album zu skippen, bleibe aber beim ersten Lied hängen, beim zweiten, beim dritten. Und es will partout nicht schlecht werden.
„Was denken die sich denn, bitte?!“, geht’s mir durch den Kopf. „Frechheit!“ Statt der erwarteten verschweighöferten Schlagerpopgrütze ist das … richtige Musik; eigen, persönlich und schon eher unkommerziell. Alternative Chansons von Musikern, die Tom Waits und Nick Cave bestimmt genauso mögen wie ein wenig Dark Wave ab und an. Insight des Tages: Nicht Recht zu haben ist manchmal schon ganz geil, auch wenn man sich doof dabei fühlt.
Boah, ey, schreibt der Kerl jetzt endlich mal was über’s Konzert? Mal immer mit der Ruhe, Schätzken. Bringt doch nichts, eine Kritik zu lesen, wenn man keinen Eindruck davon hat, wer dahinter steckt. Ab jetzt haben wir nämlich sowas wie ’ne Beziehung.
Keine 24 Stunden später stehe ich also im LUX, schön beim Eingang, schräg vor der Bühne, so dass ich nur die Hälfte der Musiker zu sehen bekomme. Selbst schuld. Keinen Bock auf In-die Menge-drängeln, obwohl sich im Publikum glücklicherweise keine knapp beschürzten Teenagermädels befinden, von denen hysterische Kreischanfälle zu befürchten wären. Stattdessen besteht die ZuschauerInnenschaft überwiegend aus Menschen, die (Achtung: völlig unverifizierte Behauptung) bestimmt schon mal ein Buch gelesen haben, noch nie beim Ballermann auf die Promenade gekotzt haben und für die Musik mehr als bloße Berieselung ist. Kurz gesagt: Leute, mit denen ich höchstwahrscheinlich über dieselben Sachen abschnaufen könnte. Ich fühle mich zuhause.
Matthew Matilda.
Los geht der Abend mit dem manchesteraner Songwriter Matthew Austin, der mit zwei deutschen MusikerInnen an Bass und Schlagzeug [Matilda Pfeiffer & Johannes Rothmoser] auf Tour ist. Kann man nicht meckern. Genau so geht alternative Singer-Songwritermusik heutzutage: ein bisschen abgerissen, ein bisschen dahingeseufzt, ein bisschen abgerockt. Nur früher vielleicht ein klitzekleines bisschen zu viel Damien Rice gehört, um aus der Masse hervorzustechen. Wenn die schrottige Gitarre zwischendurch den Geist aufgibt, wird damit rumkokettiert, wie wenig Ahnung man von diesen ganzen technischen Sachen hat. Bevor es nach einem Tritt auf einen von etwa zehn Fußschaltern weitergeht. Professionell inszenierte Schluderigkeit von einem, der ganz genau weiß, was er da macht. Daumen hoch von mir.
Note to self: Dem zweiten Damien Rice Album müsste ich echt nochmal ’ne Chance geben.
An diese Stelle gehört der obligatorische Satz: „Nach einer kurzen Umbaupause entert die Hauptband die Bühne.“ (Konzertkritikenklischees: Fuckyeah!) Eine Band als sympathisch zu bezeichnen ist eine ähnlich ausgelutschte Beschreibung, ich weiß, aber was willste machen? Tom Schilling & The Jazz Kids sind sympathisch. Natürlich trägt man zu dieser Musik Anzug und Krawatte. Die Professionalität der Performance und das Pathos der Songtexte wird kontakariert durch die Interaktionen der Musiker miteinander und Schillings liebenswert dahingenuschelten Anti-Moderationen. Sinngemäß: „Heute ist das erste Konzert der Tour. In Hannover.“ Das Publikum applaudiert begeistert. „Ja, das hat sich eher zufällig ergeben.“ Knüller.
Neben den Songs des Albums gibt es Coverversionen, unter anderem von Hildegard Knef, die nahtlos ins Programm passen. Ganz ehrlich? Es gehört schon einiges dazu, „Kinder“ von Bettina Wegner zu covern (Sind so kleine Hände …), ohne dass mir eine Peinlichkeitsgänsehaut vom Nacken bis zum Sack prickelt. Um genau sein, weiß ich gar nicht, wie das überhaupt möglich ist, aber es funktioniert. Tom Schilling & The Jazz Kids schaffen es sogar, Zeilen wie folgende authentisch rüberzubringen:
„Auf der Birke im Hof schläft ein Rabe,
Im Schnee der Neujahrsnacht,
Schwarz-weiß versteinert hockt er da,
Bis im Grau er zum Leben erwacht.“
Die Grenzen zwischen Kitsch und Pathos sind ja bekanntlich fließend, aber wenn man dazu in Liam Gallagher Pose, Hände auf dem Rücken verschränkt und den Oberkörper leicht vorgebeugt, mit geschlossenen Augen ins Mikro schmachtet, kommt man mit sowas offenbar durch. „Falls das Kitsch ist“, denke ich, „stehe ich auf Kitsch!“, nehme einen Schluck Bier und finde mich ganz schön cool dabei in meiner Lederjacke.
Am Ende des Abends wirken alle Beteiligten glücklich und zufrieden. Dass das Konzert von einer größeren Location ins LUX verlegt wurde, war eventuell enttäuschend für die Band, letzten Endes aber seltsam beruhigend. Das Ganze ist einfach zu gut, um mainstreamkompatibel zu sein. Außerdem kann ich dadurch weiterhin meinem musikalischen Snobismus frönen und herablassend vor mich hinschnaufen, wenn irgendwer Tom Schilling & The Jazz Kids nicht kennt.
Galerien (by Isabelle Hannemann):
Setlist Tom Schilling & The Jazz Kids:
- In dieser Stadt
- Weiß Rot Schwarz
- Julie
- Draußen am See
- Ja oder nein
- Rasteryaev
- Der Turm stürzt ein
- In diesem Jahr
- Genug
- Kein Liebeslied
- Kinder
- Ein Junge
- Rene
- Kalt ist der Abendhauch
Encore - Das Lied vom einsamen Mädchen (Knef – Nico – Veljanov – Gore – Schilling Cover)
Encore 2 - Schwer dich zu vergessen
Encore 3 - C2H6O
Links:
www.facebook.com/TomSchillingAndTheJazzKids
www.facebook.com/matthewmatildaa
Veranstalter:
Hannover Concerts