Von der Körpergröße her gesehen ist Tom Schilling mit 1,70 m eher klein. Doch was zählen schon Zentimeter. Würde man seine Filmografie in Zentimetern messen, dann wäre der Berliner ein Riese. Bereits mit 6 Jahren hat er in seinem ersten Film mitgewirkt. Zu damaligen Zeitpunkt noch eine DDR-Produktion begann für ihn die „Stunde der Wahrheit“. Danach ging die Schauspielkarriere des Tom Schilling richtig steil. Nach einigen Rollen am Theater, wirkte er dann an diversen Fernsehproduktionen (Tatort, Das Adlon, Bloch, Soko Köln u.a.) mit. Den Durchbruch schaffte er allerdings mit seinen Spielfilmen (Napola-Elite für den Führer, Werk ohne Autor, Who Am I u.v.a.). Für die Hauptrolle in der Tragikomödie „Oh Boy“ erhielt er sogar den Deutschen Filmpreis. Bei den Dreharbeiten zu diesem hochgelobten Low-Budgetfilm lernte Schilling die Musiker der Band „The Major Minors“ kennen. Und dann hat es irgendwie Klick gemacht, der Himmel öffnete sich und ein Chor sang Hallelujah. Ganz so war es wahrscheinlich nicht, aber bestimmt so ähnlich. Man war sich sympathisch und dachte, warum machen wir nicht was zusammen. Gute Idee, so hatten alle Parteien etwas davon. In der Biologie bezeichnet man das als Symbiose. Im richtigen Leben nennt man das Tom Schilling & The Jazz Kids.
Tom Schilling kündigt seine „Vorband“ persönlich an. Das zeugt von Stil und Respekt. Die „Vorband“ ist dann „nur“ einer: Andreas Vey und sein Klavier. „Der Mann singt wie ein Engel“, kündigt Schilling ihn an. Laut seinem Promoter singt Andreas Vey gefühlvoll, unverkennbar und virtuos. „Seine Musik ist wie eine Decke, die einen an regnerischen Wintertagen warmhält“. Das passt ganz gut, denn draußen regnet es tatsächlich und richtig warm ist auch nicht. Anfangs ist der junge Mann aus Hameln noch sichtlich nervös. Wahrscheinlich liegt es daran, dass seine Eltern heute zugegen sind. Aber das gibt sich schnell.
Seine Musik sind gefühlvolle, in Englisch gesungene Balladen die sich textlich mit der Suche des Einzelnen nach Liebe, Zuflucht und Orientierung beschäftigen. Also alles Dinge, die auch einen selbst beschäftigen oder beschäftigt haben. Nach dem Set ist einem wirklich wärmer, nicht nur körperlich, nein auch ums Herz rum.
Trink endlich aus
Und dann mach dass du gehst
Nimm dir den Koffer
Pack alles ein
Und mach, dass du gehst
Tom Schilling kommt daher als würde er heute, im mit 200 Fans ausverkauften Lux, den Schlagerfuzzi geben. Sehr schick im Nadelstreifenanzug, Hemd bis oben geschlossen (das bleibt auch den ganzen Abend so), Krawatte, Krawattennadel. Sehr schick. Er könnte heute glatt als Kaiser Roland durchgehen. Jetzt fehlen nur noch Lieder über Liebe, schöne Welt und Tralala. Zum Glück kommt es nicht so. Tom Schilling hat textlich gesehen seine eigene Art über die Liebe und das Leben zu singen. Auf Herz reimt sich auch Schmerz.
Als Intro dient Marlene Dietrichs „Wenn ich mir was wünschen dürfte“. Mit „Das Lied vom einsamen Mädchen“ ist mensch dann gleich drin im Schilling-Universum. Stellt sich die Frage ist die Diskographie des Tom S. schon größer als die Filmographie?
Ja oder Nein?
Antwort: Noch nicht.
Noch bedienen sich Schilling und seine Jazz Kids einiger Cover-Hits. Gleich am Anfang kommt das gefühlvolle „Kinder“ von Bettina Wegner und ganz zum Schluß „Der Turm stürzt ein“ von Ton Steine Scherben. Dazwischen liefert er einen Song nachdem anderen aus dem durchaus gelungenen Erstling „Vilnius“. „Kein Liebeslied“, „Schwer dich zu Vergessen“ haben haben Melancholie im Kern, manche sind sogar boshaft. „Ballade von René“ ist eine galoppierende Westernnummer. „Rasteryaev“ wird von ihm allein an der Akustikgitarre gespielt. Die Jazz Kids haben nix mit Jazz zu zu tun. Musikalisch gehts mal Richtung Indie Rock, dann wieder ruhig bei den Balladen. Mal fädelt sich die Hammond in den Gehörgang.
Tom Schilling singt, schreit, taucht in die Lieder ein. Chanson kann er richtig gut. Ernsthaft. Enthusiastisch. Dieses Konzert ist definitiv kein Mitmachkonzert. Erst bei „Ja oder Nein“ übernimmt das Publikum den Duett-Part von Annett Louisan. Ein Lied zum Dahinschmelzen. Nachdem der Turm zum Einsturz gebracht wurde, entlädt sich die aufgestaute Energie im Publikum in einen frenetischen Applaus.
Oh Boy, das war gut.
Galerien (by Michael Lange bs! 2020):
Setlist:
- Das Lied vom einsamen Mädchen
- In Scherben
- Kinder
- Draussen am See
- Die Selbstsucht und die Scham
- Genug
- Das Lied vom Ich
- Die Weide
- Rasteryaev
- Schwer dich zu vergessen
- Die Ballade vom Eisenofen
- Die Ballade von René
- Kein Liebeslied
- Bitter und süß
- Kalt ist der Abendhauch
Encore: - Als wärs das letzte Mal
- Ja oder Nein
- Der Turm stürzt ein
Links:
https://selectiveartists.com/andreas-vey
https://de-de.facebook.com/TomSchillingAndTheJazzKids