Wenn jemand frisch verliebt ist, kommt irgendwann der Zeitpunkt, da will man die neue Liebe der Familie und den Freunden und sowieso der ganzen Welt vorstellen. Es kommt der Tag, an dem der Mann dann sagt: „So Leute, das ist sie“. Und neugierig wartet er auf eine Reaktion. Die Frauen gucken dann erstmal, beäugen die Neue: „Was ist denn das für eine? Was hat die überhaupt an? Und diese Frisur? Die alte, also die Frau davor, war doch nicht schlecht. Was soll das hier?“ Männer sagen wahrscheinlich nur:
„Hallo, herzlich Willkommen. Schön, dass du da bist.“ So könnte es sein, muss aber nicht. Vielleicht läuft es ja auch ganz anders.
Im Musikgeschäft läuft es aber ähnlich, nämlich genau dann, wenn eine Band eine neue Scheibe veröffentlicht. Monatelang hat man sich im Probenraum eingeschlossen, von Pizza und Dosenbier gelebt, an Musik und Texten gearbeitet, gefeilt, verworfen und neu aufgenommen, wieder verworfen und so weiter. Und dann geprobt, geprobt, geprobt. Und dann Tadaaa: die neue Scheibe ist raus. Das Baby ist geboren. Die neue Liebe ist da. Und wie heißt die Scheibe? „Mit geschlossenen Augen“. Was liegt da näher als…
Die neue Liebe erkennt man
mit geschlossenen Augen
Aber bevor mensch nichts mehr sieht, sollte man ein Auge auf Sascia werfen. Sie ist der Support des Abends und Looperin. Was ist das denn? Als Loop Station (oder Looper) werden technische Geräte bezeichnet, die es ermöglichen eine Tonspur aufzunehmen, um sie dann in Endlosschleife wiederzugeben. Dazu singt der Interpret:in, nimmt es wiederum auf und so weiter und so weiter. Viel ist über die Sängerin leider nicht rauszufinden, aber sie hat sogar schon ein Video gedreht, in einem Riesenrad. Sozusagen ein Loop in einem Loop. Unbedingt anschauen. Sascia mit C. Merken.
Tiefblau haben sich auf diesen Abend minutiös vorbereitet. Angefangen beim neuen Album bis hin zum Ablauf des Abends, des CD-Release-Konzerts im Musikzentrum Hannover. Wie wollen wir es angehen? Die 11-köpfige Band hat mit Sicherheit vorher ein Brainstorming gemacht? Einzige Frage: Was gehört für euch zu einem guten Konzert? Wir brauchen ein Album-Cover mit Wiedererkennungswert, wie wäre es mit einer Bühnenfigur? Super Idee, Kapelle Petra haben auch sowas. Wie wäre es mit einer Konfettibombe? Lieber nicht, ist nicht nachhaltig und wer soll das sauber machen? Na gut, dann halt Luftballons, machen Spaß und sorgen für Bewegung im Publikum. Was noch? Flagge zeigen auf der Bühne. Top. Und natürlich die Standards: Tanzen mit dem Publikum, La Ola und ganz, ganz wichtig: mit der Band durchs Publikum gehen, das schafft Nähe und steigert noch mal die Stimmung. Das ist der Plan, jetzt geht’s an die Umsetzung.
Rob Robson ist die Bühnenfigur schlechthin. Nicht nur auf dem Cover des neuen Albums, sondern auch original verkleidet am Merch-Stand. Für diese Marketingstrategie ein ganz dickes Extralob. Wie soll man Rob Robson beschreiben? Er ist Personal Jesus im Körper eines Floristen auf dem Weg zum Wellnesswochenende im Gartenmarkt, vorübergehend gestrandet an einer U-Bahn-Station. Oder ist er einfach nur ein Zimmerpflanzenmodel? Nach eigenen Angaben will er nur in die HAZ, aber er wird definitiv Höheres erreichen, alle Titelblätter größerer Gazzetten (Rolling Stone, Bunte, Haus und Garten) dürften ihm gehören. Der coolste Typ des Abends. Da kann Sänger Dirk Nerschbach an diesem Abend noch so viel auf der Bühne ackern, da kommt er heute nicht ran. Nerschbach ist ein Malocher, ist Bindeglied zu seiner Bläserfraktion, seinen Backgroundladies, er scherzt mit Tastenmann Tobi, ist Ansager und Stimmungsmacher fürs Publikum. Dieses besteht wie immer aus Familie, Freunden, Fans und Feierwütigen.
Man soll auförn, wenn´s am schönsten ist
Doch wer weiß, ob´s nicht noch besser wird-
Der Verstand war laut, doch mir scheint,
als hätten wir besser auf´s Herz gehört
Ganz vorne mittig steht Ute. Sie ist nicht nur Tobis Mutter sondern steht auch mit ihrem Enkel da wo es am Besten ist. Sie gibt richtig Gas. Und nicht nur Sie, das ganze Publikum erlebt einen denkwürdigen Abend. 365 Karten im Vorverkauf abgesetzt, ca. 40 noch mal an der Abendkasse. 400 Leute, das klingt jetzt nicht so viel, aber für eine Band, die alles selbst macht, ist das mega. Das Musikzentrum ist praktisch ausverkauft, Zuschauerrekord für Tiefblau bei einem eigenen Konzert. Genauso mega ist der Sound im Musikzentrum. Muze-Mischer Murray hat die Regler top eingestellt. Gegen 20:30 geht’s mit „4 Uhr morgens“ los, beste Zeit für „Marzipan“ und dann geht’s Schlag auf Schlag. Erstes Lied der neuen CD ist „Gegen den Wind gesät“, später kommt der Titelsong „Mit geschlossenen Augen“. Ein sehr ruhiges Lied, also Augen zu und nur Genießen. Dass Sänger und Frontmann Dirk Nerschbach die Reihenfolge der Lieder nicht im Kopf hat, Geschenkt! Man kann sich nicht alles merken. Gibt ja noch 10 andere Personen auf der Bühne. Dass er sein Mundharmonikasolo nach eigenen Worten verkackt, weil er es verpasst, so what, das macht den Mann nur noch sympathischer. Man muss sich das mal so vorstellen: monatelange Vorbereitung auf diesen Tag mit allen möglichen Baustellen, die so auftreten können. Stress, Anspannung, dann Adrenalin bis zum Anschlag. Um dann im Verlauf festzustellen, das Ding hier funzt wie doof.
Die Anspannung nimmt endlich etwas ab, aber Konzentration und Kondition auch. Gefühlt läuft Dirk irgendwann auf Reserve. Nerschbach ist halt nicht mehr Amelung(e). Doch der Sänger ist konzertgestählt und einige ruhigere Lieder und Gerstenkaltgetränke helfen über den Berg. Irgendwann ist dann Rob Robson auch auf der Bühne. Schön im Campingstuhl verfolgt er die Menge, aber dann hält ihn nichts mehr. Der Typ ist sooo cool, und seine Moves so hot. Zu „Beifahrer“ geht die Band dann ab ins Publikum, mal die Stimmung checken. Alles singt, tanzt, hat Spaß. Die Menge ist besoult vom Hannover Soul. Klassischerweise ist „Im Soll“ der letzte Song des Abends. Man soll halt aufhören, wenn es am schönsten ist. Nein, am allerallerallerschönsten. Dieser Meinung ist ganz vorne auch Ute, Ultra-Fan der ersten Stunde. Was viele nicht wissen. Ute ist auch eine Kunstfigur, besser gesagt eine Figur der Kunst, besser gesagt Künstlerin. Sie ist Malerin. Musiktechnisch bevorzugt sie die Farbe tiefblau, aber maltechnisch ist da nichts bekannt. Aber man kann es herausfinden. Am 02.03 und 03.03.24 findet von 12-18 Uhr bzw. 11-17 Uhr ein offenes Atelier in der Vahrenwalder Str. 213 in Hannover statt. Fragt nach Ute, sie steht ganz vorne.
Galerien (by Michael Lange bs! 2024):
Setlist:
- 4 Uhr morgens
- Marzipan
- Gegen den Wind gesät
- Träumer
- Hinter dem Burnout
- TV- Mann
- Lass unser Boot zu Wasser
- Fallobst
- Jahre mit dir
- Ohne Lampe
- Mit geschlossenen Augen
- Vom einen in die Andere
- Vorläufiges Ende
- Gib mir Musik
- Puddingessen & Fahrradfahren
- Golfplatz
- Wie weit das Auge reicht
- Aus dem Herzen
- Hätte Könnte Würde
- Beifahrer
- Du gehst mir aufs Gemüt
- Hausparty
- Immer aufm Sprung (Mudda)
- Jetzt steh ich hier
- Im Soll
Links:
www.tiefblau-musik.de