Um die Namensgebung dieser Band ranken sich ja Legenden. Wie finden 10 Menschen zueinander, um eine Band zu gründen? Wäre diese Band verheiratet, hätte sie schon Silberhochzeit gehabt. Also mal kurz gerechnet, die Gründung war tatsächlich im letzten Jahrhundert. Oh Mann. Wie lief das da wohl ab? Internet? Einwählen durch Modem? Lustig. Wohl eher nicht. Also doch den analogen Weg. Anzeige in der Zeitung, Aushang in der Uni oder im Supermarkt oder vielleicht doch ein zwangloses Treffen im Sauna-Club. „Na Süsse, Bock auf Mucke?“
Wie auch immer. Letztendlich haben sich 10 Menschen gefunden und gesagt wir wollen zusammen Musik machen, lasst uns mal treffen und das weitere besprechen. Wie diese „Besprechung“ wohl ausgesehen hat? Vielleicht ein gemeinsames, entspanntes Grillen unter Einnahme von alkoholischen Getränken. Könnte sein. Könnte auch sein, dass am Ende dieser Veranstaltung alle ganz schön angetrunken, also blau waren. Manche vielleicht so gar noch blauer. Und dann hat bestimmt einer gesagt: „Ihr seid doch alle tiefblau“. Zack. Passt. Welche Musikrichtung machen wir? Dann die Stimme von hinten: „Ich kann kein Englisch, lass uns deutsche Texte singen“. Okay. Und ruhiger sollte die Musik auch sein. Na gut. Wir machen Soul. Aber nicht irgendeinen Soul, sondern Hannover Soul. Passt. So war das damals. Ganz bestimmt.
Und wir schießen nur noch Fotos
Und keine Menschen mehr
Die brauchen wir zum Tragen,
denn die Kameras sind schwer
Legende hin, Legende her. Bevor tiefblau mit ihrem Soul die Fans beseelen ist zunächst noch folgende Frage zu klären: „Was haben Herr Müller und Miss Daisy gemeinsam? Antwort: „Einen Chauffeur“. Also Miss Daisy hat ganz sicher einen, bei Herrn Müller weiß man es nicht so genau. Dafür hat Herr Müller einen „Löwen“, so eine Art Bühnenskulptur, die eigentlich fast den ganzen Abend nur stumpf ins Publikum glotzt. Kann man so machen, aber ganz ohne Mimik ist der Gag nach 47 Sekunden verflogen. Gut, dass Herr Müller außer dem „Beschützer-Löwen“ auch seine Gitarre und seine Lieder dabeihat. „Christian Müller-Mentges beschreibt in seinen selbst geschriebenen Songs das Leben des kleinen Mannes, eine Welt, in der selbst Liebeslieder eine kleine Wehmut und Wehmutslieder ihr kleines „Aber trotzdem!“ nicht verbergen können.“ Soweit die Ankündigung des Veranstalters. Was dann von Herrn Müller performt wird, passt nicht ganz zu den Erwartungen des Publikums. Der Hannoveraner hat mit Songs wie „Kaufen“, „Kippen“ oder „Karneval“ durchaus hörbares Liedgut. Dieses sollte mensch sich allerdings zunächst über Streaming etc. anhören und dann live in intimerer Atmosphäre genießen. Besser ist das.
Was hat Bandleader Dirk Nerschbach gehadert. Die Vorverkaufszahlen für dieses Konzert waren dermaßen deprimierend (so 40 bis 60 Fans), da kann schon mal Frust und natürlich Angst aufkommen. Allein schon der wirtschaftliche Verlust wäre eine mittlere Katastrophe.
Da kann mensch schon mal…
Die Hosen voll haben
Die Band will endlich den nächsten Schritt gehen und eine Live-Scheibe raus bringen und betreibt hierfür einen Riesenaufwand mit vier Kameras und einem Spitzenmann am Mischpult und was ist? Keiner kommt!? Doch auch tiefblau hat eine Fanbase. Sowohl Familie, Freunde aber auch Fremde (die als Freunde gehen werden) sind gekommen. Noch während des Auftritts vom Müller, steht Nerschbach auf der Empore und kriegt das Grinsen nicht aus dem Gesicht. Der Innenraum des Musikzentrums ist mit 250 Fans sehr, sehr gut gefüllt, die Atmosphäre stimmt, die Vorfreude bei allen Beteiligten ist mit den Händen greifbar. Alle haben Bock, sogar der Löwe. Der macht jetzt die Ansage für das Dezett, sogar ohne Maske. Besser ist das. Tief… Blau, Tief… Blau, Tief…Blaaauuuu
Und dann kommt die Truppe auf die Bühne. 8 Kerle und zwei Ladies. Schlagzeug, Bläser, Bass, Gitarre, Keyboard, Background-Gesang und Frontmann und Sänger Dirk Nerschbach. Der wird nach dem Konzert von einem weiblichen Fan als Rampensau bezeichnet. Stimmt. So auf den ersten Blick könnte er aber auch als Bär durchgehen. Balu?! Gemütlicher Typ, Vollbart, Sonnenbrille, Hawaii-Hemd. Ein Kerl zum Knuddeln. Der Tief-„Balu“ von Tiefblau. Mal hören, was seine Frau dazu sagt. Die macht an diesem Abend den Merch-Stand. Der Sound der Band ist von Beginn an auf höchstem Niveau. Treibende Beats gehen über das Ohr direkt ins Bein. Die Texte gehen naturgemäß auch über das Ohr, bleiben allerdings im Kopf stecken. Mit dem „TV Mann“ geht’s los und dann gibt’s „Marzipan“. Die Texte sind durchaus gesellschaftskritisch, handeln von Burnout oder auch, leider immer aktuell, vom Krieg („Schießen nur noch Fotos“). Und natürlich ist die Liebe ein Thema, aber ernsthaft und nicht sülzig. Zwischenmenschliches aus dem Hier und Heute, aber auch Erinnerungen an Vergangenes, schöne Situationen aber auch Beziehungen, die nicht mehr von Liebe geprägt sind, aber dafür von andauerndem Respekt. Apropos Respekt. tiefblau ist keine One-Man-Show. Hier darf jeder mal im Mittelpunkt stehen für sein persönliches Solo. Nerschbach ist der Anchorman, der die Ansagen macht und die Truppe führt, aber insgesamt ist das hier eine homogene Einheit, die auch mit Tanzeinlagen auf der Bühne oder einem Marsch der Bläser durch die Menge für Stimmung sorgt. „Valerie“ lieben alle und bei der „Hausparty“ geht’s noch mal richtig ab. „Immer aufm Sprung (Mudda)“ mit Rap-Einlage und dann noch „Jetzt steh ich hier“. Tiefblau ist voll „Im Soll“. Wahnsinn. Um noch mal auf die volle Hose zurückzukommen, das war ein scheißgeiler Abend. Danke dafür.
Galerien (by Michael Lange bs! 2022)
tiefblau (26.11.2022, Hannover)
Herr Müller (26.11.2022, Hannover)
Setlist:
- TV Mann
- Marzipan
- Aus dem Herzen
- Träumer
- Hinter dem Burnout
- Es brennt noch Licht
- Schießen nur noch Fotos
- Fallobst
- Ohne Lampe
- Jahre mit dir
- Von einem in die andere
- Vorläufiges Ende
- Gib mir Musik
- Puddingessen
- Golfplatz
- 4 Uhr morgens
- Valerie
- Hätte Könnte Würde
- Beifahrer
- Du gehst mir aufs Gemüt
- Hausparty
- Immer aufm Sprung (Mudda)
- Jetzt steh ich hier
- Im Soll
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