Es ist zugegeben etwas ungewohnt, wenn man vor einem Konzertabend „Where the Fuck ist eigentlich Isernhagen?“ ins Navi tippen muss und dann in den Speckgürtel von Hannover geleitet wird. Aber warum auch nicht? Es muss ja nicht immer Berlin, Hamburg, München oder Köln sein. In Isernhagen angekommen führt einen das Navigationsgerät durch dunkle Gassen im Industriegebiet und fordert dazu auf, vor einer riesigen Lagerhalle zu stoppen. So fängt jeder mittelschlechte Horrorfilm an, mag mensch meinen, aber hier scheint es recht sicher. Vor der Eingangstür mit dem „Blues Garage“-Schild reiht sich US-Car an US-Car. Cadillac Escalade, Ford Mustang und der ein oder andere Chevrolet lassen bereits vermuten, wie es im Inneren der Blues Garage ausschaut. Nach dem Öffnen der schweren Holztür werden sämtliche Erwartungen erfüllt: US-Kitsch und unzählige Memorabilien von all den großen Musiklegenden schmücken jede Ecke der Räumlichkeiten, welche durch ganz viel Liebe zum Detail und ein paar Holzbretter zusammengehalten werden.
Dafür kann man definitiv schon Mal nach Isernhagen fahren.
Zwei Stunden nach Einlass Betritt der Chef des Ladens persönlich die Bühne um die Gäste zu begrüßen und die Künstler anzukündigen, auch das scheint wie ein Akt aus vergangenen Zeiten und fügt sich perfekt in das Gesamtbild ein. Nach kurzem Beifall betreten The Graveltones unter den wachsamen Augen der überlebensgroßen Frank Zappa und Jimi Hendrix-Portraits die Bühne. Schon nach den ersten Tönen werden sie eins mit dem Laden, hier gehören sie her, das ergibt Sinn. Das Londoner Duo spielt schweren Blues-Rock und das laut und ohne Bass. Nur eine Gitarre und ein Schlagzeug, da bleiben die White Stripes-Vergleiche natürlich nicht aus und auch die Queens of the Stone Age kann man klar als Inspirationsquelle aus ihren Songs heraushören, aber nur partiell.
Jeder Song klingt anders, von Einseitigkeit kann keine Rede sein. Beide Musiker gehen geradezu virtuos mit ihren Instrumenten um. Sänger Jimmy O wirbelt manisch über die Bühne und zeigt alle Facetten, die seine Stimme hergibt und schießt dem Zuhörer seine Worte schnell wie Pfeile um die Ohren, während Schlagzeuger Mickey Sorbello sich immer neue Möglichkeiten sucht, auf sein Instrument einzuschlagen. So auch beim siebten Song des Abends „You’re no good“. Während Jimmy O anfängt laut zu lachen, steckt sich Sorbello Panzertape-Streifen in die Ohren und greift sich direkt vier seiner Sticks, um anschließend mit ebendiesen noch mehr Lautstärke aus seinen Trommeln zu prügeln, als physikalisch eigentlich möglich.
Ein großer Teil des Publikums nimmt die Vorband anerkennend an, aber leider gibt es auch diese „mit-verschränkten-Armen-und-starrer-Miene-im-Weg-Rumsteher“, die mit aller Kraft versuchen, den Stimmungsaufbau zu bremsen. Was teilweise auch gelingt. Nach dem übermäßig mächtigen „You’re no good“ stimmen The Graveltones mit „Forget about the trouble“ eine seichte Nummer an. Kommt nicht gut an. Lautes Gerde macht sich im Publikum breit. Hoffentlich ist das nicht der letzte Song…so sollte kein Gig enden. Und das tut er zum Glück auch nicht. Mit „Fancy Things“ legen The Graveltones noch einmal ordentlich nach, um dann durchgeschwitzt und mit einem ganz ordentlichen Applaus die Bühne zu verlassen.
In der Umbaupause packt der Chef des Hauses noch persönlich mit an, um schon nach kürzester Zeit The Temperance Movement ankündigen zu können. The Temperance Movement durften bei den jüngsten Stadionshows der Rolling Stones die Rolle des Supportacts einnehmen und wer das gesehen hat, der weiß wie gut sich die fünf Briten auf der großen Stadionbühne machen. Umso spannender ist es nun, sie auf der kleinen Eckbühne der „Blues Garage“ zu betrachten.
„Platz ist in der kleinsten Hütte“
Man rätselt besorgt, wie Sänger Phil Campbell seinem Drang zum ausgiebigen Ausdruckstanz nachkommen soll. Nach dem Motto: „Platz ist in der kleinsten Hütte“ betreten die fünf Blues-Rocker von The Temperance Movement, welche sich kurzfristig den Drummer der Graveltones ausleihen mussten, selbstbewusst die Bühne und legen mit „Modern Massacre“, einem der wildesten Songs auf dem letzten Langspieler „White Bear“ los. Gute Entscheidung. Die Tanzbeine schwingen sofort. Von da an geht es im Wechsel durch die noch überschaubare Diskographie der Band. Campbell mimt mit seiner Sonnenbrille in der Nacht den distanzierten Rockstar, was in so einem Club etwas fehl am Platz wirkt, schließlich steht jeder im Schweiß des anderen und einen Bühnengraben gibt es nicht, intimer geht es kaum. Das tut der musikalischen Leistung allerdings keinen Abbruch.
intimer geht es kaum
Mit großen, stadiontauglichen Nummern wie „Oh Lorraine“, „Three Bulleits“, „Only Friend“ und „Battle Lines“ zeigt die Band deutlich, dass sie sich die Rockstarattitüde durchaus verdient hat. Einziges Manko ist streckenweise der eigentlich tolle Sound. Sobald alle Bandmitglieder zusammen in die lauten Teile der Songs einstimmen, wird Campbells wahrlich außergewöhnliche Stimme übertönt. Schade, denn genau in diesen Teilen brilliert sie für gewöhnlich. Auf große Ansagen, kleine Scherzchen oder Gefühlsausbrüche, egal welcher Art, wartet man an diesem Abend vergeblich. Auch der Tanzdrang des Sängers kommt an diesem Abend nicht so durch, wie gewohnt, aber den Schellenring spielt er weiterhin so anmutig wie kaum ein anderer.
Durch die „Blues Garage“ weht der Wind der 70er, welche große Teile des Publikums noch selbst miterlebt haben dürften. Ein Publikum aus alteingesessenen Rock’n’Roll Fans anzulocken ist für eine so junge Band eine tolle Leistung.
Bei dem namensgebenden Song des letzten Albums „White Bear“ holt Campbell die Akustikgitarre raus, um das Stück in ein ruhigeres Klanggewand zu packen, welches ihm ebenfalls überraschend gut zu Gesicht steht. Danach geht es für die letzten Stück in voller Lautstärke weiter. Nach „Battle Lines“ verlässt die Band die Bühne, um kurz darauf unter wahnsinnigem Jubel für eine letzte Zugabe zurück zu kommen. Wer denkt, jetzt gäbe es noch einmal richtig etwas auf die Ohren irrt. Mit „Lovers and Fighters“ schicken The Temperance Movement ihre weit angereisten Fans mit einer sanften Ballade nach Hause.
„Shine on, brothers and sisters, shine on
Keep on living when the reaper breaks the dawn
Fight on, all you lovers, fight on
Yea we carry on“
Galerien:
Setlist The Graveltones:
1. Bang Bang
2. Can’t Tell A Man
3. In The Throes
4. Love Execution
5. To What It’s now
6. Forget About The Trouble
7. You’re No Good
8. Good To Ourselves
9. Fancy Things
Setlist: The Temperance Movement
1. Modern Massacre
2. Midnight Black
3. Do The Revelation
4. Three Bulleits
5. Smouldering
6. Oh Lorraine
7. Be Lucky
8. Magnify
9. Pride
10. Ain’t No Telling
11. The Sun And Moon Roll Around To Soon
12. White Bear
13. Get Yourself Free
14. Only Friend
15. Take It Back
16. Battle Lines
17. Lovers and Fighters