Wenn mensch auf die Seite des Konzertveranstalters schaut und so ein bisschen verfolgt, was da so im Laufe der, sagen wir mal letzten 6 Monate, so passiert, der muss sich schon wundern. Während andere Konzerte zum ersten, zweiten, dritten Mal aus bekannten Gründen verlegt oder sogar abgesagt werden mussten, steht das Konzert dieser kanadischen Band geradezu felsenfest im Terminkalender: 09.03.2022, The Dead South, Capitol Hannover. Und das Beste? Der Gig ist ausverkauft. Und die Konzerte davor in Skandinavien? Auch ausverkauft.
Das ist ungewöhnlich
Genauso wie die Musikrichtung des Abends: Bluegrass. Bluegrass ist US-amerikanische Volksmusik. Volksmusik? Da öffnet das Capitol seit gefühlt 1378 Tagen wieder seine Pforten und dann gibt’s Volksmusik? Das muss mensch schon wollen. Und das Ganze auch noch ohne Schlagzeug und hier auch noch ohne Fiddle. Das muss mensch schon wollen und sich drauf einlassen.
My life’s a bit more colder,
Dead wife is what I told her
Brass knife sinks into my shoulder
Oh babe don’t know what I’m gonna do
Der Einlass ist unkompliziert. Personal- und Impfnachweis vorzeigen und schon ist man drin. Und wer jetzt glaubt das Capitol wäre voller Spinnweben, ob des langen Leerstandes, der irrt. Alles picobello im Cappi. Die Theken besetzt, das Bier gezapft. Kann losgehen. Und ein Schlagzeug steht auch auf der Bühne. Wie jetzt Schlagzeug? Bluegrass ist doch ohne Drums. Japp, das stimmt. Aber jetzt kommen erstmal The Hooten Hallers und die können Blues, Soul und Rock´n´Roll. Geht doch. Geht ab.
Die Hooten Hallers sind eine „energiegeladene Blues-, Soul- und Rock’n’Roll-Band, die für ihre düstere Americana-Roots-Musik bekannt ist“. So viel Wikipedia-Info zur Band aus Missouri. Und? Wikipedia lügt nicht. John Randall (Gitarre, Slide-Gitarre, Gesang), Andy Rehm (Schlagzeug, Gesang) Kellie Everett (Baritonsaxophon, Basssaxophon, Gesang) geben von Anfang mächtig Gas. Ihr Opener „Sticks and Stones“ geht vorwärts, so wie alle nachfolgenden Stücke auch. Schön knarzend galoppiert das Trio durchs Capitol. Rock´n´Roll. Endlich. Endlich. Endlich. Die Leute müssten Durchdrehen, Singen, Klatschen. Und wat is? Nix. Klatschen verboten? Der Chef der Sicherheit sagt auf Nachfrage: Nö!! Alles erlaubt.
Das ist ungewohnt
Das ausverkaufte Capitol kommt nur langsam auf Betriebstemperatur?! Nach so langem pandemiebedingtem Livemusik-Entzug? Na gut. Dann muss halt die Volksmusik ran. The Dead South kommen aus Regina, Kanada. Gerüchten zufolge soll hier ja der Spruch mit dem Fuchs und dem Hasen entstanden sein. Aber wie gesagt, alles nur Gerüchte.
Kaum sind die Jungs auf der Bühne, wird im Publikum ein Schalter umgelegt. Von OFF auf sowas von ON. Klatschen, Singen, Grölen. Volksmusik halt. Nathaniel Hilts (Gitarre, Gesang), Scott Pringle (Gitarre, Mandoline), Cellist Danny Kenyon und Colton Crawford am Banjo satteln kurz auf und los geht der Ritt. Wie im Western. Vier Lampen (am Bühnenrand stehen große elektrische in Petro-Form) für ein Halleluja. Danny und die Hütchenspieler als Filmtitel könnte auch gehen. Der Cellist hat als Einziger keine Kopfbedeckung auf. Vielleicht liegt es ja daran, dass Danny Kenyon 2020 nach Vorwürfen sexueller Belästigung die Band verlassen musste. 2021 stieg er wieder ein. Und jetzt ist er auf „Bewährung“ und muss sich seinen Hut erst wieder verdienen. Sind nur Gerüchte.
Obwohl die Instrumentierung als auch der Harmoniegesang der Band darauf schließen könnten, dass hier textlich fröhliche Themen behandelt werden, wird dann doch eines Besseren belehrt. Um Mord und Totschlag geht es gleich ziemlich am Anfang („Diamond Ring“). „Blue Trash“ erzählt von Verlust und Angst. Da kann mensch ja den Blues kriegen. Wie heißt die Musikrichtung nochmal? Blues-Grass? Keiner hat hier den Blues. Die Fans haben Spaß, Singen, Grölen. So soll es sein. Volksmusik. Musik fürs Volk.
Auch die Lightshow der Band ist ein Highlight. Sehr abwechselungsreich, stimmungsvoll, mit vier immer wieder unterschiedlich beleuchteten Kirchenfenstern im Hintergrund. Geniale Idee. Das Intro zu „In Hell I’ll Be In Good Company“ wird mensch noch in Monaten vor sich hin pfeifen. Beim letzten Song „Banjo Odyssey“ wird dann noch von einer unglücklichen Liebe zwischen Cousin und Cousine erzählt. Ganz normale Themen halt im Universum des Toten Südens. The Dead South waren großartig. Und das ist kein Gerücht.
Galerien (by Michael Lange bs! 2022):
Setlist:
- Act of Approach
- Diamond Ring
- Blue Trash
- The Recap
- Dead Man’s Isle
- The Dirty Juice
- Time for Crawlin‘
- One Armed Man
- Broken Cowboy
- Boots
- Smootchin‘ in the Ditch
- Black Lung
- In Hell I’ll Be in Good Company
- That Bastard Son
- Honey You
Encore: - You Are My Sunshine
- Banjo Odyssey
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