Review: Von Bullen und Bären – “Woo-oo-ooo-oo-Woo-ooo-ooooo” The Cat Empire (03.11.2016, Hannover)

Bekanntlich beginnt ja das Wochenende für StudentInnen schon am Donnerstag – den Eindruck erweckt auch das junge Publikum, das ins Capitol am Schwarzen Bären in Hannover strömt. Es lockt der Ruf von The Cat Empire, eine unvergleichliche Live – Show zu bieten. Sie entführen in eine animalische Welt, in der vielfältige musikalische Elemente zu einer energetischen Tanzparty verschmelzen. Die “Rising With The Sun” Tour bewirbt das gleichnamige neue Album, das beim Release im März direkt auf Platz eins der Charts in der australischen Heimat gelandet ist. Mitgebracht haben sie ihre Nachbarn aus Melbourne, das Neo-Folk Trio Tinpan Orange.

Tinpan Orange (Foto: Victor Hedwig bs!)
Tinpan Orange (Foto: Victor Hedwig bs!)

Tinpan Orange eröffnen den Abend mit dem melancholischen Gesang von Emily Lubitz, um den sich das Gitarrenspiel ihres Bruders Jesse und das harmonische Geigen von Alex Burkoy ranken. Die sanfte Stimme Emilys ist dem ein oder anderen vielleicht noch von dem humoristischen viral Video “Dumb Ways to Die” vertraut, das die Melbourne Metro vor 4 Jahren als Sicherheitskampagne geschaltet hat. Schon damals taten sich Tinpan Orange und The Cat Empire als Tangerine Kitten zusammen und erzielten 140 Mio views auf Youtube. Ein Teil des Erfolgs wird von Emilys seidiger Stimme getragen, die irgendwo zwischen Freude und Trauer schwebt und ebenso gut zu Texten über verlorene Liebe passt:

Guess I could name a few times
And I, I would call them good times
But the sad thing about good times
Is you only know them when they wash away

Vorgetragen im weißen Hippie-Outfit in etwas buntem Nebel animiert sie mit Tamburin-Schellen schon einige zum Tanzen, die zum Tanzen gekommen sind. Die volle Aufmerksamkeit des Publikums haben Tinpan Orange jedoch noch nicht, da dieses teilweise entspannt plaudert. Die schnörkeligen Geigensoli von Alex – teils auch auf Mini-Gitarre! – kommen aber durchaus gut an und als verraten wird, dass Emily Geburtstag hat, stimmen alle vor der Bühne und auf der Tribüne in ein Geburstagsständchen ein …

– ein schöner Moment.

The Cat Empire (Foto: Victor Hedwig bs!)
The Cat Empire (Foto: Victor Hedwig bs!)

Zur Umbaupause bereiten bläserlastige Latinostücke und funky tunes auf einige der vielen musikalischen Einflüsse des Hauptacts vor. Als die sechs Musiker von The Cat Empire endlich die Bühne betreten, geht es auch mit einem sich aufbauenden Trompetenquietschen los – von den zwei “Empire Horns”, die als Unterstützung zusätzlich noch dabei sind. Mit dem jazzigen Kontrabass von Ryan Monro startet ein schneller Rhytmus, der mit einem mehrstimmigen Chorus “in the moonlight I’m with you – brighter than gold” in eine richtige Salsa übergeht, dominiert von Trompeteneinwürfen und rhytmischem Keyboard, das Ollie McGill etwas komplexer spielt als auf dem letzten Album “Steal The Light” von 2013. Viele Fans kann man in hellen Lichtblitzen mitsingen und tanzen sehen, während Sänger Felix Riebl mit ordentlich Bock und Swagger vor kaleidoskopischer Deko auf der Bühne herumjumpt.

Den zweiten Song “Prophets in the Sky” startet er an den Bongos, während Harry James Angus den Sing-Part übernimmt und seine stimmliche Bandbreite von bassig tiefen Tönen bis zum Falsetto demonstriert. Die gesanglichen Qualitäten der beiden sind beeindruckend und überzeugen live vollkommen – vom Klang her beinahe wie auf einem Studioalbum, aber noch gewagter, experimenteller.

The Cat Empire (Foto: Victor Hedwig bs!)
The Cat Empire (Foto: Victor Hedwig bs!)

So zum Beispiel beim vielschichtigen “Daggers Drawn” vom neuen Album. Es beginnt trotz treibender Percussion mit Ryans grooviger Bassgitarre recht ruhig, wird aber von wiederholten Fanfaren zu einem meiner Highlights des Abends geführt: Zunächst bietet Ollie ein ausgedehntes, komplexes Keyboardsolo, das teils polyrhytmisch ist, mit Effekten unterschiedlichste Klänge wie Trompeten-, E-Gitarren- und Nintendosounds hervorbringt, mal geisterhaft schrill, dann verzerrt bassig. Es folgt Will Hull Brown, der zeigt was er am Schlagzeug kann, um mit Trommelwirbel die Bühne für Jamshid “Jumps” Khadiwhala freizugeben, der nicht nur das Herz von HipHop-Fans höher schlagen lässt: Von Kuhglocken unterstützt scratcht er sich an den Turntables die Finger feurig und alle rasten so sehr aus, dass Harry die Band kurz stoppt und mit einem “holy shit” Raum für Applaus gibt, bevor sie nochmal einsteigen und er die Solosession mit wildem Scatten zu einem würdigen Abschluss bringt.

Music is the Language of us all!

The Cat Empire (Foto: Victor Hedwig bs!)
The Cat Empire (Foto: Victor Hedwig bs!)

Die Vielseitigkeit der Band spiegelt sich nicht nur in diesen Soli wider, sondern auch in Textzeilen auf Spanisch oder Französisch und den Ansagen auf Deutsch. So erklärt Sänger Felix Riebl vor dem Song “Bataclan”, der sich auf die Pariser Konzerthalle bezieht, in der auch Cat Empire schon wiederholt auf der Bühne standen, wie traurig ihn der terroristische Anschlag gemacht hat, und wie wichtig es gerade deshalb ist, weiter live Musik zu machen. Beginnend mit einem Trauermarsch und der Bekundung ewiger Liebe für die Opfer schlägt ein Latino-Rhytmus die Brücke zu einer Feier des Lebens, die bei aller Nachdenklichkeit zum tanzen anregt.

J’avais toujours de l’amour pour toi

Nothing but the Sun
Can black out whats been done
Torn away when the evening comes
Torn away when it comes

Bataclan va lutter!

So let the place roar: viva!

Dieser neue Song gibt auch dem pessimistischen “Lost Song” vom allerersten Album, der direkt davor gespielt wurde, einen neuen Kontext. Er erzählt etwas verquer-poetisch von dem Verlust von Plänen, der Richtung und den ‘neun Leben’ des lyrischen Ichs:

For now I know that things gone past
Are never to be found again
I had nine lives
But lost all of them

Die heiße Trompeten-Fanfare von “Still Young” fegt jedoch die letzten Reste bedrückender Stimmung aus der Halle und bringt die Party zurück, diesmal mit Ska-Offbeat und Dub-Interlude.

Is that love you’re running from?
If you lead then I will come

And while you’re still young
Find your heart and find your song

Die Hannoveraner scheinen ihren Song gefunden zu haben, denn sie grölen das catchige “Woo-oo-ooo-oo-Woo-ooo-ooooo” so motiviert mit, dass die Band nach Songende spontan darauf eingeht und eine Verlängerung gibt. Die Melodie zieht sich durch den Abend wie ein roter Faden.

The Cat Empire (Foto: Victor Hedwig bs!)
The Cat Empire (Foto: Victor Hedwig bs!)

Zum neuen, mystischen Song “Midnight” verbinden sich die beiden Bands in einem Duett der Eheleute Harry und Emily, mit dem sie ihren Geburtstag sowie den Mut in der Liebe feiern und das in einem tranceartigen Falsetto-Outro endet.

Music does something to me
I’m not the person that you think I am you see
I’ve always been shy
I’ve always been shy

If you want it
Go and get it
In the middle of the night
In the middle of the night

Spätestens bei den nächsten Songs “Steal the Light” und “In my Pocket” tanzen sich die meisten schwitzig und manche gehen in der Menge schwimmen. Und auch zum Reggae-Soca-Rock-Vibe vom neuen “Bulls” steppt der Schwarze Bär. Die Zugaberufe mit dem Ohrwurm von vorher werden mit dem Klassiker “The Chariot” erhört. Danach können es die Aussies nicht bei dem “thank you my dear friends, and that’s goodnight” von “All Night Loud” belassen, ohne zum Abschied noch einmal richtig einzuheizen.

The Cat Empire (Foto: Victor Hedwig bs!)
The Cat Empire (Foto: Victor Hedwig bs!)

The Cat Empire ziehen einen in ihre energiegeladene, chaotische Freiheitsvision, in der Leute aller Herrenländer und Musikrichtungen gemeinsam abdancen. “Cause whenever we’re together any strangers feel at home”. Über Texte, die vielleicht nich immer ganz kohärent sind, aber zumindest viele Facetten der Gefühlswelt des Menschen und seiner inneren Tiere berühren, und durch erstklassige musikalische Leistungen schaffen sie es für viele zu mehr als einer bloßen Partyband zu werden. Kein Song klingt bei ihren Shows genauso wie auf den Alben. Die Stücke werden angepasst, mit exquisiten Soli, einem neuen Dub oder Latino Rhytmus versehen, mit Pausen, die die Spannung aufbauen oder einer spontanen Verlängerung für die Jubelnden.

“Woo-oo-ooo-oo-Woo-ooo-ooooo”

Es gibt jedoch ein paar „Ungereimtheiten“ während ihrer Show. So herrschte mal Verwirrung darüber, welcher Song gespielt wird und Felix vergisst durchaus mal seinen Text. Aber auch bei diesen Pannen beweisen The Cat Empire souveräne Flexibilität. Das Glühen auf den Gesichtern in der Menge verrät mir, dass sie einigen von uns schon seit Jahren etwas bedeuten – so wie mir im 10 Jahre alten Fanshirt. Das scheinen sie selbst zu wissen und bedanken sich mit je drei Songs von ihren ersten beiden Alben bei jenen Fans, die mit ihnen aufgewachsen sind.

The Cat Empire (Foto: Victor Hedwig bs!)
The Cat Empire (Foto: Victor Hedwig bs!)

The Cat Empire haben in Hannover gezeigt, dass ihr guter Ruf gerechtfertig ist und sie auch mit den neuen Songs einer der besten Live Acts da draußen sind. Bis Mitte November ziehen sie noch weiter durch Europa, bevor die Tour in der australischen Heimat weitergeht. Von mir gibt es eine eindeutige Empfehlung sich das Spektakel zu geben!

Text: Johannes Neumann

Links:
www.thecatempire.com
www.tinpanorange.com

be subjective!
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be subjective! music webzine est. 2001 Live-Berichte und Konzertfotos stehen bei uns im Fokus. Die richtigen Wort für neue Töne, musikalische Experimente, Stimmungen in Bildern gebannt, Mega Shows in neuen Farben. Der Atem in deinem Nacken, die Gänsehaut auf Deiner Haut, der Schweiß durchtanzter Nächte zum Miterleben und Nachbeben. Interviews mit Bands und MusikerInnen.  be subjective! aus der Musikszene für mehr Musikkultur. 

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