Review: Bock auf Rock! – Spliff Reloaded – Potsch Potschka Band (08.12.2016, München)

Das Thermometer zeigt Minusgrade an, weshalb ich mich etwas steif durch das Areal der Kultfabrik bewege. Endlich weist mir die Leuchtreklame des Rockclubs Garage Deluxe in grellen, roten Lettern den Weg und ich erblicke das rechts vom Eingang hängende Hinterteil eines mintgrünen Chevrolet Impala aus dem Jahre 1960. Die typischen Geräusche eines Soundchecks dringen nach draußen in die Nacht. Rasch begebe ich mich in das wärmende Innere der Location, die aufgemacht ist wie die Filmkulisse einer amerikanischen Werkstatt. Ölfässer dienen als Stehtische und an den Wänden befinden sich eine Menge alte Werbeschilder aus der Automobilbranche.

Für diejenigen, die nicht das Vergnügen hatten die deutsche Rockband Spliff live zu erleben, hier kurz im Zeitraffer warum sich die Tour „Spliff Reloaded“ nennt: Spliff entstand aus der Nina Hagen Band und existierte von 1980 bis 1985. Sie galten als Kultband und bewegten sich abseits der sogenannten Neuen Deutschen Welle, die übers Land schwappte und den bisher verpönten, deutschen Gesang auf einmal salonfähig machte. Ihr Repertoire verband Rock, Funk und elektronische Musik. 1982 wurden sie in England zur besten Live-Band gekürt. Trotz drei erfolgreicher Alben löste sich die Gruppe 1985 auf. Der ehemalige Gitarrist der Band Berhard (Potsch) Potschka sicherte sich die Rechte an den damals entstandenen Songs, arrangierte sie neu und präsentiert sie im Mix mit Songs seiner aktuellen Formation, der Potsch Potschka Band.

Kurz nach 20:00 Uhr tauchen Potsch und seine drei Mitstreiter auf der Bühne auf und nehmen ihre Plätze ein. Sven Amann (The Stuges, Sam’s Living Room) der neue Sänger der Band begrüßt bestens gelaunt das Publikum und verkündet nicht ohne Stolz: „Wir legen jetzt mal so richtig los und rocken die Hütte – zwei Stunden lang und ohne Pause.“ Wow! Das ist doch mal eine Ansage.

Potsch Potschka Band (Foto: Axel Ganguin bs!)

Das Grollen eines heftigen Gewitters schallt durch die Boxen und los geht die Show mit „Love’s A Dinosaur“ vom 2015er Album „In Rock“. Potsch knallt uns ein donnerndes Riff in feinster Hard-Rock Manier entgegen. Sven Amann schnappt sich das Mikro und röhrt gleich volle Kanne mit. Einige Gäste schieben sich aus der dunklen Deckung vor zum Bühnenrand. Man will näher am Geschehen sein. Gleich hinterher schickt die Truppe die Rockballade „Liveboat“. Den Rhythmusteppich weben Urgestein Wolfy Ziegler (Guru Guru, Stahl) mit wummernden Bassläufen und Johannes Zeiß mit seinem straighten Schlagzeugspiel.

Dann erklingen die vertrauten Takte der ersten Spliff-Nummer des Abends, „Déjà Vu“ und lösen beim Publikum augenblicklich ein kollektives Erinnern an die 80er Jahre aus:

„So schreib dein Leben auf ein Stück Papier
und warte bis die Zeit vergeht.“

Auf die originalen Keyboard-Sounds wird verzichtet, da keiner Reinhold Heils geniale Tastenakrobatik imitieren will. Deswegen präsentiert uns Potschka die bekannten Melodien auf seiner Fender Strat. Dem Song tut das keinen Abbruch – im Gegenteil, eingebettet in dieses Live-Set wirkt das sehr homogen. Der Mann ist Vollblutmusiker. Durch sein virtuoses Gitarrenspiel gelingt es ihm die Fans von Anfang an zu begeistern. Gleich danach fliegt uns dann „Das Blech“ um die Ohren. Jetzt wird vereinzelt mitgesungen, denn man kommt ja schließlich auch, um mit den alten Hits etwas in der Vergangenheit zu schwelgen. Kaum geschwelgt, zieht uns aber schon „Midnight Train To China“ ins Hier und Jetzt. Eine etwas ruhigere, melancholische Nummer vom Album „In Rock“.

Johannes Zeiss – Potsch Potschka Band (Foto: Axel Ganguin bs!)

Man spürt, dass Potschka, Ziegler und Zeiß schon länger zusammen rocken und sehr gut aufeinander eingespielt sind. Bewundernswert ist die Leistung des sympathischen Sängers Sven Amann (dem Nachfolger von Walter Batzler), der sich in ganz kurzer Zeit über 20 Titel in sein Repertoire schaffen musste. Eine Meisterleistung! Es macht Freude zu sehen, mit welch Enthusiasmus und Energie sich der gebürtige Karlsruher einbringt und mit welcher Leidenschaft er die Stücke performt. Ein absoluter Glückstreffer für die Band.

Dann folgt ein Mix aus den alten Klassikern im neuen Arrangement-Gewand („Herzlichen Glückwunsch“, „Heut Nacht“) und den rockigen Titeln aus dem letzten Album („Active Shadow“, „In Search Of The Lost Ecstasy“, „Yesterday“). Der Mann am Mischpult versteht seinen Job und sorgt dafür, dass die einzelnen Instrumente schön klar und ausgewogen rüberkommen. Insgesamt ist der Sound zwar laut aber trotzdem warm und beseelt. (Ach ja, die guten alten Marshall-Amps.)

„Active Shadow“ kann absolut unter Heavy-Metal eingeordnet werden und „Yesterday“ driftet eher in Prog-Rock-Gefilde ab. Bei dem Instrumentalstück „Summary“ kommen dann Potschkas Einflüsse von arabischer Musik zum tragen. Der Ausnahmegitarrist hat sich jahrelang mit verschiedensten Musikrichtungen aus unterschiedlichen Kulturkreisen beschäftigt und sich diese auch angeeignet. Weiter geht die Reise nach „Jerusalem“, im Reggae-Rhythmus mit markantem Fingerpicking und einer staubtrockenen Bassdrum.

„Es gibt Tage wo die Sonne marschiert,
wir lieben das Grelle und die Nächte sind wild.“

Man wippt und singt und ist gut drauf. Das Quartett hat sich längst warmgespielt und Meister Potschka gibt feine Solis und groovende Einlagen aus dem Fundus seines umfangreichen Repertoires zum Besten.

Mit „Summary“, aus dem gleichnamigen Album, bekommen wir ein spanisch gefärbtes Instrumental zu hören. Egal ob Ambient, Sufimusik oder Flamenco – Potsch taucht gerne in unterschiedliche Genres ein und nutzt seine Fähigkeit verschiedene Stile miteinander zu verbinden. Seine zehn Soloalben die in den Jahren von 1996 bis 2014 entstanden, belegen dies. Bei „Radio“ geht die Halle dann ab und bei dem unvermeidlichen Superhit „Carbonara“ singen auch die ganz Schüchternen mit. Als letzter Song wird sinnigerweise „Notausgang“ gewählt. Das Riff sägt sich kreischend wie eine Flex in den Gehörgang. Ich bin beeindruckt, mit wieviel Wucht und Kraft die vier Mannen ihre Show abziehen.

Das ist großes Rockspektakel.

Potsch Potschka Band (Foto: Axel Ganguin bs!)

Nach heftigem Applaus verlässt die Band die Bühne. Erscheint aber gleich wieder um noch vier Songs als Zugabe nachzulegen. Zum Ende dann das grandiose „Rand der Welt“. Eigentlich die Feuerzeughymne. Aber das verkneifen wir uns dann doch.
In einem Interview sagte Potsch: „Nächstes Jahr werde ich 65. Wenn ich nicht live auf der Bühne stehe, kann ich mich gleich in den Sarg legen.“ (morgenweb) Letzteres will die treue Fangemeinde auf gar keinen Fall – Wir sind gespannt auf die nächste Tour.

Fazit: Unterstützt von seiner „Familie“, wie Potsch seine Mitmusiker liebevoll nennt, gelingt es ihm die Bandbreite von 40 Jahren Musikschaffens auf zwei prallgefüllte Stunden pure Rockessenz zu verdichten und sein Publikum dabei bestens zu unterhalten.

Galerien:

Setlist:

  1. Love’s A Dinosaur
  2. Lifeboat
  3. Déjà Vu
  4. Das Blech
  5. Midnight Train To China
  6. Active Shadow
  7. In Search Of The Lost Ecstasy
  8. Herzlichen Glückwunsch
  9. Yesterday
  10. Heut Nacht
  11. When The World Was New
  12. Jerusalem
  13. Did I Find Love
  14. Radio
  15. Summary
  16. Carbonara
  17. Patience
  18. Jive
  19. Jet Set Star
  20. Notausgang
    Encore
  21. Black Sun
  22. Dead Man Suit
  23. Duett Komplett
  24. Rand der Welt

Links:
www.potschpotschka.com

Axel Ganguin
Axel Ganguinhttp://www.ganguin.com
Axel Ganguin hat ungeduldig die Alchemie der Worte studiert. In alten Büchern, in farblosen Flamingos, in einem Traumzauberbaum. Er hat sie in den Wolken gesucht. In Italien. Im Rotwein. Im Regen. Und manchmal geht er barfuß ins Bett. Er hat die Farbe der Vokale ausgespuckt wie eine tote Auster. Er schrieb ein Schweigen in die Glut und hat sich als Grafik-Designer erfunden. Axel trägt die Klamotten von Nick Drake auf und küsst die Nacht, bis der Spannungsbogen albern knistert. Axel lässt sein Vokabular für uns „mit unversehrtem, bösartigem Herzen, mit einer tyrannischen Unschuld“ zur Ader.

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