Hach, vor dem Konzert noch ein bisschen durch Bremens Plattenläden schlendern und den Platz und die Ruhe darin genießen, das hat auch etwas Besonderes. Der Grund: Fussball. Deutschland quält sich gegen Spanien und die Bremer*innen fiebern lieber in ihrer liebsten Fussballkneipe mit, statt Platten zu shoppen. Im Tower hingegen wird es ordentlich voll, nur noch 10 Tickets verkündet der Veranstalter Hafensänger Konzerte am Tag der Show. Dass diese – auch wegen der EM – etwas später beginnt, hat wohl niemand erwartet, ist ja doch irgendwie eine andere Crowd.
Still Talk aus Köln kommen also deutlich später als angekündigt auf die Bühne und entschuldigen sich:
Die Spanish Love Songs wollten noch das Spiel mit uns gucken.
– das war allerdings auch zu Konzertbeginn noch in vollem Gange , interessiert aber spätestens nach den ersten drei Akkorden niemanden mehr. Das Quintett, das klanglich gar nicht so weit von den Headlinern entfernt ist, fackelt nicht lange und legt mit Move To L.A. von ihrem 2023er Debütalbum St. Banger los – vielleicht, um dort noch mehr mit SLS zu touren? Das Publikum nimmt die Band wohlwollend auf, hält aber – typisch bremisch – höflichen Abstand zum Bühnenrand. Als Warm-Up machen Still Talk einen hervorragenden Job, kommt der Tower doch recht fix auf Betriebstemperatur. Sound, Show und Attitüde stimmen – die Kölner*innen wirken, als würden sie das schon deutlich länger machen, als es ihre Diskographie hergibt. Sad For Fun, der letzte Song in ihrer Setlist, könnte auch eine schöne Überschrift für diesen Konzertbericht sein…
…denn als die Spanish Love Songs nach einer flinken Umbaupause mit ihren traurigen Songs loslegen kann sich niemand mehr das breite Lächeln aus dem Gesicht wischen. Der Opener Lifers vom 2023er Album No Joy erschallt nicht nur aus der Kehle von Sänger Dylan Slocum, sondern auch unisono aus denen aller Gäste – auch, wenn die Gesangsqualität da stellenweise stark variiert. Dem großen Mann dort hinterm Mikro kann kaum jemand das Wasser reichen. Der Höflichkeitsabstand zur Band verschwindet sofort, in der Mitte des Raums beginnen sich angenehme, kleine Moshpits zu öffnen. Auch ohne Bassist Trevor Dietrich, der sich aktuell eine Auszeit nimmt, spielt die Band gewohnt hervorragend und hat so immerhin ein Stückchen mehr Platz auf der kleinen Tower-Bühne.
Party für die Sad Kids
Egal ob alter Song oder neue Nummer, die Bremer*innen sind textsicher und außergewöhnlich gut aufgelegt – und das bei diesen traurigen Songs. Aber wie das bei Spanish Love Songs eben so ist: egal wie niederschmetternd der Text im ersten Moment scheint, ein bisschen Hoffnung schwingt doch immer mit. Und genau dieses Fünkchen saugen alle im Tower auf. Diese positive Energie ist es wohl, die die meisten Konzertbesucher*innen an diesem Abend gesucht haben dürften, sie ist genau das, was das Konzert so besonders macht. Zwischen den Songs, dem Kampf mit kaputten Seiten und widerspenstigen Gitarrenkabeln wendet sich Slocum immer mal wieder an die Gäste, zeigt sich dankbar und überwältigt von der Resonanz und macht sich selbst viel kleiner, als er ist.
Well, you guys are the smart ones, I’m stupid.
Impostersyndrom much? Spätestens bei der dritten Ansage dieser Art möchte man dem Guten mehr Selbstbewusstsein einprügeln, denn um solche Songs zu schreiben braucht es doch eine ganze Menge Intelligenz, Empathie und Mut. Die Setlist abwechslungsreich, der ganze Abend vergeht wie im Flug. Nach Marvel und dem wundervoll-traurigen Haunted gibt es für die Bremer Gäste eine besondere Belohnung für die gute Energie. Otis/Carl vom Album schmaltz– der Song wurde in den Städten zuvor ständig seitens des Publikums gefordert, aber eben nicht gespielt. Diesen performt Dylan Slocum solo, was die ganze Nummer noch emotionaler macht.
Und dann ist schon fast Schluss. Mit Clean Up Crew wird es im Moshpit etwas wilder, die letzte Gelegenheit alles rauszulassen bevor das fulminante Brave Faces, Everyone dieses nahezu perfekte Konzert beendet.
I’m sick of yelling at strangers.
Don’t want to do this forever.
When it all burns down,
Will you carry me over?
Zugaberufe, Putzlicht, Konservenmusik, Ende.
Galerien (by Thea Drexhage bs! 2024)
Setlist Still Talk:
- Move to L.A.
- Foft’n’Low
- Headcheck
- Talk To Myself
- Bad Dream
- Up To Eleven
- Jokes About Heroin
- Sad For Fun
Setlist Spanish Love Songs:
- Lifers
- Losers
- Self Destruction (As a sensible career choice)
- Optimism ( As a Radical Life Choice)
- Pendulum
- Kick
- Here You Are
- The Boy Considers His Haircut
- Buffalo Buffalo
- Losers 2
- Marvel
- Haunted
- Otis/Carl
- Clean Up Crew
- Routine Pain
- Brave Faces Everyone
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