Review: Kurze Alltagsflucht mit Slowdive (20.01.2024, Hamburg)

Schon eine halbe Stunde vor Einlass reicht die Schlange für Slowdive über die halbe Große Freiheit. Die Band um Rachel Goswell und Neil Halstead ist selten gesehener Gast in der Hansestadt. Nach ihrem brillanten, selbstbetitelten 4. Studioalbum, welches ganz unerwartet 2017 erschien, wurde es wieder ein paar Jahre ruhig um die britischen Shoegazer.  Mit „Everything Is Alive“ dann im letzten Jahr das langersehnte Lebenszeichen und natürlich verdient Album Nr. 5 auch eine dazugehörige, überwiegend ausverkaufte Tour.

Das Publikum in Hamburg ist an diesem Abend bunt durchmischt. Dort sind jene, die die Band noch aus den 90ern kennen dürften, die, die sich gemütlich irgendwo weiter hinten eine ruhige Ecke suchen, wo sie ganz entspannt im Takt wippen können und dann gibt es die ganz jungen Gäste, die sich eng an eng vorn vor der Bühne drängen, das Smartphone zu jedem einzelnen Song zücken und die Band nur so mit in die Luft gehaltenen Herzchen überschütten. Die Musik von Slowdive, sie ist träumerisch, mitreißend und vor allem zeitlos, kein Wunder also, dass es ihnen während jeder Etappe ihrer Karriere gelingt, neue Menschen zu sich zu locken, wie der Rattenspieler von Hameln.

Bevor Rachel Goswell und Co. jedoch den Saal verzaubern, eröffnen Pale Blue Eyes in blaues Licht und dichten Nebel gehüllt den Abend. Die jungen Dream-Pop-Hüpfer aus England passen hervorragend ins Vorprogramm und werden warm in Empfang genommen. Sehr souverän und nur ein ganz kleines bisschen nervös Stimmen sie die Gäste in der Großen Freiheit 36 auf Slowdive ein, ohne allzu viele Worte zu verlieren.

Es herrscht eine angenehme Ruhe im Saal. Niemand im Publikum denkt auch nur daran, die wertvolle Konzertzeit mit Geschwätz zu verschwenden. Es wird gelauscht, genossen, abgeschaltet. Und das ist nach den letzten Tagen dringend notwendig. Waren doch gestern noch über 100.000 Menschen auf den Straßen Hamburgs unterwegs, um gegen den erneuten Rechtsruck zu demonstrieren. Es mag sich für einige falsch anfühlen, während solchen Zeiten etwas für’s eigene Vergnügen zu tun, aber auf der anderen Seite sind solche friedvollen, unpolitische Abende genau die paar Stunden Eskapismus die es braucht, um nicht komplett verrückt zu werden.

Nach nur kurzer Umbaupause kommen Slowdive ohne große Worte auf die Bühne und beginnen ihr wundervoll vielseitiges Set mit „shanty“ vom jüngsten Album. Bis auf ein etwas zu starkes Wummern hier und da ist der Sound in der Großen Freiheit 36 wunderbar ausgeglichen und bietet den zauberhaften Klängen der Band den Raum zur Entfaltung, den sie brauchen. Wirklich jeder Song wird unter großem Jubel begonnen, egal ob Klassiker wie „Alison“ und „Sugar For The Pill“ oder die ganz neuen Stücke. Die band spielt herausragend. Bis auf ein leise gesäuseltes „Thank you“ hier und dort, gibt es aber keine Kommunikation zwischen den Musiker*innen, die immer wieder hinter dichtem Nebel verschwinden, und Publikum, das fühlt sich jedoch keineswegs abgehoben an, sondern sehr organisch. Slowdive packen die Gäste in eine warme Decke, wiegen sie sanft im Takt und flüstern:

Alles wird gut.

Und wenn man dabei in das selig lächelnde Gesicht von Rachel Goswell schaut, dann glaubt man das auch.

Galerien (by Thea Drexhage bs! 2024)
Pale Blue Eyes
Slowdive

Setlist Slowdive:

  1. Shanty
  2. Star Roving
  3. Catch The Breeze
  4. Crazy For You
  5. Souvlaki Space Station
  6. Chained to A Cloud
  7. Kisses
  8. Slomo
  9. Sugar For The Pill
  10. Alison
  11.  When the sun hits
  12. Golden Hair
    Encore
  13. Skin in the gme
  14. 40 Days

Links:
Pale Blue Eyes
Slowdive

Thea Drexhage
Thea Drexhagehttps://www.be-subjective.de
Thea Drexhage hat Salma Hayek einiges voraus! 10 mm. Wie die meisten Frauen der Redaktion, Duffy, Beth Ditto, Joan Rivers oder Angus Young kann sie die MusikerInnen aus dem Bühnengraben also völlig problemlos sehen, wenn jemand ihren Hocker trägt, wird aber - das hat sie mit Salma dann doch wieder gemein - dennoch viel zu oft auf Ihre Körpergröße, ihre Mähne und ihre leicht misanthropischen Anflüge reduziert. Damit sie also nicht im nächstbesten Titty Twister von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang Menschenmengen und Bläser mätzelt, halten wir “Aggro-Thea”, die zuvor ganze Landstriche in Mecklenburg Vorpommern ausgerottet hat, halbtags im spießbürgerlichen Oldenburger Exil an der langen Leine. Seither legt sich die scheißpünktliche existentialistische Besserwisserin analog mit Sartre, Camus & Kodak an und ja, auch wir müssen neidlos zugestehen, dass der Instagram-Account ihrer beiden Katzen “Salma” und “Hayek” mehr Follower pro Tag hat, als unser webzine im ganzen Jahr.

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