Wenn man an Simple Minds denkt kommen sofort Bilder in den Kopf ohne auch nur annähernd während dieses Ereignisses vor Ort zu verweilt zu haben: Ein volles Stadion, in der Sonne glühendes Publikum, das Gefühl des historischen Moments. Dazu ein in olivgrün und weiß gekleideter Jim Kerr, der über Monitore und Fotopodeste klettert und diese unglaubliche Energie des Moments nur noch mehr verstärkt.
I was a born believer, head full of plans
37 Jahre später. Philadelphia gegen Bielefeld getauscht – Stadion gegen Lokschuppen. Mittendrin: Eine Person mit Kamera in der Hand und ebendiesen Bilden im Kopf. Viel zu jung um auch nur live am heimischen Fernseher besagtes Ereignis mitverfolgt zu haben, viel zu groß die Hoffnung auch nur ein kleines bisschen dieser Energie nachträglich einfangen zu können.
Ein „normales“ Konzert nach über zwei Jahren Improvisation, Planungsunsicherheit und fast nur nationalen Künstler*innen. Die Vorfreude ist groß, das mulmige Gefühl der Masse gegenüber bleibt. Das schöne Wetter lädt zum Verweilen im angeschlossenen Biergarten ein, da wird es schnell ähnlich kuschelig wie in den ersten Reihen, die sich schon im Lokschuppen aufbauen. Kurz mal herein gelinst, in der Fotoecke eingerichtet und einen Überblick verschafft. Die Bühne in violettes Licht gehüllt. Zentraler Blickfang: ein Schlagzeugaufbau bei dem man nahezu befürchten könnte, von eben der Person dahinter nichts zu sehen. Schon im Vorfeld keine Infos über eine mögliche Vorband. Das es keine gibt bedeutet aber im Umkehrschluss: mehr Zeit für Simple Minds.
Kurz nach Acht. Applaus, Intro, mehr Applaus, los geht’s. Und wie es los geht. Unter dem Applaus von unzähligen Händen, Jubelschreien und Pfiffen schreitet die Band die Bühne ab. Ein Gruß ins Publikum, in Pose geworfen, warum Zeit vergeuden, wenn man direkt von Anfang an alles geben kann? Dieser Grundsatz gilt wohl für Bühne und Publikum gleichermaßen. Es wird getanzt, gehüpft und direkt die ersten Handys gezückt. Die kurze Zwischenansage verweist auf ungewöhnliches: Mitten im Set eine geplante Pause. Für Tee lassen die Schotten nun mal alles liegen. Langsam gesprochen sogar gut verständlich. Laut Kerr spräche das Publikum wahrscheinlich eh ein besseres Englisch als sie mit Akzent.
We can live
I can live
Celebrate
Schon nach den ersten drei Songs wird klar: Diese Lichtshow entfaltet ihre volle Faszination nur mit ausreichend Abstand zur Bühne. Auf nach hinten, durch die Massen gebahnter Weg, mottengleiche Orientierung zum Licht. Laser, Lichter, Glitzer überall. Faszinierender als Feuerwerk. Perfekte Untermalung für die perfekt abgemischte Musik, das zeichnet richtige Profis aus. Die fehlenden Ansagen zwischen den Songs erhöhen das Tempo der Show. Von Song zu Song, perfekt einstudiert. Immer wieder Posen und kleine Interaktionen mit dem Publikum, wer braucht schon Dialog wenn jemand es so elegant in seine Songs einbauen kann? Ausruhen ist in der Teepause, jetzt gilt Vollgas. Und wann habt ihr zuletzt ein Umschnallkeyboard gesehen? Achja, Backgroundgesang gibt es mittlerweile auch: Sarah Brown eröffnet direkt mit einem fulminanten Duett bei Mandela Day.
Kurz vor der angekündigten Teepause ein erstes richtiges Highlight: Belfast Child. Mehr Handys in der Luft als bei so manchem Teenie-Konzert. Display- statt Bühnenblick stand für heute nicht auf meinem Wunschzettel.
Der Tee ruft. Zwanzig Minuten durchatmen, Plätze tauschen, Getränke auffüllen. Bei der Temperatur im Lokschuppen eine Wohltat, fühlt es sich doch mehr nach Spätsommerabend als Frühling an. Ich nutze den Andrang an die Theken und verkrümel mich wieder in meine Ecke nach vorne.
Gemächlich geht es weiter. Dreieinhalb Minuten später stellt sich diese Gemächlichkeit als Anlauf heraus für einen zweiten Showteil mit noch mehr Power als der erste. Noch ein bisschen schneller, noch ein paar mehr Posen, noch ein paar mehr Showelemente. 40 Years of Hits bedeutet hier gleichzeitig auch 40 Years of Konzerte in einen Abend packen. Highlight jagt Highlight. Steigerung jagt Steigerung. Da kann man schon mal nach Atem ringen.
I just found my new direction
And I hope you like the key
Like the air that led me to it
Zwischendrin immer wieder ehrliche Wertschätzung der Musiker*innen. Auch wenn von der Originalbesetzung neben Jim Kerr nur noch Charlie Burchill dabei ist, die Energie fließt nur so zwischen Bühne und Publikum. Ein Drumsolo von Cherisse Osei stellt alles in den Schatten. That’s what I call girlpower!
Stück für Stück schreitet der Abend voran. Immer wieder gibt es Neues zu entdecken. Immer wieder Soli, Posen, Soli mit Posen. Stücke neu arrangiert, mit ganz viel Charme der Musiker*innen, dazu Kerrs unvergleichliche Mimik. Er hats wirklich noch immer drauf.
You lift me up, don’t you ever stop, I’m here with you
Now it’s all or nothing
Zeit für Zugaben. Noch ein Block in der Triole des Abends. In der Halle kochen mittlerweile die Getränke in den Bechern, sofern in ihnen überhaupt noch ein Tropfen Flüssigkeit vorhanden ist nach zweieinhalb Stunden. Eine letzte Runde tanzen, dafür reicht die Kraft noch gerade so.
Oh don‘t you forget about me. Diesen Abend vergesse ich so schnell wirklich nicht.
Galerie (by Daphne Dlugai bs! 2022):
Setlist:
- Act of Love
- I Travel
- Celebrate
- Glittering Prize
- Promised you a Miracle
- Book of Brilliant Things
- Hunter and the Hunted
- Mandela Day
- Belfast Child
Second Block: - Theme for Great Cities
- Banging on the Door/ Dolphins
- Waterfront
- She’s a River
- Once Upon a Time
- Someone Somewhere in Summertime
- See the Lights
- All the Things She Said
- Don’t you (Forget about me)
- Let it all come down
- Ghost Dancing
Encore: - Speed your Love to me
- Alive and Kicking
- Sanctify Yourself