Review: Augenblingbling und Alles ist vergessen – Seeed verwandeln Elbufer in Hüpfburg (19.08.2022, Dresden)

Wunder geschehen. Es ist Konzertabend und die Wettervorhersage für die wichtigsten Stunden des Tages wandeln sich von “Katastrophaler Dauerregen mit Gewitter” in “Leicht bewölkt”. 100 Punkte. Große Erleichterung. Mit leichter Bewölkung kann der geübte und auch eher sporadische Konzertgeher gut umgehen. Der vorsichtige Typ packt noch 1,2,3 Regencapes ein. Sicher ist sicher. 

Und sicher ist auch eins: Seeed machen heute das Dresdner Elbufer unsicher. Das Team von den Filmnächten hat mal wieder die ganze Nacht und den halben Tag gebaut, um die Kinoleinwand in eine große Bühne zu verwandeln. Die Security führt wie immer alle 12.000 Zuschauer freundlich und ruhig durch die Einlasskontrollen.

M.I.K. Family (Foto: Kristin Hofmann bs! 2022)

Etwas Geduld brauchen die Fans heute dennoch: wo das Wetter mitspielt, will heute einfach nicht der Zeitpunkt kommen, an dem der lang ersehnte Konzertabend startet: Einlass ab 17.30 Uhr, Beginn 19.30 Uhr. Aber so richtig losgehen will es nicht. Das Gelände der Filmnächte ist mittlerweile von oben bis unten gefüllt. Erst gegen 20.30 Uhr startet der DJ M.I.K. Family, der nur langsam aber sicher die Zuneigung der Zwölftausend erdanct.

Die Tänzer zum Schluss können dann auch noch vieles an Wartezeit wettmachen. Konkurrenz bekommt M.I.K. von den hämmernden Bässen des direkt angrenzenden Dresdner Stadtfests und von den kreischenden Gästen der sich überschlagenden Fahrgeschäfte. 

Ein bisschen bling-bling und das Warten ist vergessen

Kurz nach 21.20 Uhr hat das elende Warten auf die Hauptdarsteller des Abends endlich ein Ende: Die Berliner Reggae- und Dancehall-Künstler Seeed stürmen die Bühne. Erst verstecken sie sich hinter Bühnennebel und roten Licht, als würde Ihnen der späte Start etwas leid tun, doch spätestens beim zweiten Stück Lass sie gehn, gefolgt von Augenbling sind alle schlechten Gedanken hinfort geblingt. Die Party mit Seeed startet so richtig und das Dresdner Elbufer verwandelt sich in eine riesige Hüpfburg. Auch die Band um Sänger Peter Fox und Frank Dellé hat Lust und schwingt synchron das Tanzbein. Schon allein beim Zuschauen bekommt man gute Laune, auch wenn man selbst gar nicht so textsicher ist – Seeed sind ansteckend. 

Seeed (Foto: Kristin Hofmann bs! 2022)

Klatschen auf dem Offbeat

So haben die beiden Rampensäue auch keine Mühe, ihr Publikum anzufeuern und zum Klatschen zu bewegen, auch, wenn immer alle auf dem Offbeat klatschen. Immer. Überall. Egal wo. Doch so richtig stören tut das am heutigen lauen Sommerabend wohl niemanden. Dresden schwingt und ist super drauf und hat “so much love” zu geben. Thematisch springen Seeed von der Liebe zum lieben lieben G€ld

Dicka, komm mit mir, hab‘ Money dabei 

Mittlerweile hat sich der Himmel komplett verdunkelt, umso präsenter sind die wahnsinnigen Lichter der Bühnenbeleuchtung, die die Nacht zum Tag werden lassen. Wie ein funkelnder Komet hüpft, danct und springt die 13-köpfige Band vom rechten zum linken Bühnenrand und wieder zurück. Doch Seeed können nicht nur rappen, die können auch geile Gitarrensoli. Gitarrist Rudeboy Rudy spielt die Saiten von oben nach unten bis die Boxen klirren. Fett. Zeit für Romantik und freche Sprüche ist ebenso. Ein Lichtermeer aus Taschenlampen und Smartphones steht der Band ebenso gut wie zu Herzen geformten Fingern in der Luft, die in Richtung Bühne zeigen.

Seeed (Foto: Kristin Hofmann bs! 2022)

Nach so viel Sentimentalität wirds wieder keck und wir nähern uns dem Höhepunkt des Abends. Schüttel deinen Speck ist daran definitiv beteiligt. Mit jeder fortschreitender Minute wird Dresden ausgelassener und mutiger, lauter. Sogar am Bratwurststand wird getanzt. Zum Schluss tanzt das Dresdner Publikum synchron mit den Musikern auf der Bühne im 1,30 m Radius von links nach rechts und wieder zurück. Das sieht nicht nur nach Spaß aus, es macht auch riesigen. Von weiten sieht es als ob die eine riesigen Horde Lemminge das Gelände der Filmnächte infiltriert hätten.   

Dresden: Fett.

So salopp wie es klingen mag, aber dieser Abend ist fett. Band wie Publikum zelebrieren mit Leichtigkeit, ganz viel Freunde und der extra Portion Speckigkeit ihren gemeinsamen Abend, auf den sie so lange warten mussten. Zum Schluss gehts mit Dickes B und Aufstehn noch einmal extra rund. Ungern, nur wirklich sehr ungern lässt Dresden Seeed gegen viertel 12 gehen. Die Band selbst hätte auch noch gern weiter gespielt, aber man soll ja aufhören, wenn’s am schönsten ist. Zum Glück gehts morgen Abend in gleicher Konstellation noch einmal von vorne los. Glücklich ist der, der für beide Seeed-Konzerte Karten erhaschen konnte.  Mit Peter Fox Ansage “Lasst die Stadt heil!” schlendert das zufriedene und seeedig-seelige Publikum in die Nacht hinaus. 

Seeed (Foto: Kristin Hofmann bs! 2022)

Gestern war’s so kalt, heute ist es heiß
Sonne macht geil und weil das so ist
Scheint sie heute zum Beweis

Galerie (by Kristin Hofmann bs! 2022):

Seeed (Foto: Kristin Hofmann bs! 2022)

Setlist Seeed:

  1. Ticket
  2. Lass sie gehn
  3. Augenbling
  4. Wonderful Life (Black cover)
  5. Molotov
  6. Schwinger
  7. Komm in mein Haus
  8. Love & Courvoisier
  9. G€LD
  10. Waterpumpee
  11. Dancehall Caballeros
  12. Sie is geladen
  13. You & I
  14. Schwarz zu blau (Peter Fox cover)
  15. Schüttel deinen Speck (Peter Fox cover)
  16. Hale-Bopp
  17. Alles Neu (Peter Fox cover)
  18. Music Monks
  19. Ding
  20. Seeeds Haus
    Encore:
  21. Immer bei Dir
  22. Dickes B
  23. Aufstehn!

Links:

Kristin Hofmann
Kristin Hofmannhttp://www.fotokatz.de/
Kristin Hofmann, das schnurrende Fotokatzl, ist uns von den Elbwiesen zwischen Nightwish und Lacrimas Profundere im Fotograben irgendwie zugelaufen. Das „Spätzchen“ fährt in der Regel nicht die Krallen aus, voll auf weißblaue Vierräder ab und hat die anderen sechs Nerdzwerge zwischen Datenkraken, Mediendschungel und Hexadezimal im Blinzelwettbewerb längst platt gemacht. Schnurrbart steht ihr übrigens nicht so gut wie DocMartens, aber irgendwas is’ ja immer. Bitte nicht füttern!

Weitere Artikel

Ähnliche Beiträge

Review: The Vision Bleak erzählen „Weird Tales and Other Haunting Stories“ – (03.11.2024, Dresden)

Es ist ein kalter Sonntagabend im November in Dresden....

Review: Rising From The North – Arch Enemy, In Flames und Soilwork (26.10.2024, Dresden)

Heute wird's heavy hoch drei! Bereits einige "heavy" Bands...

Review: Apocalyptica gegen den Herbstblues im Alten Schlachthof (12.10.2024, Dresden)

Der Herbst ist da. Der Sommer weg. Vorbei die...

Preview: The Vision Bleak mit „Weird Tales“ auf Tour [2024]

The Vision Bleak, die Meister des Horror Metal, ...