Text: Dragana Urukalo.
In Österreich sind sie schon längst als Hausband für die Late Night Show „Willkommen Österreich“ bekannt und begeistern mit einer verrückten musikalischen Vielfalt auch immer mehr Menschen in anderen Ländern: Russkaja.
Jetzt kommt wahrscheinlich die Frage auf: Was genau soll denn so verrückt an ihrer Musik sein? Nun ja: Man nehme eine österreichische Band, den Russen Georgij Alexandrowitsch Makazaria als Sänger und – neben üblichen Bandinstrumenten – einige Blasinstrumente plus Geige. Die Rockmusik-Basis würze man dann kräftig mit einer Portion Ska und Polka und garniere das Ganze vorzugsweise mit Lyrics auf Russisch, Englisch oder Deutsch. Klingt verrückt? Ja! Vor allem live!
Dabei fängt es auf der KosmopoliTour 2017 in Hannover schon vor dem Hauptact mit ein wenig Russendisko verrückt an. Denn als Gruppa Karl-Marx-Stadt auf die Bühne gehen, kann man schon fast nicht anders, als über ihren Anblick zu schmunzeln. In Turnschuhen, Goldkettchen und ADIDAS-Jogginghosen – frei nach dem Motto
Ein wahrer Slawe trägt
drei Streifen auf der Hose
geben sie sich den wohl bekanntesten Russenklischees hemmungslos hin. Man könnte schon fast behaupten, es sei ein ausgeklügelter Trick, um die Erwartungen beim Publikum vorerst niedrig zu halten. Doch schnell überzeugen sie mit extrem groovy Sounds und eingängigen Beats die Konzertgäste.
Absolut verrückt fängt es schon bei der russischen Interpretation von „Eins Zwei Polizei“ vom Mo-Do an. Der trashige 90’er Song verleitet einfach dazu, mit dem Kopf mitzuwippen, selbst wenn man gehofft hatte, ihn schon längst aus seinem Gedächtnis verdrängt zu haben. Die Stimmung ist schon jetzt wahnsinnig gut und man fragt sich: Wie soll dieser Abend denn noch besser werden?
Das Bier fließt – Manchmal fliegt es auch! – und die Menschen tanzen, während die 5 Jungs mit der Sonnenbrille im Gesicht und der Balalaika in der Hand den Groove vorgeben und sich keiner so wirklich darum kümmert, dass eine junge Frau mit Bier in der Hand auf die Bühne klettert und mit guter Laune zur Musik von „Arbeitslos“ mittanzt.
Mit Casino haut die Band so den funkiesten Song aus ihrem Repertoire und es ist schon verdammt amüsant mitanzusehen, wie das Publikum sich dem aufkommenden Diskofeeling nicht widersetzen kann, -will und -möchte.
Es wird gemeinsam getanzt – Ach Moment, plötzlich wird doch gepogt. Und keine Zwei Minuten später laufen sie alle einfach im Kreis. Dann wird aber doch wieder gepogt. So richtig einig ist sich das Publikum nicht, wie man das Tanzbein am besten zu Gruppa Karl-Marx-Stadt‘s Balkan-Pop -Musik mitschwingt.
Während der Umbaupause wird klar, dass die Russendisko dem Publikum ordentlich eingeheizt hat. Im Hintergrund läuft eine an Hip-Hop erinnernde Version des Songs Energia und schon jetzt gröhlt das Publikum ungeduldig zum Song mit.
Zum Glück verzögert sich beim Umbau auch nichts, sodass etwa gegen 21:15 Uhr endlich das Intro zu Russkaja’s Auftritt ertönt. Wer geglaubt hat, das Gefühlshoch des Publikums wurde schon beim Supportact erreicht, der wird die kommenden eineinhalb Stunden des besseren belehrt. Bereits während des zweiten Songs Hey Road kommt man in den Genuss von unfreiwilligen Bierduschen und Pogo-Einlagen.
Zur „Kollektivgefühlbewusstseinserweiterung“ – Kurz „KGB“ – soll Traktor, das Highlight des Abends, beitragen. In Russland hätte man eine vegetarische Variante zu den Stierläufen entwickelt: Anstatt vor Stieren würde man vor Traktoren weglaufen. Georgij weist das Kollektiv kurz in die Spielregeln ein: Es soll im Uhrzeigersinn um die festgelegte Mitte gelaufen werden. Dabei sei es aber wichtig, auf die Umgebung zu achten und gefallenen Kameraden wieder auf die Beine zu helfen.
„Nicht einfach draufsteigen, drübertrampeln – Nyet!
Hochheben, Hochhelfen – Und dann geht es weiter.
Harasho?“
Das Kollektiv (Damit sind wirklich fast ALLE KonzertbesucherInnen gemeint) fängt an zu laufen und schon vor der ersten Strophe fallen tatsächlich zwei Leute durch das heftige Gedränge zu Boden. Doch die Band hat Grund, stolz auf seine Fangemeinde zu sein: Im Nullkommanichts sorgt sich das Kollektiv um seine zu Boden gegangenen Mitglieder und hilft ihnen auf, sogar noch bevor die Band den Song abbrechen kann und Georgij sich versichert, ob niemand verletzt wurde. Nachdem mit einem Lauten Jubeln versichert wurde, dass alles in Ordnung ist, wird der – an eine Ameisenmühlen-Erinnernde – lauf fortgesetzt.
Fast noch faszinierender als das funktionierende Kollektivgefühl, ist dass die Mitte aus zwei Rollstuhlfahrerinnen besteht und es wird von den nahestehenden (oder laufenden) Leuten auch darauf geachtet, dass diese nicht überrannt werden. Tatsächlich bekommen die beiden Rolli-Fahrerinnen nach und nach so viel Platz, dass sie sich gegenseitig in die Arme einharken und sich zusammen mit dem rennenden Kollektiv im Kreis drehen. Mission KGB erfolgreich ausgeführt.
Auch Energia trägt nicht wirklich zur Ruhe bei. Nach einer kurzen Auflockerungsübung für Nacken und Schultern wird im Kollektiv geheadbangt und neben weiteren Bechern Bier fliegen nun auch Haare und Brillen durch die Lüfte, während die Band auf der Bühne Kasatschok tanzt. Auch wenn dabei mindestens eine Brille zu Schaden gekommen ist, reißt die Stimmung an diesem Abend nicht mehr so schnell ab. Zwischendrin wird nochmal dem Team des MusikZentrum-, aber auch dem eigenem gedankt. Heute ist die Hütte rappelvoll, selbst der Balkon ist gut gefüllt.
Diagnose: Ausverkauft!
Geigerin Ulrike Müllner haut kurz vor der Zugabe nochmal die derben Geigen-Skills heraus. Ein bisschen was klassisches hier, ein wenig Guns’n’Roses‘ „Sweet Child O‘ Mine“ da – Auch hierfür lässt sich das kunterbunte Konzert-Kollektiv begeistern. Mit einem Russkaja-typischem Cover zu Avicii’s „Wake Me Up“ wird nochmal so richtig abgetanzt, bevor sich nach Liedende das altbekannte „nach der Zugabe rufen“ anbahnt. Und verdammt sind diese Zugaberufe laut! Ein Mischmasch zwischen „Zugabe“ und „Russkaja“ schallt durch den Konzertsaal und als zwei Barhocker auf die Bühne getragen werden ist klar, die Band kehrt noch einmal für einige Songs zurück.
Die aufgebrachte Stimmung wird allerdings erstmal wieder heruntergefahren, denn mit „Still in Love“ folgt nun eine Ballade.
„Wir haben mit euch gerockt. Wir haben mit euch gesprungen.
Aber wir haben euch noch nicht geliebt.“
Kurz wird nochmal dazu ermutigt sich einen Tanzpartner zu suchen und sich gegenseitig in den Armen zu liegen um dabei ganz romantisch zum Song mitzutanzen. Das klappt tatsächlich genauso gut wie das Kollektivgefühl zu stärken, so liegen sich die Leute in den Armen – manche tatsächlich auch in ihren eigenen – und es wird getanzt, gekuschelt und geknutscht.
Hannover ist verlieeehieeebt.
Die Zugabe nimmt mit Peace, Love & Russian Roll und Barada noch einmal finalen Schwung auf, bevor der Abend tatsächlich sein Ende findet. Gitarristen werden beim Solo von betrunkenen Frauen befummelt, Männer an ihr erstes richtiges Barthaar erinnert und Russische Vokabeln mit dem Publikum geübt. Der letzte Song Gop Stop wird zum Schluss noch zum Anlass genommen, alle Probleme – und seien sie nur ausgedacht – in den Kosmos hinaus zu schreien und auch darin ist die Crowd sehr begabt. Ein letztes Mal wird zu Russkaja herumgepogt, ehe die Sirene aus dem goldenen Megaphon in Georgijs Händen das Ende verlautet.
Galerien (by Dragana Urukalo bs! 2017):
Setlist Gruppa Karl-Marx-Stadt:
- Schwalbe
- Dawai
- Eins Zwei Polizei (Mo-Do Cover)
- Amur
- Katja
- Arbeitslos
- Bum Bum Bam
- Casino
- Tanzi
- Russkoje Disko
Encore:
- Böse Kugeln
Setlist Russkaja:
- Intro
- Hello Japan
- Hey Road
- Alive
- Change
- Traktor
- La Musica
- Hometown Polka
- Volle Kraft voraus
- Energia
- Wake Me Up (Avicii Cover)
Encore: - Still In Love
- Peace, Love & Russian Roll
- Barada
- Gop Stop
Links:
http://www.russkaja.com
http://gruppa-kms.com
http://musikzentrum-hannover.de