Robbie Williams bringt Las Vegas nach Hannover
„Wir bitten die ZuschauerInnen sich zu erheben, es wird die Robbie-Hymne gesungen.“ In mannshohen Lettern erscheinen auf den Leinwänden im Karaoke-Format die Zeilen:
„God bless our Robbie, he is King of Song“
Das Ganze zur Melodie der englischen Nationalhymne. Donnerwetter! Damit ist schon mal klar – dieser Mann hat möglicherweise einige Komplexe, aber ein Selbstbewusstseinsdefizit gehört nicht dazu. Wie es sich für eine Hymne gehört, wird diese feierlich besungen, frenetisch beklatscht und dann erscheint ER auf der Bühne. Wahrscheinlich der einzige Entertainer in der westlichen Welt, der sich diesen Einstieg erlauben darf. Wahrscheinlich ist er auch der Einzige, der seine Tour großspurig „The Heavy Entertainment Show“ nennen darf und dann auch noch in jeder Hinsicht recht behält. Mister- Robbie-Williams. Im Stile eines Boxers schwebt er auf die Bühne, wirft seinen Bademantel ab und lupft als erstes seinen Kilt. Einmal vorne, einmal hinten und schon fragen sich die ersten, warum sie eigentlich diese verdammt teuren Sitzplatzkarten bestellt haben. Sitzplätze sind hier völlig überbewertet- die braucht bei diesem Konzert definitiv keiner.
„Your asses are mine for this evening…“
… es ist keine Frage. Es eine Feststellung. Aber der Reihe nach:
Erasure
Die Techniktürme ragen hoch in den Himmel und beleuchten die Bühne in einem strahlenden gelb. Der Lichttechniker schwebt wie ein kleiner Engel über der Menge, die langsam aber sicher die HDI Arena füllt. Eine halbe Stunde muss das Konzert verschoben werden. Grund sind die umfangreichen Sicherheitskontrollen. Taschen sind gar nicht gerne gesehen. So kommt es, dass das Publikum zu großen Teilen erst das Stadion betritt, nachdem Erasure schon angefangen haben. Die Band bietet einen echt galaktischen Anblick: Sänger Andy Bell steht in einer sternförmigen, gelben Kulisse und steckte in glitzernden Leggins fest. Unwillkürlich hoffte man, dass dieses arme, unschuldige Beinkleid den Abend übersteht. Mit dabei, zwei Backgroundsängerinnen, die den Charme und die Aufgabe des Computers des Raumschiff-Enterprise besitzen. Ihre Aufgabe: In ihren hautengen, gold- und silberfarbenen Kostümen hüftsteif vom linken auf den rechten Fuß wackeln und artig die Refrains wiederholen. Synthesizer- und Sequenzer-Spezialist Vince Clarke steht weiter hinten auf der Bühne und fällt nicht weiter auf. Deutlich mehr Aktion als alle anderen drei zusammen liefert Bell, der emsig über die Bühne hüpft und versucht, die Aufmerksamkeit der hereinströmenden Massen auf sich zu ziehen. Das gelingt bis Reihe 30 und hier und da feiern auf den Rängen verzückte Frauen ab 45 Jahren die Hits der 80er und 90er. Der Rest drückt weiterhin den Leggings bei ihrem Überlebenskampf die Daumen. Das Ganze wirkt so dermaßen 80er, das hältste im Kopf nicht aus. Zur Krönung tanzen alle gemeinsam den Robot. Oh – mein – Gott. Nach absolviertem Auftritt zockelt die Combo unter höflichem Applaus der älteren Generation sang- und klanglos von der Bühne, während die Jugend eifrig Whatsapp tippt und nicht einmal hoch sieht. Man hat es aber auch nicht leicht – 30 years after.
Er muss ein Gott sein
Was dann kommt sind der Umbau und die Frage, wie man wohl diesen Abend ohne eine Winterjacke überleben soll. Ist es möglich im Juli an einem Plastikstuhl festzufrieren? Der Nieselregen dröppelt durch das Scheinwerferlicht und der leichte Wind trägt die Sprühtropfen bis auf die Ränge. Doch sogar hier kann der Göttliche Abhilfe schaffen. Robbie singt seinen Gassenhauer „Let me entertain you“ und schon hat auch der Himmel ein Einsehen: Es klart auf. God bless our Robbie. Dass es gleichzeitig gefühlte drei Grad wärmer wird, liegt vermutlich nicht nur an der Pyrotechnik. Denn, wie es sich für eine gute Las Vegas-Show gehört, fackelt passend zur Musik das sprichwörtliche Feuerwerk ab. Wer es vorher nicht wusste, dem ist es spätestens jetzt klar: Robbie regiert sein Publikum mit einem einzigen Augenbrauenzucken nach Belieben. Jede Gestik, jede Mimik sitzt. Daher ist es auch schwer zu beurteilen, ob die Träne der Rührung in seinem Augenwinkel echt ist, als er beteuert, dass dieses hannoversche Publikum…
„… the most beautiful ever…“
… ist? Ach egal. Das Publikum sagt sich „I want to believe“ und schenkt Robbie seine ganze Wärme und Begeisterung.
Der quittiert dies dadurch, dass er seinerseits (scheinbar) eine Menge von sich preisgibt. Den Beginn des „emotionalen Robbies“ markiert sein Tribut an George Michael. Er singt eine Coverversion von „Freedom 90“ und zieht damit dessen Fangemeinde in seinen Bann. Er erzählt von seinen Kids, die der Anker in seinem von Auf- und Abs geprägten Lebens sind und spielt dazu „Love my life“. Sämtliche Mamas im Publikum schmelzen ehrlich dahin. Für die Ehemänner, die sich eventuell immer noch fragen, was sie mit dem Eintrittsgeld Besseres hätten anschaffen können, gibt es eine Comedy Nummer: Er holt Diana aus Berlin….äh Hannover, HANNOVER natürlich!!!! Auf die Bühne und steckt sie eigenhändig in eine Fratzenmaske, um mit ihr „Something stupid“ zu performen. Das Publikum grölt und johlt vor Freude und Diana hätte sich sichtlich gerne noch in ganz andere Dinge stecken lassen. Als Wiedergutmachung für diese Nummer darf sie ihn küssen, herzen und ausgiebig Selfies mit ihm machen. Diana happy! Und der Rest des Publikums auch.
Wer zu diesem Zeitpunkt noch beide Augen trocken hatte, den hat spätestens die Story über einen älteren Herrn gepackt. Dieser habe vor vielen Jahren, mit nur einem Song und einer Hand voll Jokes im Gepäck, sein Publikum derart gefesselt, dass Robbie beschloss: So wie dieser Mann möchte ich das eines Tages auch können. Dieser Mann ist, man glaubt es kaum, sein Vater Pete Conway. Er holt ihn auf die Bühne. Gemeinsam sitzen sie auf einem Sofa und singen „Sweet Caroline“, den Song, der Robbie damals so berührt habe. Wahnsinn. Wen er spätestens jetzt nicht erwischt hat, der muss sein Herz eingangs bei der Taschenabgabe gelassen haben. Er kriegt sie alle. Die erste bis zur letzten Reihe. Und die Karpfen im Maschsee gleich mit.
Für manch einen mag das der emotionale Höhepunkt dieser Show gewesen sein. Und kurze Zeit später verschwindet Robbie dann auch tatsächlich von der Bühne. An ein Ende des Konzertes mag aber niemand glauben, denn etwas Entscheidendes fehlt noch. Etwas, das so selbstverständlich ist, dass sogar die „Zugabe“-Rufe des begeisterten Publikums etwas halbherzig, weil ungläubig, ausfallen. Hallo? Der kann doch nicht einfach gehen! Er hat seinen Megahit „Angels“ noch nicht gesungen. Den Song, der ihm 1997 den Arsch rettete und ohne den er heute vermutlich nicht die HDI-Arena, sondern maximal die Gilde-Parkbühne füllen würde. Das wäre so, als ob Udo Jürgens von der Bühne marschiert, ohne seinen legendären Bademantel angezogen zu haben. Das gibt es einfach nicht. Und zack, da erscheint Robbie dann auch schon wieder und gibt seine drei Zugaben. Darunter „Angels“ und – ganz zum Schluss – Frank Sinatras „My way“. Das Publikum erlebt eine Art kollektiver Katharsis, nach der, musikalisch gesehen, keine Frage mehr offen sein kann.
Das war „a fucking amazing evening“ findet Robbie am Ende und erklärt, dass er sich eigentlich nur noch dank Spritzen in den Rücken vorwärts bewegen kann. Solche Abende jedoch seien es, die ihn am Leben hielten und ihm einen Grund geben morgens aufzustehen. Und aufstehen kann er. Immer wieder. Das hat er schon oft genug bewiesen.
Text: Meike Lehne
Galerien (by Torsten Volkmer bs! 2017):
Setlist:
- The Heavy Entertainment Show
- Let Me Entertain You
- Monsoon
- Party Like a Russian
- Freedom 90 (George Michael cover)
- Love My Life
- Livin‘ on a Prayer / Rehab / The Best / Kiss / U Can’t Touch This / Take On Me / Stayin‘ Alive / She’s the One / You’re the One That I Want / Come Undone
- Come Undone
- Somethin‘ Stupid (Carson and Gaile cover) (Together with woman from the audience)
- Rudebox
- Millennium
- Kids
- Sweet Caroline (Neil Diamond cover) (Together with his father)
- Feel
- Rock DJ
Encore: - She’s the One (World Party cover)
- Seven Nation Army (The White Stripes cover)
- Angels
- My Way (Claude François cover) (Together with Guy Chambers)
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