Review: Samsas Traum, Weena Morloch und Vic Anselmo im Musikzentrum (15.11.2015, Hannover)

Wie das ewige Meer – elende romantische Drecksscheiße.

Prolog.

In blaues Licht getaucht das Haus.

Vic Anselmo drückt mit schneidender Stimme die Stille im Piano aus.

die Frau am Getast, witzig und charmant,

hat das Publikum vollends in der tastenstreichelnden Hand.

“I am the one (to save the universe)“*

Foto: © Torsten Volkmer bs!
Foto: © Torsten Volkmer bs!

Komplikation.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben.

Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Sirenen.

„Wollt Ihr den totalen Krieg.“ Schieben. Schieben. Schieben. Schieben. Sirenen.

Foto: © Torsten Volkmer bs!
Foto: © Torsten Volkmer bs!

Auf dem Seziertisch der Poesie liegt der Kadaver der Gegenwart. Marschtrommelnd wimmernd, radikal zuckend glotz die Welt aus den vernähten Augenhöhlen, es ist dem mottigen Mädchen, als ob Gottfried Benn die Worte Nation, Vaterland, Blut, Gehorchen, Morden aus der Leere löffelt. Heil Hitler. Hadamar.

Da, schau“, spricht die Motte zum Raupentier, die Poesie reckt ihr Köpfchen wie eine kleine Aster aus dem madigen Gelage, trinkt sich an der rostbraunen Geschichte wund, betört sich am Leichengestank.

„Heute ist der Tag, an dem die Wasserköpfe blühen,

An dem Blumen den erwählten, ihren höchsten Knaben schmücken,..“

Peripetie.

Manche/r zerbricht. Wahrheit, roh und dreckig. Manche/r geht. Die Knospe bricht sich durch den Corpus von Samsas Traumsand, sprengt das strenge Gerüst der Sounds, die mit Wiederholungen arbeiten, Wiederholungen, die Fingerkränze wie Daumenschrauben lustvoll enger ziehen. Wiederholungen, die das Drama auf die Spitze treiben

„Dreh auf, dreh auf,

Dreh ganz weit den Hahn auf,

Hahn auf, Hahn auf,

Ab mit dir ins Gorgass.

Dreh auf, dreh auf,

Bodo, dreh den Hahn auf,

Hahn auf, Hahn auf,..“

Retardation.

Samsas Traum ist entzückend grausam. Immer ein bisschen mehr, die Lust am Leiden zelebrierend, vor der Geschichte kotzend salutierend, bis Herr Katsche das Publikum mit einem charmanten nonchalanten Scherz erlöst, mit Vic Anselmo in ein Duett zum Ursprung der Schatten aufbricht:

„Ein Leben lang verbarg ich jeden Funken Liebe tief in mir

Und das Versteck, das zeig ich niemand, niemand anderem als dir..“

Foto: © Torsten Volkmer bs!
Foto: © Torsten Volkmer bs!
Foto: © Torsten Volkmer bs!
Foto: © Torsten Volkmer bs!

Wenn es schlimm ist, macht die Motte einen Witz und stürzt sich ins Licht, trudelnd, tanzend, mit glühendem Gesicht. Samsas Traum weben Soundkollagen in den Abend. Das Dritte Reich klingt vertraut, Hadamar, die Rote Armee Fraktion. Terror rechts. Sirenen rechts. Tote links zwo drei vier. Die Leiden der Gefolterten nicht zelebriert, aber ausbuchstabiert, am Schopfe gepackt und im Tintenfass akustischer Schönheit ertränkt, aus Samsas Traum herausgerissen, tropfen Pianoklänge in die pointierte Rezitation, während kein Zuviel an Lichtkunst Kaschte und Co. eine Bühne bereitet. Farben, die in den Mottenaugen glitzernd – keinen Deut vom Text ablenkend – die Stimmung aufschlagen wie die Laken, in die Samsas Traum sickert. Ein Konzert wie ein Rohrschachttest an Interpretationsmöglichkeiten.

Katastrophe.

„Ich warte warte immer noch, ich warte auf den Schluss

Auf das Ende das aufgrund des Anfangs irgendwann doch kommen muss

Darauf, dass die Bösen sterben

Darauf, dass die Guten siegen

Darauf dass die Arme reichen, dass sie reichen um zu fliegen“

Sauber jagt Samsas Traum die Gräuel der Geschichte durch den Schornstein. Verstörend. Lupenrein. Kalt. Kaschte singt mit dem ganzen Körper, der selbst radikales Instrument seiner Kunst zu sein scheint, mit jeder Faser etwas ausdrückt. Zynismus eitert sich in Kinderreimen à la „Backe, backe Kuchen, der Hitler wird dich suchen“ schön, bis das Publikum die Schwere der Geschichte in einer „wall of Trotz“ bricht. Und bevor noch der Kadaver der Gegenwart in einem Witz über #bataclan auf dem Seziertisch der Kunst entwischt, fleht das Publikum um die Kugel im Gesicht.

„Auf deinem Rücken steht, in Blütenweiße Haut

Mit Tintenstift gedrückt, in Mädchenschrift geschrieben,

Von deinem süßen Schweiß, dem Kleid kaum abgerieben,

Der Name: Ein Geschenk, ein zarter Flüsterlaut.“

Foto: © Torsten Volkmer bs!
Foto: © Torsten Volkmer bs!

Samsas Traum haben ihre Poesie Tour mittels Crowdfunding gestemmt, ein Konzept, das Fans das besonderes Bonmot offerierte, exklusive Backstagepässe zu erstehen, und das gesamte Gekäfer exklusiv beim Soundcheck etc. kennenzulernen. Die Stimmung an diesem Sonntagabend scheint verstörend sanftmütig und selbst – möchte frau/mann/motte meckern – durch das qualitativ spärliche Akustik-Zugabe-Set kaum ruinierbar.

Worte wurzeln im Kopf. Der Abend ist, oh Heiliges Herz, wie das ewige Meer ein unendliches Jetzt. „Elende romantische Drecksscheiße“, verpuppt sich der Seidenspinner in Ironie. Oh unerträgliche Poesie. Die Motte will im Moment verglühen, riskiert ne freche Lippe, flattert aufgedreht zwischen tausend Sonnen. Jetzt.

„Nur ich und Du

Sind hier, wir seh ’n dem Leuchten zu.

Am ruhigen Abendhimmel steht

Ein brennender Planet.

Ich wünschte, der Moment verstreicht

Niemals, weil nichts der Wärme

Deiner Liebe gleicht.“

Ende.

 

Links:

www.vicanselmo.com

www.samsas-traum.info

Isabelle Hannemann
Isabelle Hannemannhttp://www.isabellehannemann.net
Die missratene Hypotaktikerin wird als Redakteurin Schrägstrich Fotografin bei be subjective! geduldet, hat versucht sich als freie Autorin und Herausgeberin verschiedener Artikel und Bände im Bereich der kritischen Sozialwissenschaft für Suchmaschinen selbst zu optimieren und will – wenn sie groß ist – mal sehen. Künstlerisch als Autorin und Fotografin mit diversen Bands und AutorInnen zusammenarbeitend, Texte zu Papier, Gehör und auf die Bühne bringend. Na dann Prost Mahlzeit!

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