Review: Manege frei für den Cirque de rire. „Zirkus Zeitgeist“ mit Saltatio Mortis und Mr. Irish Bastard (22.04.2016, Hannover)

Die Quadratur des Kreises umgekehrt, ist das kantige Capitol Hannover an diesem Frühlingsfreitag zum runden Zirkuszelt geworden und lockt so viele Fans der akustischen Artistik in seine Manege, dass die Schlange vor dem Konzerthaus bis nach Garbsen zu reichen scheint. Zum Anheizen der zirzensischen Darbietungen haben Saltatio Mortis die Spielleute von Mr. Irish Bastard angeworben, das durchaus an ein Amphietheater erinnernde Capitol in Hannover anzuheizen. Läuft!

Mr. Irish Bastard (Foto: Torsten Volkmer)
Mr. Irish Bastard (Foto: Torsten Volkmer)

„Ich habe schon in deutlich beschisseneren Läden gespiel“

Mr. Irish Bastard (Foto: Torsten Volkmer)
Mr. Irish Bastard (Foto: Torsten Volkmer)

kommentieren die Punk-Folk-Bier-Iren, laden zum Mitsingen ein und können darüber lachen, dass das Publikum die Halle vornehmlich für den Mainact füllt. Fäkalsprache deluxe. Mr. Irish Bastard sind Vielspieler, Liveprofies Vollzeitsympathen. Keine Publikumsbeschimpfungen, keine Attitüde und sogar eine Überraschung, denn wer hätte gedacht, dass man aus „Last Pints In Me“ und „Le Freak“ zu einem gelungenen Punk Folk MashUp machen kann.

Cheers! C’est Chic

Wo sind die Clowns in dieser Welt. Welch fulminanter Auftakt. Alea der Bescheidene scheint ein Paradoxon, weiß gewandet, gold gewirkt, Muskeln gestählt, doch die Zeilen, die er singt, sind keineswegs schelmisch, lustig oder protzend, sie sind kritische Anklage, werfen dem Kapitalismus den Handschuh in den Löwengarten, reißen dem Konsum das Gesicht von der Fratze – oder andersherum? –, beweinen Gewinnmaximierung, Belanglosigkeit und den Kleinmut dessen, was gemeinhin als Normal gefressen wird.

Saltatio Mortis (Foto: Torsten Volkmer)
Saltatio Mortis (Foto: Torsten Volkmer)

„Wo sind die Clowns,
wo sind die Narren,
wer hat das Lachen abgestellt?
Wo ist der Spaß,
wo bleibt der Leichtsinn,
wo sind die Clowns in dieser Welt?“

Saltatio Mortis (Foto: Torsten Volkmer)
Saltatio Mortis (Foto: Torsten Volkmer)

Gewiss, Saltatio Mortis sind eine bunte Bierlaune, sind Spielleute, fahren mit auf dem Karussell von Feierei und Co., können sich all dem auch nicht entziehen, können Dudelsack, Drums und Drehleier nicht neu erfinden, sind hoffnungslos romantisch und hoffnungsvoll kritisch. Auch die Totentänzer haben einen Hochzeitstanz im Gepäck, den viele Bräute lieben, obwohl – diese Anekdote darf nicht fehlen – er von Vergewaltigung und Mord erzählt.

„Ich hab bei dir gelegen, im Schatten jener Nacht,
Die Unschuld ausgetrieben, dein Feuer jäh entfacht.“

Saltatio Mortis sind vielseitig, so romantisch wie kritisch. Ihr Publikum textsicher. Und Posing wie Performace wirken wie eine verlässliche Verabredung mit dem Publikum, das die Band als summender Chor zur Zugabe beschwört. Ausgiebiges Crowdsurfing des bescheidenen Frontmannes Alea, weise Worte vom taktgebenden, lästerlichen Vater Abraham und natürlich ein bisschen Party-Abschiedstamtam. Feiern und (sich) feiern lassen können sie.

„Was möchtet ihr am liebsten tun?
Schlumpfen ohne auszuruh’n.
La, la, la, la, …“

Saltatio Mortis (Foto: Torsten Volkmer)
Saltatio Mortis (Foto: Torsten Volkmer)

Dennoch scheinen Saltatio Mortis vieles richtig zu machen, denn das, was aus dem Publikum zurückkommt, ist ein anderes, ein hungriges, ein kraftvolles Klatschen, kein perkussives Schlager-Taktgestammel, Saltatio Mortis scheinen die Stadt im restlos ausverkauften Capitol aufzupeitschen für das Wochenende, an dem Obama und Merkel Hannover zur TIPP-Manege machen und zehntausende Clowns gegen das Transatlantic Trade and Investment Partnership-Abkommen demonstrieren. Wenn sie damit ein „scheiß Vorbild für die Jugend“ sind, dann „Scheiß drauf“. Möge es der Totentanz für #TIPP sein.

Saltatio Mortis (Foto: Torsten Volkmer)
Saltatio Mortis (Foto: Torsten Volkmer)

„Wo sind die Clowns?
Wir brauchen Clowns in dieser Welt!“

Setlist Mr. Irish Bastard:

  1. Kingdom Of The Sun
  2. I Smell the Blood
  3. Galway Bay
  4. Monsters In The Light
  5. Workshy Man
  6. 40 Something Street Drink
  7. Another Day
  8. I Hope They Sell Beer In Hell
  9. Last Pints In Me (+ Disco „Le Freak“)
  10. Let Go.
Saltatio Mortis (Foto: Torsten Volkmer)
Saltatio Mortis (Foto: Torsten Volkmer)

Setlist Saltatio Mortis

      1. Wo sind die Clowns?
      2. Willkommen in der Weihnachtszeit
      3. Wachstum über alles
      4. Des Bänkers neue Kleider
      5. Sündenfall
      6. Prometheus
      7. Geradeaus
      8. Wir sind Papst
      9. Satans Fall
      10. Augen zu
      11. Todesengel
      12. Hochzeitstanz
      13. Nur ein Traum
      14. Nachts weinen die Soldaten
      15. Idol
      16. Rattenfänger
      17. Trinklied
      18. Früher war alles besser
        Encore
      19. Spiel mit dem Feuer
      20. Salz der Erde
      21. Eulenspiegel
      22. Ode an die Feindschaft
      23. Spielmannsschwur

Galerie:
Saltatio Mortis (22.04.2016, Hannover) [34]
Mr. Irish Bastard (22.04.2016, Hannover) [27]

Links:

www.saltatio-mortis.com
www.facebook.com/saltatiomortisofficial
www.mririshbastard.com
www.facebook.com/Mr-Irish-Bastard-40524367120/?fref=ts

Isabelle Hannemann
Isabelle Hannemannhttp://www.isabellehannemann.net
Die missratene Hypotaktikerin wird als Redakteurin Schrägstrich Fotografin bei be subjective! geduldet, hat versucht sich als freie Autorin und Herausgeberin verschiedener Artikel und Bände im Bereich der kritischen Sozialwissenschaft für Suchmaschinen selbst zu optimieren und will – wenn sie groß ist – mal sehen. Künstlerisch als Autorin und Fotografin mit diversen Bands und AutorInnen zusammenarbeitend, Texte zu Papier, Gehör und auf die Bühne bringend. Na dann Prost Mahlzeit!

Weitere Artikel

Ähnliche Beiträge

Preview: Nicht zu erwarten – Beth Hart live (2024)

Wenn eine Künstlerin im Blues-Bereich zuhause ist, denkt man...

Review: Verrückt, Verzückt, Verzerrt – Imminence live (23.10.2024, Hannover)

Am Anfang war das Feuer. Die Welt war irgendwie,...

Preview: Es hört nicht auf – SAGA live (2024)

Wenn das Intro von „Wind Him Up“ erklingt, das...

Preview: Alle guten Dinge sind Doom – Draconian mit Nailed To Obscurity und Fragment Soul [2024]

Schwedens Gothic-Doom-Meister Draconian werden in einem Atemzug mit anderen...