Review: Liebe ist für alle da – A bloody hot pussy opera – Völkerball zündeln im Capitol (18.12.2015, Hannover)

Foto: © Torsten Volkmer bs!
Foto: © Torsten Volkmer bs!

»To big…to small, size does matter after all.« Weiche Teile und auch harte, stehen auf der Speisekarte. Völkerball, a tribute to Rammstein bringen die neue deutsche Härte auf die Bühne des Capitols. Der dunkle Vorhang fällt, dem Pöbel zum Wohlgefallen geschwind, beginnt die Oper aus Blut, Feuer und Schwefel, eine Reise, Reise ins Rammstein Universum. Aus dem Dunkel tropft ein Grollen, Völkerball schmettern, was die Leute wollen. Ein Angriff auf die Verzückung, vollgefressen, gierig und hoch romantisch.

»Und der Haifisch der hat Tränen

und die laufen vom Gesicht

doch der Haifisch lebt im Wasser

so die Tränen sieht man nicht.«

Die Bühne, sie ist bestückter und verspielter als eine Kuckucksuhr, nur sitzt im Kuckuckskästchen kein komischer Vogel, hier macht sich Dirk Oechsles Drummset ein metallisches Bett. Und wer braucht schon ein Bühnenbild, wenn er eine Feuerwand bespielen kann.

»Jetzt stehst Du da an der Laterne

Hast Tränen im Gesicht

Das Abendlicht verjagt die Schatten

Die Zeit steht still und es wird Herbst.«

Foto: © Torsten Volkmer bs!
Foto: © Torsten Volkmer bs!

Brecht, die olle anti-illusorische Theatersau, hätte es gehasst. Der »Flake«-Fake zum Haifisch-Dreigroschen-Liedgut im Gummiboot auf hoher See, von einem Meer aus Händen getragen, im Jubelsturm des Publikums. Welch Symbol! Zu viel, zu echt, zu poetisch, zu viel zum Glotzen. Aber heute wird niemand belehrt, heute feiern Völkerball bloody hot pussy shit. Warum? Weil sie’s können. Lindemanlauff, spuckt auf Brecht, auf die Bühne, zum Kotzen schön dreckig, ein Bestrafer vom Herrn. Beinahe möchte man darüber hinwegsehen, dass die Saitenspieler etwas lethargisch in den Seilen zu hängen scheinen und das Feuerrad sich nach der xten Fontäne auch nicht neu erfinden lässt.

Auftritt: Das Schifferklavier, ein herrliches Steam-Punk-Kunstwerk aus Frankensteins Gruselkabinett. Stahlhelme, Leder, Testosteron, Dreck. Völkerball ziehen visuell und pyrotechnisch alle rammsteinigen Requisiten-Register. Es schlägt nicht Zwölf, doch rahmen Funken- und Nebelfontänen das lichte Spektakel. Das Fanauge is(s)t mit von der Partie, zuckt bei jeder Explosion zusammen, kalte Funken  brennen sich zwinkernd in die glotzenden Netzhäute.

»Getadelt wird wer Schmerzen kennt

Vom Feuer das die Haut verbrennt

Ich werf’ ein Licht

In mein Gesicht

Ein heißer Schrei

Feuer Frei!«

Foto: © Torsten Volkmer bs!
Foto: © Torsten Volkmer bs!

Das Publikum möchte sich verbrennen, vom ersten Moment an. Es feiert jedes anrüchige erektile Zucken, das angedeutete Schlachten, Schlagen und Ertragen. Links zwo drei vier besudeln sich Völkerball mit der martialischen Ästhetik ihrer Vorbilder. Lindemann, alias René Anlauff, der Dirigent des schmutzigen Spektakels, dessen Stimme – nebenbei bemerkt – etwas mehr Pegel hätte vertragen hätte können, spielt mit dem Publikum, dem Feuer und seinem Widerpart »Flake«, alias Andreas Schanowski, das Katz und Maus Spiel von Rothenburg. Brecht schwitzt Benzin.

»Ich seh Dich nicht

Ich riech Dich nur, ich spüre Dich

Ein Raubtier das vor Hunger schreit,

Witter Ich Dich meilenweit«

Foto: © Torsten Volkmer bs!
Foto: © Torsten Volkmer bs!

Völkerball – a tribute to Rammstein haben unmerklich zwei eigene Songs aus ihrem Projekt Heldmaschine in den Abend gewoben, haben am Ende einen Engel in der Asche aufgehen lassen, den Spannungsbogen überhitzt, bis in die Zugaben gezündelt und sich – angesichts der phänomenalen Resonanz in Hannover – für 2016 ein doppeltes Spektakel angekündigt. Mehr! Das Publikum, es will sich am schwitzenden Völkerball laben. Mehr! Was es will bekommt es auch. Vier Mal ausverkauft ist nicht genug. Mehr Meer! Tiefe Wasser sind nicht still…

»Die Sehnsucht wird

Der Steuermann«

Links:

www.heldmaschine.de

www.voelkerball.eu

Foto: © Torsten Volkmer bs!
Foto: © Torsten Volkmer bs!

Setlist

  1. Reise Reise
  2. Links 2 3
  3. Feuer frei
  4. Keine Lust
  5. Laichzeit
  6. Pussy
  7. Spiel mit mir
  8. Wiener Blut
  9. Liebe ist für alle da
  10. Waidmanns Heil
  11. Haifisch

    Pause

  12. Wollt Ihr das Bett in Flammen sehen
  13. Du riechst so gut
  14. Mein Herz brennt
  15. Collateral (Heldmaschine)
  16. Wer einmal lügt (Heldmaschine)
  17. Asche zu Asche
  18. Seemann
  19. Mein Teil
  20. Ich will
  21. Du hast
  22. Ich tu Dir weh
  23. Ohne Dich

    Encore

  24. Sonne
  25. Engel

 

Galerie Völkerball:

Isabelle Hannemann
Isabelle Hannemannhttp://www.isabellehannemann.net
Die missratene Hypotaktikerin wird als Redakteurin Schrägstrich Fotografin bei be subjective! geduldet, hat versucht sich als freie Autorin und Herausgeberin verschiedener Artikel und Bände im Bereich der kritischen Sozialwissenschaft für Suchmaschinen selbst zu optimieren und will – wenn sie groß ist – mal sehen. Künstlerisch als Autorin und Fotografin mit diversen Bands und AutorInnen zusammenarbeitend, Texte zu Papier, Gehör und auf die Bühne bringend. Na dann Prost Mahlzeit!

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