Es soll ja Menschen geben, die haben gar keinen Fernseher. Menschen, die nur aus dem Kontext erschließen, dass SMS keine short message, sondern die simple Abkürzung für Sing meinen Song – das Tauschkonzert darstellt, Menschen, die WIRTZ schon immer mochten.
Auf die Plätze fertig los! Am 4. September im Capitol liest sich die Setlist wie moderne Poesie. Auf die Plätze, Regentropfen… Siehst du mich? Du fährst im Dunkeln Freitag Abend. Wir. Frei. Aber gibt es ein Wir? Gibt es ein Frei? Das Capitol ist ausverkauft. Die Fans nennen sich verwirtzt, singen alle Texte mit, reißen ihre Arme hoch und doch scheint etwas Unüberwindliches zwischen WIRTZ und der summenden Menge zu liegen. Daniel WIRTZ, der eine Lanze für die Underdogs, die kleinen Bands und Clubkonzerte, das Handgemachte und Nahbare bricht, er scheint fern. Ganz anders MILLIARDEN, der Kokain-und-Himbeereis-Support aus Berlin. Ben und Johannes haben keinerlei Berührungsängste, springen in den Fotograben, „Ist hier irgendwer verliebt?“ brüllt man hier seine Songansagen und nutzt die Applauswelle, um sich über das zum Kotzen miese politische Klima auszulassen.
„Es ist halt billiger, die Leute im Mittelmeer ersaufen zu lassen
als sie in unserem sozialen Netzwerk aufzufangen.
Und das ist die beschissene Wahrheit.“ (Milliarden)
Daniel WIRTZ ist ohne Zweifel ein Songschreiber. Dennoch kann f/man sich kaum entscheiden, ob f/man in Traurigkeit und Melancholie ausbluten oder tanzen will.
Eine Ambivalenz, die sich im Publikum spiegelt, denn es ist als verliefe ein tiefer Graben zwischen den SMS Fans und den Fans der ersten Stunde; zwischen jenen, die den Rocker schätzen und ein zweites, düsteres „11 Zeugen“ Album wollen und jenen, die schon ausflippen, als WIRTZ anhebt, vom Sofa seiner Omi zu erzählen. Wenn Sie diesen Tango hört, ist die SMS Hymne, die sich wie eine gläserne Wand durch die Reihen zieht und wie eine Milchglasglocke die Stimmung trübt.
„Geile Show, es war der Wahnsinn!
Danke für den WIRTZigen Abend“
„Leider nicht gerockt.
Für die Fernsehfans hätte Bestuhlung Sinn gemacht.
Tanzen war verboten, da wurde empört geguckt….. schade.“
„War schön, ist mir aber zum feiern zu ruhig geworden,
hat jetzt eher Pärchen-Chill-Charakter“
„Wie zum Teufel erkennt man denn einen VOX-Fan. Jetzt müssen die großen Indie Insider Musikversteher ihrem Idol gemeinsam mit der Mutti die sonst auch mal dem Engler lauscht in einem Raum zuhören. Was für eine Zumutung. Aber lauthals bei jeder Toleranz Parole applaudieren. Armselig.
Was dazu wohl euer Daniel sagt…
tolles Konzert übrigens.“
Eigentlich schade, dass der Prophet von Toleranz, Ehrlichkeit und DO IT (yourself) zwischen die Geister, die er rief, in einem zwei Fronten Tanz aufgerieben scheint. Irgendwie noch immer der Rocker, irgendwie Totalsympath, irgendwie noch der Alte und doch scheint es, als stünde Daniel WIRTZ momentan so sehr in gleißendem Show-Biz-Licht, dass er unsichtbar wird, als sei sein Song Siehst du mich ein ehrliches Flehen, das an jeden einzelnen Fan gerichtet ist…
„Sind das alles leere Worte?
Aus Gefälligkeit erzählt?
Oder bist du jemand der in guten wie in schlechten Zeiten zu mir steht
und sein Versprechen hält?
Folgen deinen Sprüchen Taten?
Hand auf’s Herz – auch in der Not?“
SETLIST
- Auf die Plätze
- Regentropfen
- Siehst Du mich
- Du fährst im Dunkeln
- Freitag Abend
- Wir
- Frei
- Ich weiß es nicht
- Aus Versehen
- Viel Glück
- Sag es
- Tango
- Scherben
- Wenn Du willst
- L.M.A.A.
- Wo ich steh
- Meinen Namen
- Anderer Stern
- Mantra
- Das nächste Mal
- Keine Angst
- Mon Amour
- Nada Brahma
* Fanzitate: http://tiny.cc/WIRTZ_2015
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