Ein Samstagabend in Berlin, eigentlich nichts Besonderes, wenn da nicht immer die gleichen Fragen sind. Wo geht man hin und was wird der Abend bringen? Jedes Ausgehen soll in bester Erinnerung bleiben, aber zunächst müssen Antworten gefunden und Entscheidungen getroffen werden. Der 25. Februar 2017 ist für Konzertgänger in Berlin ein extrem schwieriger Tag. Das Überangebot der Deutschen Hauptstadt zeigt sich in voller Pracht. The XX spielen in der ausverkauften Arena, Dear Reader beschallen das Lido, Skunk Anansie rocken das Astra – so kann man die Liste noch eine Weile fortführen. Für jeden Musikgeschmack ist etwas dabei und Interessensüberschneidungen sind keine Seltenheit.
Trifft man die richtige Wahl?
Verpasst man einen denkwürdigen Abend in einer anderen Venue?
Weit über 1.000 Menschen haben Ihre Entscheidung getroffen und stehen in der Kälte vor dem Huxleys in Neukölln und wollen Peter Doherty mit Band beim Tourabschluss sehen. Der allseits bekannte Frontmann der Libertines und der Babyshambles ist in der Stadt um sein neuestes Soloalbum „Hamburg Demonstrations“ zu präsentieren. Seine Auftritte sind legendär und skandalös zugleich und somit stellen sich weitere Fragen:
Wird er überhaupt da sein?
Beginnt die Show pünktlich um 20:00 Uhr?
Ist er wirklich clean? Fragen über Fragen…
Was bewegt die Menschen heute zu einem Peter Doherty Konzert zu gehen? Ist es die Sensationslust, der Mythos um seine Person oder einfach seine großartigen Songs? Erwartungsgemäß verzögert sich der Einlass um eine halbe Stunde und die Schlange vor der Location wird immer länger. Kurz nach dem Betreten der Halle sind die ersten Reihen gut gefüllt und jede/r atmet zufrieden auf, denn er steht bereits auf der Bühne.
Ja richtig, Peter Doherty steht vor Showbeginn auf der Bühne, mit Band und er spielt, singt und lässt sich feiern. Der Soundcheck findet direkt vor Publikum statt – bis 20:00 Uhr – es geht nicht überpünktlich los, aber der Hauptakteur ist anwesend.
Von einem Support ist nichts bekannt, keine Info auf dem Ticket, keine Infos im Netz, so ist dieser Part des Abends eine große Unbekannte. Ein kurzer Umbau und nur zehn Minuten später betritt ein junger Mann mit Akustikgitarre und einer Alex Turner-Gedächtnisfrisur die Bühne. Sein Name ist Sion Hill, kommt aus Irland und wird von einem weiteren Gitarristen begleitet. Von Beginn an weiß er mit seiner Mischung aus Folk, Blues und dem Soul in seiner Stimme zu überzeugen. Er bekommt die volle Aufmerksamkeit und spielt sich 30 Minuten lang durch sein Repertoire aus Songs seines bald erscheinenden Debütalbums und altbekannten Klassikern wie dem Dschungelbuch-Song „I Wann Be Like You“.
Ohne lange Pause geht es umgehend weiter bis der nächste Act in Form von David Gaffney auf die Bühne kommt. Nur drei Songs wird er spielen, das kündigt er gleich an. Ganz allein mit seiner Akustikgitarre bewaffnet erhellen seine innigen Folksongs sofort den Raum. Dem Publikum gefällt es und als er beim Song „We Love You, Here“ ein Mitsingen fordert, wird ihm dieser Wunsch erfüllt. Nach gut zehn Minuten verlässt er wieder die Bühne.
„For Lovers“
Punkt 21:00 Uhr und von Doherty noch keine Spur, denn der dritte und zugleich letzte Support-Act macht sich bereit. Jack Jones betritt die Bühne und der 25-jährige Gitarrist aus Doherty’s Band sieht nicht nur aus und agiert ähnlich wie die jüngere Version des 37-jährigen Originals, er wird bereits öfter als dessen Sohn gehandelt. Sein Set eröffnet er mit „For Lovers“, einem von Fans gehandeltem Klassiker aus einer früheren Zusammenarbeit von Doherty mit Wolfman. Diese musikalische Verbundenheit danken ihm die Fans auf ganzer Länge.
Neben den gesanglichen Qualitäten zeigt Jones auch sein Talent für Gedichte. Thematisch behandelt er darin die Droge Ketamin und den berühmten Britischen Laden „Poundland“. Abschließend gibt es eine besinnliche Version des Libetines-Song „Don’t Look Back into the Sun“, bei dem er von der Violine unterstützt wird. Somit verabschiedet er sich unter lautem Applaus auf ein schnelles Wiedersehen mit der gesamten Band.
„Don’t Look Back into the Sun“
Kurz nach 22:00 Uhr betritt der Maestro im klassischen weißen Hemd und schwarzem Anzug die Bühne. Von einigen alkoholischen Getränken leicht wankend, wirkt er wie immer etwas über den Dingen schwebend. Das ist keine Überraschung, denn das ist der Doherty den alle sehen wollen. Die Show beginnt mit zwei Songs vom neuen Album: „I Don’t Love Anyone (But You’re Not Just Anyone)“ und „Kolly Kibber“. Es rumpelt, es poltert und die insgesamt sechsköpfige Band spielt zunächst wie aus einem Guss, auch wenn Perfektion nicht an erster Stelle steht. Die vordersten Reihen feiern ihr Idol von der ersten Minute an, der Rest des Saals ist noch zurückhaltend. Jede Qualität und Intensität seiner Studioaufnahmen ist verflogen – der Saal wirkt zu groß, die Songs nicht für die Masse bestimmt und das vernebelte Auftreten tut das Übrige.
Nach einer flüchtigen Begrüßung erklärt Doherty, dass sie für den Song ein Video drehen wollen und fragt, ob sie es gleich machen sollen oder später. Somit folgt umgehend der zweite Anlauf. Es ist Tourabschluss, die Band wirkt müde und ausgelaugt, es fehlt an allen Ecken die Energie und der Enthusiasmus. Generell sind die neuen Songs gut anzuhören, aber live umgesetzt wirkt alles sehr eindimensional. Entertainment gibt es nur in kleinen Dosen von Doherty – ein Tänzchen mit dem Mikrofonständer, der Versuch aufrecht stehen zu bleiben und Gitarre zu spielen – mehr wird nicht passieren. Jeder Song wird zudem ausufernder mit kleinen Improvisationen gespielt ohne auf den Punkt zu kommen und somit plätschert vieles trostlos vor sich hin. Gegensätzlich werden die Klassiker vom Publikum frenetisch gefeiert.
„The Whole Word is Our Playground“,
..die erste Singleauskopplung zum Record Store Day 2016 wird lauthals mitgesungen und kurz darauf folgt ein weiterer, dritter Versuch von „Kolly Kibber“. Jetzt hat er den Saal wie gewünscht auf seiner Seite. Wenig später folgt „Last of the English Roses“ von seinem ersten Soloalbum, welcher mit einem Violinen-Solo verfeinert wird. Man spürt deutlich, dass sowohl Band als auch Fans jetzt mehr Freude haben – Doherty genehmigt sich einen Snack auf der Bühne und nutzt sein Mikrofonkabel zum Seilspringen. Zum Ende hin gibt es noch „Killamangiro“ und „You’re my Waterloo“ von seinen Hauptbands. Das Set dauert knapp 90 Minuten und schon vor Beginn der Zugabe leert sich der Saal auffällig.
Was könnte da noch kommen?
Lohnt es sich zu bleiben und folgen noch mehr Hits?
Die erste Zugabe startet mit dem The Velvet Unterground-Klassiker „Ride Into the Sun“ und abschließend gibt es das lang erwartete „Fuck Forever“ der Babyshambles. Zum ersten Mal an dem Abend beschleicht einen das Gefühl, dass das Publikum ausgelassen und wirklich glücklich ist. Die Abstimmung innerhalb der Band stimmt hinten und vorne nicht, doch es interessiert niemanden – die Masse hüpft, Bierbecher und auch der Mikrofonständer fliegen.
Ein perfekter Zeitpunkt um den Abend und die Tour final abzuschließen, der Saal wird leerer, aber die Band bleibt stehen. Nach einigen Leibesübungen und Kopfständen stellen sie sich im Halbkreis um ihren Drummer auf und beginnen mit einigen sehr ruhigen und instrumentalen Improvisationen. Immer wieder stammelt Doherty Worte ins Mikrofon, doch am Ende zieht sich das Ganze um fast 20 Minuten weiter in die Länge ohne ein Höhepunkt zu erahnen.
Mit dieser Zugabe macht sich die Band selbst mehr Freude als dem Publikum. Sie kommen noch einmal alle zusammen an den Bühnenrand, verbeugen und bedanken sich artig und Doherty lässt das Mikrofon fallen.
Ende.
Das soll es jetzt wirklich gewesen sein? Scheinbar, denn die Musik dröhnt aus den Boxen, der Saal nur noch knapp zur Hälfte gefüllt und die Massen schleichen hinaus. Andächtig wie auf einem Schweigemarsch. Begeisterung und Zufriedenheit sehen anders aus und glücklich scheint niemand zu sein. Keine Eskapaden, kein musikalisches Feuerwerk und keine besondere Liveshow. Lediglich die großen Hits seiner Hauptbands zeigen die Qualität und die Daseinsberechtigung eines Peter Dohertys.
Schlussendlich sind viele Fragen geklärt, dennoch bleiben einige Fragezeichen weiterhin bestehen. War es jetzt die richtige Entscheidung den Abend im Huxleys zu verbringen? Wahrscheinlich nicht! Und die viel wichtigere Frage: Was möchte Peter Doherty im Jahr 2017 noch mitteilen?
Text: David Brix
Galerien (by Andreas Budtke):
- Peter Doherty (25.02.2017, Berlin) [21]
- Sion Hill (25.02.2017, Berlin) [6]
- David Gaffney (25.02.2017, Berlin) [5]
- Jack Jones (25.02.2017, Berlin) [7]
Setlist:
- I Don’t Love Anyone (But You’re Not Just Anyone)
- Kolly Kibber
- Kolly Kibber (Second take for music video)
- Play Video
- All at Sea (The Libertines song)
- Albion (Babyshambles song)
- The Whole World Is Our Playground
- The Lamentable Ballad Of Gascony
- Avenue
- Oily Boker
- The Travelling Tinker
- Down for the Outing
- Last of the English Roses
- You’re My Waterloo (The Libertines song)
- Who’s Being Having You Over
- Killamangiro (Babyshambles song)
- Flags of the Old Regime
- Hell to Pay at the Gates of Heaven
- Ride Into the Sun (The Velvet Underground cover)
- Fuck Forever (Babyshambles song)
Links:
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