Die Wolken hängen tief als ich an diesem Sonntagabend die Swiss-Life Hall erreiche. Ich gebe zu – mir ist nicht besonders wohl. Das liegt wohl zum einen daran, dass Hallenkonzerte mich an meine leichte Agoraphobie erinnern, die ich mir in den vergangenen Jahren angeeignet habe. Glücklicherweise verläuft das Einlass-Prozedere zügig und schon nach wenigen Minuten befinde ich mich im Foyer der Swiss-Life-Hall. Es ist Zeit für eine kurze Zielgruppen-Typologie. Die meisten Konzertbesucher*Innen kommen als Paar. Auffällig hoch ist der Anteil akribisch polierter Glatzen. Ich erspähe Trekkingschuhe, Wohlstandsgepäck und Freizeithemden. Das Gros der Fans befindet sich im gesetzten Alter. Ich decke mich mit Popcorn ein und beziehe Stellung in den oberen Rängen der Hallen-Tribüne.
Lasst die Vorstellung beginnen…
Abgesehen von den beiden mannshohen Oblaten vor einer weißen Leinwand zeigt sich das Bühnenbild außerordentlich minimalistisch. Nur der Synthesizer von Chris Lowe auf der einen und einem einsamen Mikroständer auf der anderen Seite lassen erahnen, wer sich hier heute Abend die Ehre gibt. Die Pet Shop Boys sind mit fug und recht als Legenden ihrer Zunft zu betiteln. Synthpop-Pioniere, Ikonen der queeren Community und Gegenentwurf zum ausufernden Personenkult anderer Pop-Künstler*Innen ihrer Zeit. Wobei das Schaffen des Pop-Duos keinesfalls eine Retrospektive darstellt. Seit fast 35 Jahren erfinden sich die Briten also audiovisuelles Gesamtkunstwerk regelmäßig neu und komponieren Musik für Film, Theater und Ballet.
Dann wird es dunkel.
Auf der Leinwand taucht ein riesiges Kaleidoskop auf. In einem Crescendo aus Nebel und Laserstrahlen werden die rund 2500 Zuschauer*Innen hypnotisiert. Die weißen Schirme auf der Bühne verwandeln sich erst in glühende Kugeln und vollführen dann eine 180 Grad-Drehung, um den Blick auf die sich dahinter befindlichen Gestalten freizugeben. Die Briten zeigen sich Hannover.
Hannover jubelt. Während Chris Lowe, kaum erkennbar mit dem Kopf in einer Metallkugel steckend zum Synthesizer marschiert, nimmt Neil Tennant, die Stimme der Pet Shop Boys, mit einer übergroßen Sonnenbrille und einer Art Space-Vogelnest als Kopfschmuck seinen Platz auf der anderen Seite der Bühne ein. Ein stampfender Bass setzt ein. Erster Eindruck: modern und druckvoll statt müde und verstaubt. New Order kommen mir in den Sinn. Donnernder Proto-Techno, unterstützt von dieser extravaganten Lichtshow. Tennants glockenhelles Organ schneidet durch den Klangteppich und stimmt mit dem Klassiker „Opportunities“ den ersten Hit des Abends an.
I’ve got the brains, you’ve got the looks.
Let’s make lots of money.
Die Performance wirkt roboterhaft unterkühlt. Ich schätze, genau so ist das gewollt. Bei der anschließenden Begrüßung zeigt Tennant seine britischen Manieren.
„Guten Abend Hannover!“
Als nächstes wird ein gigantischer Rubik Cube wird auf die Leinwand projiziert. Mit „The Pop Kids“ spielen die Pet Shop Boys einen Song aus ihrer neuesten Veröffentlichung „Super“. Ein guter Zeitpunkt um mich umzusehen und die Emotionen meiner Sitznachbar*Innen aufzunehmen. Die wenigsten scheinen dieses Stück bereits zu kennen. Die Nabelschnur zur Vergangenheit wurde gekappt. Es wird miteinander geklönt, sich die Nase geputzt oder einfach gestarrt.
Die Stimmung erinnert an eine Mischung aus MDMA-Kater und Sektfrühstück bei Gosch. Immerhin sehe ich erfrischend wenige Smartphone-Displays.
Nach den ersten 15 Minuten erstarkt die Band zum Quintett. Die drei Marionetten im Hintergrund stellen sich als Backround-Musiker*Innen heraus und begleiten Tennant und Lowe mit nicht minder auffälligen Kopfbedeckungen (goldene Helme) bis zum Ende der Show mit Gesang, E-Geige, Percussion und Verstärkung an den Synthies. Das funktioniert perfekt. Mit „Burn“ wird ein weiterer brandneuer Song gespielt. Doch diesmal scheint die Handbremse gelöst. Die ersten erheben sich von der Tribüne. Vielleicht ist es aber auch nur die Bandscheibe, die zwickt. Vorne wabert die Menge eh schon längst. Dabei fällt gar nicht auf, dass die Halle nur zur Hälfte gefüllt ist. Der Song „Super“ ist mit seiner Mehrstimmigkeit und dem mitreißenden Trance-Beat eine Live-Bombe. Habe ich schon erwähnt, dass die Lichtshow ziemlich atemberaubend ist? Die Laserstrahlen teilen die Halle in Vektoren und ziehen dann riesige Kreise, als wenn sie durch Glas schneiden würden.
„New York City Boy“ beginnt mit einem E-Geigen Solo der Background-Musikerin. Gänsehaut. Dieser Song präsentiert sich, wie viele andere Klassiker an diesem Abend auch, in einem neuen, schnörkellosen Soundgewand, das nichts mit der Radioversion zu tun hat.
Dann wird es weniger brachial. Es geht zurück, tief in die 80er. Die riesigen Projektoren tauchen die Swiss-Life Hall in ein rotes, gedämpftes Licht. Hinter mir bewegt ein Mittfünfziger ruhig seine Lippen zu „Love comes quickly“. Er genießt die Show sichtlich. In seinen Zügen findet sich aber auch ein Hauch Wehmut. „Home And Dry“ schlägt in eine ähnliche Kerbe. Das ist kitschig und großartig. Lupenreiner Pop, der dem Zynismus den Kampf ansagt.
Raffinierte Gesellschaftskritik,
verpackt in Plüsch.
Nebel verteilt sich auf der Bühne. Kirchenchöre kündigen einen der ganz großen Hits der Pet Shop Boys an. „It’s a Sin“ markiert den vorläufigen Höhepunkt des Konzerts. Spätestens als die simple wie effektive Keyboard-Melodie einsetzt, hat sich der Großteil der Zuschauer*Innen vom unbequemen Gestühl erhoben und klatscht, stakst und singt mit. Ein guter Zeitpunkt um meinen Platz zu verlassen und ein wenig Innenraum-Luft zu atmen. Währenddessen werden nach klassischer Manier der Reihe nach alle Mitglieder des Ensembles vorgestellt. Unten herrscht eine ausgelassene Stimmung, selten wird aber mehr als schlager-esk herumgeschunkelt. Einige sitzen am Rand der Tribüne, um ihre Beine zu entlasten. In den ersten Reihen geht jedoch die Post ab. Den Briten scheint es zu gefallen.
„You’re wonderful! We love you! Thank you!“
lobt Neil Tennant die hannoveraner Zuschauer*Innen.
Mit einer überarbeiteten Version von „Go West“ wird das reguläre Set abgeschlossen. Natürlich verlangt das Publikum nach einer Zugabe. Die bekommt es kurz darauf auch, wobei dieselbe mit zwei Songs reichlich knapp ausfällt. Nach „Always on my mind“ mit seiner unvergesslichen Hookline ist Schluss. Gefühlt ist nun die erste Hälfte des Konzerts vorbei. So scheint es nicht nur mir zu gehen. Obwohl die meistens Zuschauer*Innen euphorisiert und mit Sektfahne den Saal verlassen, nehme ich hier und da nüchterne ‚Da-wär-doch-noch-mehr-drin-gewesen‘-Gespräche auf.
Ein letztes Mal schweift mein Blick zur Bühne. Die Rider mit den E-Drum-Kits werden gerade hinausgefahren. Das waren sie also, die Legenden des Synth-Pop. Mein Fazit für diesen Abend? Knapp und durchkalkuliert aber auch zeitlos ästhetisch und audiovisuell brilliant. Ich summe auf dem Heimweg Pet Shop Boys-Songs.
Verdammt.
Diese Melodien sind wie Kaugummi.
Text: Felix Mohr
Galerien (by Torsten Volkmer bs! 2017):
Setlist:
- Inner Sanctum
- Opportunities (Let’s Make Lots of Money)
- The Pop Kids
- In the Night
- Burn
- Love Is a Bourgeois Construct
- New York City Boy
- Se A Vida É (That’s The Way Life Is)
- Love Comes Quickly
- Love Etc.
- The Dictator Decides
- Inside a Dream
- West End Girls
- Home and Dry
- The Enigma
- Vocal
- The Sodom and Gomorrah Show
- It’s a Sin
- Left to My Own Devices
- Go West (Village People cover)
Encore: - Domino Dancing
- Always on My Mind (Brenda Lee cover)
- The Pop Kids (Reprise)
Links:
www.petshopboys.co.uk