In Aurich ist es traurig, in Leer noch viel mehr. Aber nicht am 22.11. – denn an diesem Abend machen Muff Potter auf ihrer „Bei aller Liebe Appendix-Tour“ Stopp im Zollhaus und holen damit den verschobenen Apriltermin nach, an einem Mittwochabend. Vom Büro direkt zur Punkrockshow, das dürfte für viele Gäste an diesem Abend die bittere Realität sein. Die jungen, wilden und freien Jahre lange vorbei. Sogar der Typ auf der Bühne hat verschwitzte T-Shirts und Chucks gegen Anzug und Lederschuhe getauscht. Der natürliche Lauf der Dinge.
Immerhin ist man noch Punkrock genug, um in der Arbeitswoche in den Club zu gehen, statt auf dem heimischen Sofa zu versauern. Dieser Elan wird belohnt mit energetischem Support der Bremer Waran. Die Band veröffentlichte in diesem Jahr ihr erstes Album „Zwang“ ist live aber schon eine ganze Weile länger unterwegs. Das merkt man auch ab der ersten Sekunde. Vertrackte Hardcore-Songs mit deutschen Texten werden den Gästen direkt ins Gesicht geschrien. Lautstärke, Sound und Tempo lassen nur wenig Raum für Kritik. Während draußen mittlerweile eisige Kälte herrscht, wird es im schönen Zollhaus nach und nach mollig warm.
Als Muff Potter nur kurze Zeit später auf den Brettern stehen ist’s auch ordentlich voll im Saal, abgesehen natürlich vom ostfriesischen Sicherheitsabstand zum Bühnenrand. Trotz der Tatsache, dass Muff Potter zu jenen Bands zählen, deren Publikum das „früher war alles besser“ nahezu religiös hinunterbeten, schafft es auch das neue Material, die Gunst der Gäste zu gewinnen. Seien es die knackigen „Privat“ oder „Single Kandidat“ oder die gezähmten Indie-Songs Flitter & Tand oder Killer, mit welchem das Set eröffnet wird. Ausflüge in die ganz tiefe Bandgeschichte gibt es nur noch wenige. Ein kurzer Besuch auf der Bordsteinkante, im Fotoautomat, oder an einem Donnerstag im Freizeitpark müssen reichen, um die Vergangenheit gebührend zu feiern. Als Zugabe gibt’s das sperrige Nottbeck City Limits – Nagelschmidt tauscht Gitarre gegen Tambourin und wagt einen Ausflug ins Publikum, um den Menschen unangenehm nah noch unangenehmere Wahrheiten ins Gesicht zu brüllen – so viel Nähe ist für die gemeinen Ostfries*innen schon eine Zumutung, wird spätestens bei Die Guten, dem letzten Song des Abends dankbar verziehen.
Muff Potter Mittwoch – ein gelungener Weg, die elendig lange Arbeitswoche für einen Moment erträglicher zu machen. 5 Sterne, netter Service, gerne wieder.
Galerien (by Thea Drexhage bs! 2023):
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