Ein Festival, bei dem das Line-Up unbekannt bleibt, bis es auf der Bühne steht. Jamel Rockt den Förster, Muff Potter rockte als Headliner (be subjective! berichtete). Auf die Überraschung des Jahres folgte ein ausverkauftes Comeback (be subjective! berichtete ebenfalls), Festivalshows all summer long und dann der Herbst. Mit ihm Tour Nummer 2 und ganz viel Nostalgie.
Wirklich voll ist das FZW in Dortmund noch nicht, dabei läuft der Einlass schon eine ganze Weile, als wir eintreffen. Hier und da halten Biere Menschen fest, in der ersten Reihe wird campiert. Nach und nach trudelt es sich ein. Höchste Zeit, denn die Jolly Goods starten pünktlich und laut.
„Ich lieb die!“ – „Wen?“
Blaugesträhnte Achselhaarextensions. Am und ums Schlagzeug Glitzeroverload. Eingerahmt von blauen Outfits irgendwas zwischen Ilgen Nuhr und Gurr und Blond. Das Kunstportrait hinterm Silbervorhang erntet weniger Applaus als die gekonnte Enthüllung es verdient hätte, die Pommestüte dafür umso mehr. Solide Basis, auf und vor der Bühne. So muss das.
„1993 fühlt sich mehr so an wie 1939“
Muff Potter als letzte Band im alten und als erste Band im neuen FZW. Angst vor einer erneuten Erfüllung der Prophezeiung verleitet zu Dienstagsapplaus. Erstmal gegenseitig beschnuppern. Sind ja auch alle etwas älter geworden, die letzten zehn Jahre. Ob das Anknüpfen an früher gelingen wird? Oder war der Hype ums Comeback nur Saisonal bedingt?
„Flugzeuge über meinem Bett und die Monster im Schrank
Bitte geht noch nicht weg!
Ich will für immer hier liegen bleiben und du
Du musst für immer schreiben“
Zumindest diese Befürchtung bewahrheitet sich keinesfalls. Von der ersten Zeile wird Textsicherheit bewiesen. Bühne. Fotograben. Innenraum. Wer sagt denn, dass nicht ausverkauft auch nicht geil bedeutet? Selbstsicherheit gewonnen, alte Routinen ausgegraben, Nagels Hemd wie immer gleich geblümter Retrochic.
„Wie soll man nur unpeinlich über die körperliche Liebe singen?“
Eigentlich geht das ja nur auf Englisch. Kein Grund es nicht trotzdem auf Deutsch zu tun. So lange mit Worten jonglieren, bis es passt. Aus Aufwärmen ist mittlerweile kochend heiß geworden. Wo grade noch Tanzabstände eingehalten wurden, kommt jetzt kein Fuß mehr auf die Erde. Der Ruck nach vorne macht’s möglich. Den Fans von früher sei dank. Keine Zeile bleibt ungesungen,
„Der nächste Song ist von der Band Muff Potter. Dieser Song ist ein Protestsong. So wie jeder Song von Muff Potter. Auch die Liebeslieder sind Protestsongs.“
So und nicht anders geht Angry Pop Music. Von Nebelschwaden umhüllt, Dunkelleuchten, Schweißperlenglitzern. Wer braucht schon ruhige Lieder, wenn man Pogen kann. Zehn Jahre ältere Fans, um keinen Tag gealtert. Der Text verankert im Gehirn. Einmal schwitzen wie früher. Einmal ausrastet als wär man… 10 Jahre jünger. Guckt ja keiner hin.
„Geht so das Ende? Ein 100 Kilo Herz schlägt auf mich ein. Das kann’s doch nicht gewesen sein.“
Zugabe um Zugabe, der Ablauf sitzt. Ist nämlich der gleiche wie zum lang erwarteten Comeback im Frühjahr. Hunderte machen noch ein letztes Mal Stimmung für Abertausende. Dann fließt die Masse müde, zufrieden und heiser an die frische Luft.
Galerien (by Daphne Dlugai bs! 2019):
Setlist:
- Ich und so
- Unkaputtbar
- Bis zum Mond
- Wunschkonzert
- Sie tippen irre auf deinen Möbeln
- Wenn dann das hier
- Elend #16
- Auf der Bordsteinkante (nachts um halb eins)
- Wir sitzen so vorm Molotow
- 23 Gleise später
- Niemand will den Hund begraben
- I Love Fahrtwind
- Das seh ich erst wenn ich’s glaube
- Die Guten
- Feuerficker
Encore: - Von wegen (aus Gründen)
- Fotoautomat
- Allesnurgeklaut
- Den Haag
Encore 2: - 100 Kilo