Review: amerikanischer Indie-Rock vom feinsten – Kevin Morby im Uebel & Gefährlich (30.05.2022, Hamburg)

Der Ballsaal im Uebel & Gefährlich ist gut gefüllt. Es sind um die 350 Indie- und Folkfans gekommen, um Kevin Morby zu sehen. Supported wird er von Hachiku bürgerlich Anika Ostendorf. Sie ist eine deutsch-australische Dream-Pop-Musikerin. Etwas schüchtern, in legerer Kleidung mit Cord-Cap, Brille und Pullover steht sie allein auf der Bühne. Sie wirkt auf Anhieb sympathisch. Hachiku singt fünf wirklich schöne verträumte Songs und spielt dabei E-Gitarre. Eine echte Neuentdeckung. 

Hachiku (Foto: Jörg-Martin Schulze bs! 2022)

Wenig später folgen Kevin Morby und seine Band. Zuvor war er schon auf der Bühne um den Aufbau zu überprüfen. Bei einigen anderen Sängern wäre dies ohne Gekreische im Publikum nicht möglich. Das bedeutet aber keinesfalls, dass sich die ZuschauerInnen nicht freuen. Es zeigt einfach: alle Anwesenden sind wegen seiner Musik hier. 

„It has been too long!“ sagt der 34-jährige. Aber wirklich. Zu lang keine Konzerte mehr. Besonders für einen so enthusiastischen Musiker, mit so einem Eifer beim Schreiben und Touren, muss sich die Corona-Pause sehr lang angefühlt haben. 

Kevin Morby (Foto: Jörg-Martin Schulze bs! 2022)

Das erste Lied ist This Is A Photograph vom gleichnamigen Album. Es ist gerade neu am 13. Mai 2022 erschienen. Auch hinter der Band steht der Titel als großer Schriftzug an der Wand. Ein sehr zentraler Song. Kevin Morby begann an dem Album zu schreiben als er ein altes Foto von seinem Vater betrachtet hat. Kurz zuvor hatte sein Vater im Januar 2020 aufgrund falsch dosierter Medikamente einen Zusammenbruch erlitten. Von dem Erlebnis und den Fotos inspiriert setzt sich der Song mit der Vergänglichkeit und dem Tod auseinander. 

„His wife behind the camera
His daughter and his baby boy
Got a glimmer in his eye
Seems to say, this is what I’ll miss after I die
And this is what I’ll miss about being alive.“

Kevin Morbys Gesang wird von einer sechsköpfigen Band begleitet. Sie sind vollkommen in die Musik vertieft und spielen mit einer beeindruckenden Präzision und Energie. Wechsel zwischen den Intensitäten und Tempi und harmonieren dabei perfekt. Darunter Cyrus Gengras als Bassist und Cochemea Gastelum wechselnd zwischen unter anderem Saxofon, Querflöte und Tambourin. An diesem Abend hat man sowieso schon das Gefühl kurz in Amerika gelandet zu sein. Als dann der Keyboarder Colin Croom für einen Song noch auf die Pedal Steel Gitarre wechselt, kommen auch noch richtige Country-Vibes rüber.

Kevin Morby (Foto: Jörg-Martin Schulze bs! 2022)

Elisabeth Moen ist die Background-Sängerin. Sie hat eine beeindruckend kräftige und schöne Stimme. Jedes Mal, wenn sie eine Passage singt, merkt man wie das Publikum noch ein bisschen aufmerksamer wird als ohnehin schon. Sie singt zusammen mit Morby zum Beispiel das Duett „Bittersweet, TN“.

Auffällig ist der häufige Wechsel zwischen ruhigeren, langsamen und dann wiederum schnellen, energievollen Songs. So führt Morby die Zuschauer zwischen eher melancholischen z.B. „Stop Before I Cry“ zu beschwingten Tracks wie dem eingängigen, Rock ´n’Roll-artigen Rock Bottom. Dieser Wechsel verläuft so gut und passend, dass die Zuschauer mitschwingen können. Einer der ruhigeren Songs ist „A Coat of Butterflies“. Er handelt vom Ertrinken Jeff Buckleys im Mississppi in der Nähe von Memphis. So wie dieser, handeln viele neue Songs vom Tod. 

„There’s a lighthouse on the water 
Throwing light back at the shore
I heard you died trying to swim towards it 
Now you’re living on the river’s floor”

Eine vielfältige Bandbreite an Songs, Themen und Stimmungen. Aus jedem von Kevin Morbys sieben Solo-Alben spielen sie mindestens eines. Die Musik funktioniert live unglaublich gut.

Der Höhepunkt des Abends ist das letzte Lied, „Harlem River“. Es scheint als würden alle Musiker noch einmal alle übrige Energie auf einmal herauslassen. Man kommt als ZuschauerIn nicht mehr hinterher mitzuwippen, geschweige denn mitzutanzen. Man steht teilweise einfach nur zutiefst beeindruckt da und versucht den Moment, die geballte Ladung Musik und Energie aufzunehmen. Was für eine Zugabe! 

Galerien (by Jörg-Martin Schulze bs! 2022):

Hachiku
Kevin Morby

Setlist Kevin Morby:

  1. This Is A Photograph
  2. A Random Act of Kindness 
  3. Bittersweet, TN 
  4. Five Easy Pieces
  5. Rock Bottom 
  6. Stop Before I Cry 
  7. Campfire
  8. Wander 
  9. No Halo
  10. Piss River 
  11. City Music 
  12. I Have Been to the Mountain 
  13. Parade/Dorothy 
  14. A Coat Of Butterflies 
  15. Goodbye to Good Times 
  16. Beautiful Strangers
  17. Harlem River 

Links:

Hachiku
Kevin Morby

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