Es könnte ein perfekter Tag sein. Die Sonne scheint noch immer in den frühen Abendstunden. Der See um das Schweriner Schloss glitzert. Gut gelaunte, schöne Menschen gehen durch die Tore ins Innere des gelben Prunkgebäudes und freuen sich auf das, was noch kommt. Wäre da nicht dieser eine, ganz unangenehme Gedanke im Hinterkopf: die Wahlergebnisse und das Licht, das sie ein weiteres Mal auf Ostdeutschland werfen. Die AFnee als stärkste Kraft, gesichert rechtsextrem, bitter. Aber mindestens 2/3 der Wählenden hatten eben auch keinen Bock auf den Scheiß und genau das muss man feiern. Mit Kettcar vielleicht. Die, die an diesem Abend im Schlossinnenhof den verbalen Mittelfinger gegen genau solch gesicherte Rechtsextremisten recken, die sich auch hier, in diesen Gemäuern im Landtag aufhalten dürfen. Aber heute sind die nicht da. Am 01.09.2024 halten sich nur gesichert coole Leute im Schloss auf. Es ist das Ende der Sommer-Tour, die nur wenige Monate auf die Album-Release Tour von Gute Laune ungerecht verteilt folgte. Vielleicht ist die alte Lady Kettcar schon etwas müde, anmerken lässt sie es sich aber nicht.
Ohne Vorband geht es um 19 Uhr gut aufgelegt los. Auch für mich 6. Stunde singt der Wiebusch, genau darüber, dass man in Anbetracht von allem schon mal müde sein kann. Und dann folgt für 21 Songs die kettcar’sche Magie mit einer wunderbar abwechslungsreichen Setlist und ebenso wunderbar abwechslungsreichen Stories von Reimer Burstorff’s Mutter – der arme Junge, wenn auch nur ein Fünkchen davon stimmt.
Mein Herz ist ein totgeschlagenes Robbenbaby
Bei München geht’s dem Burstorff jedoch ganz hervorragend, als er verschmitzt grinsend hoch in die Fenster des Schlosses schaut, und sich wünscht, dass die AFDeppen dort stünden und zuhören würden, wie all die Leute gemeinsam gegen Alltagsrassismus singen. Nur ein paar Kilometer weiter sangen an diesem Wochenende auch zahlreiche Leute auf dem kleinen Forsthof in Jamel, so laut von einer besseren Welt, dass die Nazinachbarn es bestens verstehen konnten, dort war die Band 2018 zu Besuch. Und natürlich kann Musik nicht die Welt retten, aber, wie es auch Marcus Wiebusch auf der Bühne erklärte, kann sie Menschen zusammenbringen und zeigen, dass eben nicht alles scheiße ist. Und gerade in Orten wie Schwerin ist das wichtig. Abseits von Berlin, von Hamburg, von München. Sondern in Meck-Pomm, dort, wie vielleicht nicht immer so viel geht, aber eben doch ganz viele das Herz am richtigen Fleck haben.
Natürlich sind die Herren Wiebusch, Wiebusch, Burstorff, Langer und Hake keine Politband, die dauerhaft zu drei Schrammelakkorden vom Schweinesystem singen, sondern eben jene, die auch die Nummer mit den Liebesliedern ganz gut drauf haben. Rettung, Balu und Co. dürfen nicht fehlen – dem Zorn erzürnter Paare, die gern kurz an ihren Hochzeitssoundtrack zurückdenken wollen, möchte sich schließlich niemand aussetzen. Zusätzlich gibt’s auch ein paar Schätze in der Setlist, wie Notiz an mich selbst von der Der süße Duft der Widersprüchlichkeit – EP, den es bisher noch nicht live gegeben hat. Und natürlich den Klassikern Im Taxi Weinen, Landungsbrücken raus, Deiche. Dazwischen den Revolver entsichern mit passenden Schlussworten für diese Review:
Von den verbitterten Idioten nicht verbittern lassen
Danke Kettcar. Schön, dass ihr in Schwerin wart. Gönnt euch ein Päuschen und kommt gern wieder, gern noch etwas tiefer in die Provinz. Denn auch hier stehen bald die Landtagswahlen an und der verbale Mittelfinger wird vermutlich nochmal gebraucht.
Galerien (by Thea Drexhage bs! 2024)
Setlist Kettcar:
- Auch für mich 6. Stunde
- Benzin & Kartoffelchips
- Rettung
- Balkon gegenüber
- Kanye in Bayreuth
- 48 Stunden
- München
- Sommer ‘89
- Balu
- Der Tag wird kommen
- Money Left To Burn
- Anders als gedacht
- Kein Außen mehr
- Notiz an mich selbst
- Ein Brief meines 20-jährigen Ichs
- Im Taxi weinen
- Landungsbrücken raus
Encore 1 - Den Revolver entsichern
- Ich danke der Academy
- Deiche
Encore 2: - Mein Skateboard kriegt mein Zahnarzt
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