Heimspiel in Hamburg für Kettcar und das gleich drei Abende am Stück. Diese dann auch noch ausverkauft. Läuft.
Bereits lange vor Einlass warten am Montagabend die ersten Gäste auf der sonst noch unbelebten großen Freiheit und frieren sich den Hintern ab. Ausgerechnet heute hat sich der Winter dazu entschieden, doch nochmal einen großen Auftritt hinzulegen. Umso schöner, dass sich der große Saal schnell füllt, denn manchmal kommt diese eklige Konzertwärme den Gemeinen KonzertbersucherInnen doch sehr zu Gute. Menschen verschiedensten Alters sammeln sich in Träubchen vorm Merch oder den Bars, verbunden durch die zahlreichen Shirts des umfangreichen Grand Hotel van Cleef – Sortiments. Es geht gemütlich zur Sache. Kein Gedrängel, keine große Aufregung, nur ein paar Bierchen und ein Schnack hier und da.
Unaufgeregt bleibt es auch bei der Vorband an diesem Abend. Das Paradies eröffnen ihr Set mit einer kurzen technischen Panne, bevor sie den Saal mit angenehm experimentellen, deutschsprachigen Indiepoprock beschallen. Die drei jungen Leipziger liefern ein souveränes Set und ernten nach jedem Song braven Applaus. Auf große Gefühlsausbrüche seitens Bühne oder Publikum wartet man an dieser Stelle jedoch vergeblich – aber es ist schließlich auch Montag.
Bei Kettcar finden die aufmerksamen Gäste jedoch keine Spur von Montagsblues. Bestens gelaunt betreten die fünf Hamburger Indierocker die Bühne und starten mit „Trostbrücke Süd“ ihr umfangreiches Set.
Wenn du das Radio ausmachst
wird die scheiß Musik auch nicht besser.
Nur eine von vielen Weisheiten, die Marcus Wiebusch an diesem Abend mit dem Publikum teilt. Nach jedem Song gibt es eine kleine Anekdote, ein Trick, den sie sich von Thees Uhlmann abgeguckt haben. Und es funktioniert. Trotz der ernsten Themen des letzten Albums „Ich vs. Wir“ wird der Saal regelmäßig von reichlich fröhlichem Gelächter erfüllt. Eine gute Verbindung zum Hamburger Publikum fällt bei den zahlreichen Anekdoten über Hamburg, Musikerkollegen wie Olli Schulz und Geschichten über die Große Freiheit 36 natürlich auch nicht schwer – auch die liebevollen Seitenhiebe an die Generation U-30 werden positiv aufgenommen.
Abseits der Plauderei (Ob Reimer Bustorff schon mal an ein zweites Standbein als Stand Up Comedian nachgedacht hat?) gibt es natürlich auch außerordentlich gute Musik auf die Ohren. Musikalisch nahezu perfekt dargeboten und auch klanglich einwandfrei entpuppt sich der Abend nach und nach zu einem dieser Vorzeigekonzerte. Alle sind gut drauf, es ist nicht zu warm, es ist ausverkauft aber nicht überfüllt und auch trotz diverser vorgetäuschter Abgänge findet das Set scheinbar kein Ende.
Kettcar haben mit fünf Alben natürlich auch ausreichend Material, das es verdient, gespielt zu werden. Der emotionale Ballast wird im Emo-Block abgehandelt, darunter mit „Rettung“ das wohl schönste deutschsprachige Liebeslied der letzten Jahre. Danach geht es wieder queer Beet durch die textreiche Vergangenheit und Gegenwart (wie sich Wiebusch das alles merken kann, wird uns Normalsterblichen wohl immer ein Rätsel bleiben? Je später der Abend, desto spielfreudiger die Band, so scheint es. So fängt es bei „Mannschaftsaufstellung“ das erste Mal richtig an zu wummern. Noch eine Schippe drauf setzt Wiebuschs‘ nach wie vor wichtige Solonummer über Homophobie im Fußball „Der Tag wird kommen“. (Ob Marcus Wiebusch schon mal über ein zweites Standbein als Hip-Hopper nachgedacht hat?)
Und der Tag wird kommen an dem wir alle unsere Gläser heben
Durch die Decke schweben, mit ’nem Toast den hochleben lassen
Auf den ersten, der’s packt, den Mutigsten von allen
Der erste, der’s schafft
Es wird der Tag sein, an dem wir die Liebe, die Freiheit und das Leben feiern
Jeder liebt den, den er will und der Rest bleibt still
Ein Tag, als hätte man gewonnen
Dieser Tag wird kommen.
folgt mit „Landungsbrücken raus“ die angeblich wirklich letzte Nummer des Abends. Danach geht die Band von der Bühne und auch ein Großteil des Publikums macht sich bereit, den Saal zu verlassen, doch plötzlich geht das Licht auf der Bühne noch einmal an und Kettcar kommen zurück mit den Worten:
„Echte Profis hätten jetzt aufgehört, aber wir haben da noch einen liebevollen Rausschmeißer.“
Es folgt mit „Den Revolver entsichern“ noch eine kleine, aufbauende Hymne für die Guten. Es sei schließlich nicht immer alles schlecht. Und dann werden die HamburgerInnen letztendlich mit einem guten Gefühl entlassen und wer möchte könnte ja vielleicht am Dienstag und Mittwoch nochmal…
Galerien (by Thea Drexhage bs! 2018):
Setlist:
- Trostbrücke Süd
- Balkon gegenüber
- Graceland
- Money Left to Burn
- Sommer #89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)
- Wagenburg
- Rettung
- 48 Stunden
- Balu
- Benzin und Kartoffelchips
- Tränengas im High-End-Leben
- Kein Außen mehr
- Im Taxi weinen
- Mannschaftsaufstellung
- Ankunftshalle
- Deiche
Encore 1: - Auf den billigen Plätzen
- Der Tag wird kommen
- Ich danke der Academy
- Landungsbrücken raus
Encore 2: - Den Revolver entsichern