Früher, also vor der Zeit der mobilen Kommunikation und sonstigem Gedöns, da hat man seine Kumpels per Wählscheibe angerufen oder ein kleines Steinchen ans Fenster geworfen, um zu fragen, ob sie zum Kicken mit auf den Boker, also Bolzplatz kommen. Meistens hat das geklappt und man hatte mächtig Spaß. Eine, zugegeben skurrile Regel hierbei war, dass wenn man drei Ecken verursacht hatte, der Gegner einen Elfmeter bekam. Das konnte spielentscheidend sein.
An diesem Abend finden unterschiedliche Konzerte in Hannover statt. Unterschiedliche Musikrichtungen, unterschiedliche Spielorte. Und alle irgendwie nicht ausverkauft. Warum? Weil sich keiner mehr auf Konzerte traut. Warum? Natürlich wegen Corona aber neuerdings auch wegen der Angst, seine Energiekosten nicht mehr bezahlen zu können. Auch die Konzertveranstalter haben Angst. Große Angst. Existenzangst. Angst essen Seele auf. Das will keiner. Was tun die Veranstalter also, um Kosten für Personal und Energie zu sparen? Sie legen die Konzerte zusammen. Genialer Schachzug.
Drei Gigs, ein Ort
Vorteil für die Fans? Sie kriegen auch mal Musik auf die Ohren zu der sie vielleicht nie hingegangen wären. Das weckt Interesse und vielleicht kommen sie auch mal wieder zu einem Konzert dieses Künstlers. Einer, der immer wieder kommt ist Christian Wesemann aus Bremen-Nord, Markenzeichen Jeans-Kutte und Buddy-Holly-Brille. Klingt jetzt nicht so erotisch, aber bitte keine Vorurteile. Heute ist er mit seiner Band am Start und gibt den Opener. Grillmaster Flash & the Jungs liefern absolut bodenständigen Deutsch-Rock-Pop ab. Grilli ist eher das frisierte Mofa als die High-End-Karre. Und das ist sympathisch. Der Typ liebt und lebt für seine Musik. Ehrlich und mit Hingabe. Mehr Sein als Schein. Aus seinem neuen Album „Komplett Ready“ und auch aus den Vorgängern kommen eingängige Akkorde. „Actionfigur“, „Bud Spencers Bart“ oder „Ganz vorn in der Achterbahn“ sind witzig und das Grilli „(Ich war nie) Rock´n´Roll“ singt stimmt definitiv nicht. Ganz im Gegenteil.
Mach dich frei und lass die alten zeiten gehen
Pack deine sachen, die gewohnheit lässt du einfach stehen
Wehr dich jetzt nicht sondern lass dich einfach gehen
Es tut nicht weh, du stirbst nicht, du wirst es schon sehen
Die zweite Band des Abends ist eine Kapelle. Kapelle Petra aus Hamm. Sie sind sowas wie der Brückenschlag, das Bindeglied, der Vorgeschmack zum dann nachfolgenden Act. Für viele der 1000 Fans im Capitol in Hannover ist Kapelle der Hauptact, für viele der überwiegend jungen Fans aber auch nicht. Reine Geschmackssache. Aber die Fans haben schnell Geschmack gefunden an den witzigen, ironischen Texten von Guido „Opa“ Scholz (Gesang, Gitarre), Bassist Rainer „Der tägliche Siepe“ Siepmann, Schlagzeuger Markus „Ficken“ Schmidt und dem ehemaligen Bassisten und jetziger Bühnenskulptur Timo „Gazelle“ Sprenger. Was macht eigentlich so eine Bühnenskulptur? Nix. Blöd rumsitzen, Bier trinken und ins Publikum gaffen. Geiler Job. Einen noch geileren Job machen die Aktivmitglieder der Band.
Mit Hits wie „Seitdem ich Johnny Cash bin“, „Bundesjugendspieleteilnahmebescheinigung“, „An irgendeinem Tag wird die Welt untergehen“ treiben sie die Stimmung hoch. Minutenlange La,La,La -Chöre überraschen die KP-Kerle. Die haben anscheinend Zeitdruck wegen dem weiteren Ablauf. Egal. Erstmal die Aufforderung „Geht mehr auf Konzerte“. „Also stoßen wir an“ auf „Eine schöne Geschichte“. Das ist „Weltkulturerbe“. Irgendwann muss/darf Gazelle dann doch ran. Trompetensolo. Sehr schön. Noch schöner?! ist seine Zugabe. Dann trainiert Gazelle im Ballonseidenanzug für Olympia. Da kommt endlich mal Bewegung rein.
Apropos Bewegung. Jetzt kommt mal richtig Bewegung ins Publikum. Liedfett aus Hamburg beschließen den Abend. Und wer die Band kennt weiß, das jetzt Ekstase angesagt ist. Noch im OFF kündigt Sänger Daniel Michel seine Truppe an. Macht mal Lärm für Lucas Uecker (Gitarre), macht mal Lärm für Philipp Pöhner (Cajón) und noch mehr Lärm für Bassist Victor Flowers. Mit dem Kommando „Liedfett asozial“ gehts rein in das Liedfett-Universum, was die Band selbst als „Liedermaching Untergrund“ bezeichnet. Der erste Song „3G“ hat nichts mit Impfen oder Mobilfunknetzen zu tun. Dreimal G gleich Geil, Geil, Geil. Ach so. Ziel ist es Stimmung zu machen und die Fans zum Rotieren zu bringen. Also Moshpit. Das funzt wunderbar.
Bei „Ball“ genauso wie bei „Das Loch“. Wie passend für einen Moshpit. Michel ist der Anheizer, beginnt seine Ansagen interessanterweise oft mit „Meine Damen und Herren“. Nun Ja. Ruhiger wird es bei diesem Gig nur beim Solo von Lucas Uecker. Dann werden „Schöne Dinge“ präsentiert. Ansonsten? Volldampf. „Wer hat mich geschubst?“ oder ist das „Körperliche Selbstverteidigung“? Zum Schluss „Scheiss Drauf“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Doch! Drei Gigs, ein Ort ist wie Drei Ecken, ein Elfer. Elfer versenkt. Gewonnen. Sieger sind Fans und Veranstalter.
Vielen Dank.
Galerien (by Michael Lange bs! 2022):
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