Review: John Allen: Willkommen am emotionalen Tiefpunkt (22.04.2017, Bremen)

Samstag, der 22. April – das Wetter ist ekelhaft wechselhaft und von der Bremer Osterwiese dröhnen die Schreie der betrunkenen Rummelgänger und der Lärm der Karussells. Allerhöchste Zeit für etwas Ruhe und Beständigkeit. John Allen lädt am Abend des 22.04.2017 in das Kulturzentrum Schlachthof ein, um einen Moment lang seinen traurigen Liedern zu lauschen. Eine Bitte, der viele Menschen verschiedensten Alters gern nachkommen. Nach dem Zurücklassen der Osterwiese und des nordischen Schmuddelwetters stehen die Bremer KonzertbesucherInnen vor der nächsten großen Hürde. Etwa dreihundertmilliarden Stufen schlängeln sich im Inneren des Schlachthofs nach oben in die kleine Theaterwerkstatt. Hat mensch diese erstmal überwunden wird er dafür… nicht mit einer tollen Aussicht über die Dächer Bremens belohnt, sondern mit einem Baugerüst, lenkt wenigstens nicht vom Künstler ab.

John Allen (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Leicht verspätet betritt John Allen die Bühne, er wolle noch etwas warten, bis auch die letzten BesucherInnen die Treppen erklommen haben. Nett. Das Publikum nimmt schnell die begrenzten Sitzmöglichkeiten in Beschlag, direkt vor der Bühne bleibt es anfangs leer, bis sich auch dort die ersten Menschen auf den Boden setzen. Das letzte Mal wäre das Konzert noch bestuhlt gewesen, ruft jemand aus der kleinen Menge.

Trotz der ersten Kritik begrüßt John Allen fröhlich seine Gäste und beginnt den Abend mit „Thou Shalt Be Saved“ seines Debütalbums „Sounds of Soul and Sin“:

So if you ask me why I’m standing on this stage
Singing songs for a handful dreamers, making minimum wage
All I can say is that I have never had a choice

Eine Rechtfertigung für eine Musikkariere, die eigentlich nicht nötig ist, denn dass John Allen auf eine Bühne gehört wird schnell klar. Zwischen Songs tauscht er hier und da sein Keyboard gegen eine Gitarre und die fiese, bartfressende Mundharmonika, Instrumente die er bestens beherrscht.

John Allen (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Mit einer rauen Stimme die auch ohne Mikrofon den gesamten Saal einnimmt und mehr an einen irischen Landstreicher aus einem der dunkelsten Pubs Dublins erinnert, als an einen ehemaligen, norddeutschen Geschichtsstudenten, baut der charismatische Hamburger Singer/Songwriter/Storyteller schnell eine Verbindung zu seinem Publikum auf. Er plaudert aus dem Nähkästchen, über die Musik, die Heimat, vergangene Liebe und was ihm noch so in den Sinn kommt – trotz der traurigen Lieder wird viel gelacht. Nach „My Hometown“ begrüßt John Allen seine Zuhörer mit „All this time“ am emotionalen Tiefpunkt des Abends. Das Publikum ist zurückhaltend, sitzt und lauscht. Erst als John Allen in der Mitte des Sets während „Northern Star“ den Stones Klassiker „You Can’t Always Get What You Want“ anstimmt kehrt langsam Leben in die sonst eher starren Mienen der ZuhörerInnen.

Ab jetzt geht es bergauf.

John Allen (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Allen kommt in Fahrt. Er wird lauter und energetischer, singt auch mal abseits des Mikrofons. Mit „Bloodbrothers“, „Criminals and Baseball Stars“ geht es weiter.

„Ich habe noch fünf Songs für euch, ist das cool?“ fragt der Sänger. „Nee, mach mal vier“, scherzt es aus dem Publikum. Auf „Freedom“ und „Better Times Ahead“ folgt mit „Home“ der erste Mitsing-Titel. Nach den ersten Vorsichtigen Versuchen fordert Allen die Menschen im Saal auf, lauter zu werden. Mensch solle sich vorstellen, Donald Trump stünde auf der Bühne und nur die Wucht des Gesangs aus dem Publikum könne seine Frisur, welche einem toten Tier ähnele, umgestalten. Ein Trick der funktioniert. Auf einmal sind alle wach und machen mit. „Just go where your heart tells you to go“, tönt es aus jeder Kehle. Zum Glück. Allen erzählt von Abenden während seiner vergangenen 447 Konzerte, an denen das Publikum nicht so gut gewillt war. Gewaltandrohungen und Schläge, alles bereits dagewesen.

John Allen (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Nach „Good Times“ bedanken sich die Gäste mit ausdauerndem Applaus und locken damit die Bremer Geheimwaffe Grillmaster Flash auf die Bühne. Mit diesem performt Allen ausnahmsweise ein deutsches Lied.

„Bud Spencers Bart“
bringt Leben in die Bude,

sodass selbst einige Köpfe auf den starren Sitzplätzen zu wackeln beginnen.

Um die Aufgeweckten Geister wieder zu beruhigen begibt sich John Allen zum Ende des Abends für ein emotionales Cover von Warren Zevons „Don’t Let Us Get Sick“ mitten ins Publikum, welches sich mit gefühlt unendlichem Applaus bedankt.

John Allen (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Galerien (by Thea Drexhage bs!):

Links:
www.john-allen.de
www.grillmaster-flash.de

 

Thea Drexhage
Thea Drexhagehttps://www.be-subjective.de
Thea Drexhage hat Salma Hayek einiges voraus! 10 mm. Wie die meisten Frauen der Redaktion, Duffy, Beth Ditto, Joan Rivers oder Angus Young kann sie die MusikerInnen aus dem Bühnengraben also völlig problemlos sehen, wenn jemand ihren Hocker trägt, wird aber - das hat sie mit Salma dann doch wieder gemein - dennoch viel zu oft auf Ihre Körpergröße, ihre Mähne und ihre leicht misanthropischen Anflüge reduziert. Damit sie also nicht im nächstbesten Titty Twister von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang Menschenmengen und Bläser mätzelt, halten wir “Aggro-Thea”, die zuvor ganze Landstriche in Mecklenburg Vorpommern ausgerottet hat, halbtags im spießbürgerlichen Oldenburger Exil an der langen Leine. Seither legt sich die scheißpünktliche existentialistische Besserwisserin analog mit Sartre, Camus & Kodak an und ja, auch wir müssen neidlos zugestehen, dass der Instagram-Account ihrer beiden Katzen “Salma” und “Hayek” mehr Follower pro Tag hat, als unser webzine im ganzen Jahr.

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