„Denn Freund Rübezahl sollt ihr wissen, ist geartet wie ein Kraftgenie, launisch, ungestüm, sonderbar; bengelhaft, roh, unbescheiden; stolz, eitel, wankelmütig, heute der wärmste Freund, morgen fremd und kalt; zu Zeiten gutmütig, edel, und empfindsam; aber mit sich selbst in stetem Widerspruch; albern und weise, oft weich und hart in zween Augenblicken, wie ein Ei, das in siedend Wasser fällt; schalkhaft und bieder, störrisch und beugsam; nach der Stimmung, wie ihn Humor und innrer Drang beim ersten Anblick jedes Ding ergreifen läßt.“ Johann Karl August Musäus, 1783
Nun schreiben wir das Jahr 2018. Genauer – den 20.04.2018. In Erfurt, der beschaulichen Landeshauptstadt Thüringens, könnte das Frühlingswetter kaum schöner sein. Doch wer will schon zur Grillparty, wenn sich ein (fast) echter Berggeist angekündigt hat. Denn Musikurgestein Joachim Witt hat den Erfurter Stadtgarten als Start seiner „Rübezahl“-Tour auserwählt, um die neuen Songs des gleichnamigen Albums live zu präsentieren.
Die Schlange vor der Location ist zum Einlassbeginn noch recht übersichtlich. Der Altersdurchschnitt dürfte in den Vierzigern liegen. Schwarzträger sind bisher in der Unterzahl. Der Stadtgarten füllt sich langsam, ganz voll wird er an diesem Abend tatsächlich nicht.
Scarlet Dorn starten pünktlich um 20:00 Uhr ihren ca. 40 Minuten Auftritt. Trotz ihren bisherigen Touren mit Lord of the Lost oder der Letzten Instanz dürften die Zöglinge von Lord of the Lost Sänger Chris Harms den meisten anwesenden Zuschauern noch unbekannt sein. Dabei ist Erfurt aktuell für sie sogar die meistbespielte Stadt in ihrer jungen Bandgeschichte.
Mit „Hold on to me“ oder „Heavy Beauty“ haben sie das Publikum noch ganz gut im Griff. Doch dann flacht der Enthusiasmus etwas ab. Je ruhiger die Songs werden desto weniger Reaktionen werden vor der Bühne ausgelöst.
Da Keyboarder Gared Dirge derzeit lieber mit David Hasselhoff tourt, gibt es bei Scarlet Dorn ein neues Gesicht auf der Bühne. Der Gared-Ersatz wirkt hinter seinem Instrument jedoch noch ein wenig eingeschüchtert. Aber da dies das erste Konzert der Tour ist, ist eine Steigerung problemlos möglich. Zum Glück schaffen es die Musiker dann doch noch, das Publikum wieder für sich zu gewinnen. Der letzte Song „Rain“ wird von geschwenkten Armen und rhythmischem Kopfnicken in den ersten Reihen begleitet.
In der Umbaupause wird die Bühne mit kleinen Bäumen dekoriert und in ein düster-blaues Licht getaucht. Der Berggeist aus dem Riesengebirge soll sich schließlich wohlfühlen.
Jubel bricht im Stadtgarten aus als Joachim Witt – oder ist es doch Rübezahl persönlich? – mit Rauschebart, Stock und schwarzem Umhang gegen 21:00 Uhr zu „Herr der Berge“ auf der Bühne erscheint. Weiter geht’s mit „Ich will leben“ und „Dämon“. Danach bedankt sich Joachim Witt bei Chris Harms für die tolle Zusammenarbeit bei der Produktion von „Rübezahl“. Er hat sich dabei sehr wohl gefühlt. Nun, dann steht einer zukünftigen erneuten Zusammenarbeit wohl nichts im Wege.
Dass Herr Witt einen recht trockenen Humor hat, dürfte der eine oder andere auf seinen vergangenen Auftritten bereits mitbekommen haben. Auch in Erfurt macht er seine Scherzchen mit dem Publikum.
„Es gibt noch so viele positive Dinge – aber die finden nicht hier auf der Bühne statt.“
Ja, auch dafür lieben ihn seine Fans. Nach jedem Song wird geredet – vielleicht manchmal etwas zu viel – oder mit den Fans diskutiert, wann er denn nun mal einen älteren Song spielt. Denn die meisten Anwesenden dürften inzwischen bemerkt haben, dass die Songs der heutigen Setlist in genau der gleichen Reihenfolge auf „Rübezahl“ auftauchen. Wenn der Herr Witt sagt, dass er sein neues Album präsentieren möchte – dann tut er das eben auch. Lediglich sein Cover des Falco Songs „Jeanny Pr.1“ haut er uns heute Abend nicht um die Ohren. Häufige Zwischenrufe nach beliebten älteren Songs wie „Gloria“ bleiben deshalb zwar nicht unkommentiert, aber unbeantwortet. Die Stimmung in der Halle ist trotzdem gut. Mir bleibt vor allem „Wenn der Winter kommt“ mit seinem bombastischen Sound besonders positiv in Erinnerung.
Die Vorstellung der Live-Band – sogar mit Vor- und Nachnamen – lässt sich Joachim Witt nicht nehmen, bevor er die Bühne nach etwa einer Stunde und 20 Minuten sowie dem letzten „Rübezahl“-Albumsong „Wiedersehen woanders“ verlässt. Ein bisschen lässt er seine Fans mit ihren „Zugabe“-Rufen zappeln, bevor er sie wieder mit seiner Anwesenheit beehrt. An alle LiebhaberInnen seiner älteren Stücke – nun ist endlich eure Zeit gekommen!
Vor allem „Das geht tief“ wird von den Erfurtern extrem gefeiert. Danach muss sich der Künstler erst mal setzen. Erneut schallen „Gloria“ und „Die Flut“ Rufe durch die Halle. Zumindest der zweite Songwunsch wird nun erfüllt und die Fans bedanken sich mit tosendem Beifall.
Als die ersten Textzeilen von Witts 80er Jahre Hit „Der Goldene Reiter“ erklingen, steigt das Publikum sofort mit ein. Aber nicht zur vollen Zufriedenheit des kritischen Mastermind. Im Laufe des Songs wird es besser, so dass die textsicheren Erfurter den Refrain schließlich fast alleine singen dürfen. Noch während die Band spielt, verabschiedet sich Joachim Witt erneut von der Bühne. Nach seiner Rückkehr kündigt er mit „Strenges Mädchen“ den nun wirklich letzten Song des Abends an. Er möchte in einer 20-minütigen „nervigen Version“ spielen. Ganz so schlimm wird es zum Glück nicht. Er meint, wir dürfen auch eher gehen wenn wir wollen, er tut das vielleicht auch. Nicht nur vielleicht. Aber was soll`s, der ein oder andere Fan ist ebenfalls bereits aus dem Stadtgarten verschwunden. Gegen 23:00 Uhr ist Rübezahls Besuch in Thüringen endgültig Geschichte.
Galerien (by Janina Lindner bs! 2018):
Setlist Scarlet Dorn:
- Hold on to me
- Heavy Beauty
- I´m Armageddon
- Dream On
- Hell Hath no Fury like a Woman scorned
- Kill Bitterness with love
- Cinderella
- I don`t know I don`t care
- Rain
Setlist Witt:
- Herr der Berge
- Ich will leben
- Dämon
- Goldrausch
- Mein Diamant
- Wofür du stehst
- Quo Vadis
- 1000 Seelen
- Eis & Schnee
- Agonie
- Wenn der Winter kommt
- Leben und Tod
- Wiedersehen woanders
Encore - Liebe und Zorn
- Das geht tief
- Die Flut
- Der Goldene Reiter
Encore II - Strenges Mädchen