Review: Igorrr – Breakcore-Cocktails zum Wochenendausklang (29.10.2017, Dresden)

Bevor an diesem Sonntag im Kulturzentrum Scheune das französische Bandprojekt Igorrr die neueste Veröffentlichung „Savage Sinusoid“ dem Dresdner Publikum vorstellen wird, eröffnet als Vorband Subact aus der sächsischen Landeshauptstadt den Konzertabend.

Subact (Foto: Kristin Hofmann bs! 2017)

Das Heimspiel der beiden Protagonisten Felix Melchior und Martin Grellmann hat zur Folge, daß der Saal schon richtig gut gefüllt ist und der Mix aus Electro vs. Schlagzeug enthält sehr viele Drum’n’Bass-Momente. Angereichert mit technoiden, dubesken bzw. raggaesken Anteilen ist diese Gemenge schon ein ganz guter Auftakt und wird vom begeisterten Publikum auch entsprechend honoriert. Welches sowohl vom Alter, Geschlecht bzw. Genrezugehörigkeitsempfinden ebenso gut durchmischt ist – vom Breakbeat-Freak bis zum Metal-Head.

Während der Umbaupause läuft im Hintergrund Klaviermusik und dies ist dann das letzte Mal etwas mit Harmonie bzw. Melodie mindestens für die nächste Stunde. Auch wenn der Anfang von „Spaghetti Forever“ des Titelttracks der aktuellen LP mit klassischen Elementen beginnt haben, bricht sehr schnell ein heftiges Drum’n’Bass-Gewitter, zusammen mit einem orkanartigen Death Metal-Sturm in einer Industrial-Endzeitlandschaftsstimmung über die Köpfe und vor Allem über die Ohren der Anwesenden im Saal der Scheune hinweg.

Igorrr (Foto: Kristin Hofmann bs! 2017)

Ob diese nach dem Konzert noch steht – ich glaube, dafür übernehmen Igorrr wahrscheinlich keine Garantie. Die derben und heftigen Rhythmuswechsel, sowohl in der Musik als auch beim Gesang, besser gesagt Geschrei bzw. Gekreische, brechen jegliches, gewohntes Taktgefühl auf. Wenn ich mich so um schaue, habe nicht nur ich zu Beginn ganz gut zu tun, konventionelle Erwartungen abzulegen, um mich ganz auf den Klangkosmos der französischen Band einzulassen.

zehn verschiedene genres,
ein Song
Disharmoniez Rulez!

Igorrr (Foto: Kristin Hofmann bs! 2017)

Jedenfalls lässt sich das Ganze visuell bzw. textlich nur schwer beschreiben, aber ein Versuch ist es auf alle Fälle wert. Mastermind von Igorrr ist der Produzent Gautier Serre, selbst ist er außerdem Mitglied der französischen Death Metal Band Whourkr. An diesem Abend steht er hinter seinem Laptop und Samplern mit einem Shirt einer anderen Death Metal Band – Cannibal Corpse, das ist dann schon Mal eine Ansage. Damit es auf Konzerten auch mindestens so gut knallt wie auf Platte, ist ein Live-Drummer samt Schlagwerk mit am Start. Morbit Angel ist eine weitere Band dieses Genres, welche hier genannt werden kann, denn für die haben die Franzosen 2012 einen Remix angefertigt.

Gesanglich repräsentiert diesen Teil des Igorrr-Sounds sehr gut Sänger Laurent Lunoir. Vor Allem optisch, mit seinen Tätowierungen plus Bemalung auf dem Oberkörper und seiner Löwen-Mähne springt er wie ein wildes Tier, welches sich endlich mal so richtig austoben darf, auf der Bühne herum, brüllt und grunzt seine Choral-Parts ins Mikrophon.

Igorrr (Foto: Kristin Hofmann bs! 2017)

Den anderen Platz auf dem Podium beansprucht Sängerin Laure Le Prunenec für sich, die mindestens soviel Bewegungsspielraum braucht und ebenso gut in den Schallaufnehmer reinschreien kann. Aber sie ist auch für den teilweise opernhaften Gesang der Igorrr-Musik verantwortlich. Schließlich nennt Produzent Serre auf der bandeigenen Webseite solche klassischen Komponisten wie Bach, Chopin oder auch Rameau als Einflüsse für sein Projekt. Le Prunenec und Lunoir sind wiederum Teil der experimentellen, doomlastigen Avant-Garde-Metal-Band Öxxö Xööx. Publikumsbekannterer Vertreter dieser Metal-Unterkategorie sind Meshuggah aus Schweden.

Igorrr (Foto: Kristin Hofmann bs! 2017)

Mir persönlich kommt sowohl beim vorherigen Reinhören zu Hause als auch hier auf dem Live-Gig immer wieder Fantômas – ein Bandprojekt von Faith No More-Frontmann Mike Patton – in den Sinn. Vielleicht nicht ganz so elektrolastig wie Igorrr, aber mindestens so abwechslungsreich in Punkto Rhythmuswechsel bei Musik bzw. Gesang. Und bei dem Stück „Cheval“ mit leichten Anteilen des französischen Chanson muss ich an Mr. Bungle denken, eine weitere Band von Mike Patton. Bei den schnellen, teilweise verspielten Elektro-Parts kommen sehr deutlich hörbare Ähnlichkeiten zu Aphex Twin zum Vorschein und auch diesen Künstler nennt Produzent Gautier Serre auf der Igorrr-Homepage als Einfluß. Das liest sich jetzt vielleicht ein bisschen wie Band-Namedropping, soll aber nur ungefähr die verschiedenen, musikalischen Stile der französischen Band näher beleuchten. Auf ihrer Facebook-Seite haben Igorrr unter dem Punkt Genre „All“ eingetragen, dem ist eigentlich nichts mehr hinzu zufügen. Apropos Licht, es war durch die vielen Taktumbrüche im Sound bestimmt nicht einfach dieses dazu passend zu mischen – ist dem Beleuchter an diesem Abend aber sehr gut gelungen.

Nach einer knappen Stunden zum ersten Mal eine kurze Ruhepause, besonders für die Ohren der ZuschauerInnen. Aber das begeistere Publikum im Konzertsaales des Kulturzentrums Scheune im Herzen der Äußeren Neustadt von Dresden fordert Bonus-Beats ein und die Franzosen lassen sich dafür nicht lange bitten. Viele kennen bestimmt das „Come To Daddy“-Video von Aphex Twin und ein Konzert von Igorrr ist quasi die 75 Minuten Live-Interpretation davon.

Galerien (by Kristin Hofmann bs! 2017):

Setlist:

Igorrr (Foto: Kristin Hofmann bs! 2017)
  1. Spaghetti Forever
  2. Opus Brain
  3. Grosse barbe
  4. Moldy Eye
  5. Biquette
  6. Barbecue
  7. Pavor Nocturnus
  8. Caros
  9. Viande
  10. Cheval
  11. Tendon
  12. Excessive Funeral
  13. Tout Petit Moineau
  14. ieuD
    Encore
  15. Unpleasant Sonata
  16. Apopathodiaphulatophobie
  17. Robert

Weiterhören:

  • Igorrr: Savage Sinusoid; Hallelujah; Nostril; Moisissure & Poisson Soluble
  • Subact: The Dubsquad (ep)

Links:
www.igorrr.com
www.facebook.com/subact.is.live/
www.scheune.org

Veranstalter:
DickTator Soundz & Kongfuzi

Tobias Richter
Tobias Richterhttps://www.facebook.com/mischband/
Jeder sollte einen Tobi haben. Keiner von uns hat ihn je gesehen, der Typ ist einfach zu groß und artig, der schmeißt aufgeblasene orange Dinger in Einkaufsnetze und - wie man so hört - muss sich der Ü190 Hüne dafür bücken. Eat Sleep Ball Repeat. Ansonsten ist ein Tobi einer, der Kassetten professionell aufwickeln kann, "der immer Ärger macht, der Streiche spielende Anstifter, der, der süchtig nach Furcht ist, ein Sinnbild für Gefahr." Jeder sollte einen Tobi haben. Und eine B-Seite.

Weitere Artikel

Ähnliche Beiträge

Review: Rising From The North – Arch Enemy, In Flames und Soilwork (26.10.2024, Dresden)

Heute wird's heavy hoch drei! Bereits einige "heavy" Bands...

Review: Apocalyptica gegen den Herbstblues im Alten Schlachthof (12.10.2024, Dresden)

Der Herbst ist da. Der Sommer weg. Vorbei die...

Preview: The Vision Bleak mit „Weird Tales“ auf Tour [2024]

The Vision Bleak, die Meister des Horror Metal, ...

Review: Kraftwerk und das Lichtspektakel (14.09.2024, Dresden)

Für den Open Air Abschluss in diesem Jahr haben...