Start Events Konzertberichte Review: Hier werden Jungs zu Männern – Fährmannsfest 2024 (02.-03.08.2024, Hannover)

Review: Hier werden Jungs zu Männern – Fährmannsfest 2024 (02.-03.08.2024, Hannover)

Liedfett (Foto: Michael Lange bs! 2024)

Wenn man dieses Festival mit wenigen Worte oder vielleicht nur einem Wort beschreiben müsste, dann wäre das eigentlich ganz einfach. Das Wort, das hier alles beschreibt, ist „entspannt“. Nur fröhliche, lächelnde, freundliche Menschen. Auch bei der Location auf der Fährmannswiese ist alles dabei. Biergarten-Atmosphäre trifft auf Picknicker im hinteren Bereich trifft auf Musikliebhaber vor der Bühne. Relativ klein und kompakt, aber mit viel, viel Herz. Entspannt halt.

Das Entspannte könnte man auch an den Ordnern festmachen. Sie gucken ja oft etwas streng und grimmig, weil sie konzentriert sein müssen, was denn so im Publikum vor sich geht, ob ein Crowd-Surfer entgegenkommt, ob jemand dehydriert, ob dies ob das. An diesem Tag alles entspannt, nix zu tun, die Ordner haben fast schon Langeweile. Das Fährmannsfest war und ist auch immer ein Sprungbrett für Newcomer. Heute noch unbekannt, morgen Stars.

Hier werden Jungs zu Männern

Tyna (Foto: Michael Lange bs! 2024)

Aber bevor die echten Kerle (uuuh!) kommen, rocken die Frauen die Bühne. TYNA aus Hamburg spielen eine Mischung aus Punkrock und NDW. Erinnert irgendwie an Nena in früher und gut. Aber da machen TYNA doch lieber ihr eigenes Ding. Ungeschminkte Texte in tanzbar und zum Mitsingen. Frech und fröhlich und doch mit ernsten Themen wie Rassismus, Empowerment und mentale Gesundheit. Das Album-Cover zu „PNK“ ist verwirrend. In Pink gehalten mit Schriftzug PNK, wobei PNK nicht für Pink, sondern Punk steht. Alles klar? Da es noch früh am Festival-Freitag ist, ist Stage Diving noch nicht möglich, aber Sängerin Tina (nicht Tyna) Müller hat trotzdem Bock auf Kontakt mit dem Publikum und organisiert eine Polonäse. Geht doch. Sehr erfrischender Auftritt.

Liedfett (Foto: Michael Lange bs! 2024)

So kann es weitergehen, tut es auch. Und wieder kommt die Band aus Hamburg (haben die ne Fahrgemeinschaft?). Liedfett machen nach eigenen Worten Liedermaching Untergrund. Das ist dann Punk-Gitarre mit knackigen Beats mit Texten zu Alkoholkonsum, Liebeskummer und selbstredend Gesellschaftskritik. Das neue Album heißt „Hi“ und wird nach eigenen Worten so beschrieben: „Die Hamburger Freigeister von Liedfett melden sich auf „Hi!“ mit neuesten Hymnen zum Dasein zurück. Während ihrer fortdauernden Odyssee durch die Wirren der Welt, haben sie ein weiteres Mal einen perfekten Soundtrack für all ihre Eindrücke gezaubert und jeder sinnsuchenden Sprachlosigkeit die passenden Worte geschenkt.“ Jaaa, genauso ist das. Frontmann Daniel Michel aus Hamburg (der Hamburger Michel?!) ist ein Entertainer, der das Publikum schnell in seinen Bann zieht. Er nimmt sich selbst nicht so ernst, sodass er auch mal den Sprechchor „Liedfett, Liedfett Asozial“ raushaut. Um es dann nochmal mit Ihren Worten zusammenzufassen. „Liedfett segeln mit offenen Ohren durch alle Gewässer und finden dabei ihren ganz eigenen Weg, ihre Gedanken perfekt zu ummanteln und als smarte Dreiminüter direkt in die Herzen der Menschen zu entlassen“. Boooah. Geil.

Und dann kommt eine Band, die es gar nicht mehr gibt. Sowas gibt es dann auch nur auf dem Fährmannsfest. Aus enger Verbundenheit zu diesem Festival und zur Feier ihres 35-jährigem Bandjubiläums hat sich diese Band noch mal zusammengefunden. Für großes Proben war nicht viel Zeit und neue Songs gibts sowieso schon mal gar nicht. Also spielen die Schröders nach eigenen Worten einfach alte Scheiße. Was sonst? Die Schröders (gegründet 1989) sind eine Punkrock-Institution, die mit Gold und Platin veredelt wurde. Sowas musste man sich in der analogen Zeit hart erarbeiten. Nix da, Titel online stellen und irgendwann Karriere. Über 1000 Konzerte, um bekannt zu werden. Das ist harte Arbeit. Sänger Jens Burger und seine Mannen lassen nichts aus.

Hab ich die Pflanzen gegossen, hab ich die Wohnungstür geschlossen
Hab ich den Gashahn abgestellt, hab ich die Zeitung abbestellt
Wer wird wohl zu meiner Beerdigung gehn

Ihre Hits wie „Lass uns schmutzig Liebe machen“, „Saufen“, „Frau Schmidt“ und „Frösche weinen nie““ sind Klassiker. Beim letztgenannten Song singt auch ein Ordner mit. Wie gesagt: entspannter Abend. Nicht ganz so entspannt ist „30 Meter“, ein Song über einen Suizid. Das Lied ist sowohl traurig als auch irgendwie amüsant bei aller Tragik. Unbedingt noch mal in Ruhe reinhören. Krasses Ding.

Madsen (Foto: Michael Lange bs! 2024)

Dann kommt der Haupt-Act. Madsen aus Clenze. Das Gebrüder Madsen & CO noch nie auf dem Fährmannsfest gespielt haben, ist eigentlich nicht zu glauben, sind sie doch seit 20 Jahren gestandene Rocker. Zeit für eine Entjung(s)ferung. Aus Jungs werden Fährmänner. Endlich. Dauert auch nicht lange. Zack, auf die Bühne und los rocken. Willkommen bei den Fährmännern. „Ein bisschen Lärm“ ist gut, jetzt ist richtig Dampf unterm Dach und auch die Ordner kommen in Aktion, ziehen sie jetzt doch im Halbminutentakt Crowdsurfer über die Absperrung. Und ab, husch husch wieder in die Menge und auf ein Neues. „Ich glaube, ich habe noch nie so viele Madsen-Shirts auf einem Festival gesehen“, sagt Frontmann Sebastian Madsen. Ja, da ist wirklich ganz ordentlich vertreten das markante Madsen-Logo. Die Band fühlt sich gleich richtig wohl auf der Fährmannswiese. „Schön bei euch“, so die einhellige Aussage der Madsen-(Fähr-)-Männer plus Fährfrau Lisa Nicklisch. Ihre Mischung aus Rock, Pop und Punk kommt gut an bei der aufgeheizten Menge. Auch die vorbeifliegenden „Angels“ vom Robbie W. sind gern gehört, besser noch ist „Die Perfektion“. Ihre Texte handeln vom Leben, der Liebe, Gesellschaftskritik und dies und das. Madsen engagieren sich gegen Rechtsradikalismus. Darum passen Sie auch sehr gut auf dieses Festival. Im Zugabenteil kommt dann auch „Faust hoch gegen Faschismus“, „Mit dem Moped nach Madrid“ und „Lass die Musik an“. Gute Idee. Kommt gerne wieder, ihr Fährmänner und -frauen!

Setlist Tyna:

  1. Kein Mensch kurz
  2. Scheissverein
  3. Zu viel für dich
  4. Für alle und mich
  5. Hunger
  6. Anomalie
  7. Unterwelt
  8. Heavy Mittel
  9. Wir haben Platz

Setlist Madsen:

  1. Ein bisschen Lärm
  2. Mein Herz bleibt hier
  3. Sirenen
  4. Macht euch laut
  5. Nachtbaden
  6. Angels (Robbie Williams cover) (Snippet)
  7. Kein Mann für eine Nacht
  8. Die Perfektion
  9. Kompass
  10. Vielleicht
  11. Wir haben immer noch die Sonne
  12. Du schreibst Geschichte
  13. Faust hoch gegen Faschismus
  14. Mit dem Moped nach Madrid
  15. Lass die Musik an

Wünsche und Erwartungen
Fährmannsfest Tag 2

Wenn man zu einem mehrtägigen Festival geht, schaut der geneigte Musikfreund natürlich zunächst erst einmal auf das Line Up. Wer kommt da, was für Musik machen die, lohnt sich das? Fährmannsfest? Da ist immer für gute Musik gesorgt. Dann ist das schon mal save. Aber was ist mit Versorgung? Essen und Trinken? Ausreichend Toiletten? Alles da in diversen Variationen für jeden Geschmack und Toiletten gibts auch ausreichend. Top.

So far so good. Jetzt gibt es nur noch einen Wunsch: gutes Wetter. Oh Oh, da kommen ganz schlechte Erinnerungen hoch. Das Wetter am Fährmannsfestsamstag 2023 war gelinde gesagt und ganz vorsichtig ausgedrückt, richtig richtig Sch… Sintflutartige Regenfälle waren absolute Stimmungskiller. Und was ist dieses Jahr wettertechnisch los? Ein Blick auf die Wetter-App des Vertrauens und… Oh, oh, da ist was im Anmarsch. Ja, ja so ist das mit den …

Aber bange machen gilt nicht, da muss mensch dann durch. Regenjacke, Poncho am Mann/an der Frau und ab. Leider etwas zu spät für Urge, der Post-Hardcore-Band aus Hannover. Hannover-Linden sogar. Also Heimspiel und leider kurz vorm Abpfiff. Aber sie treten demnächst wieder auf beim Obernair Walsrode-Bomlitz am 17.08.2024. Also diesmal nicht verpassen.

Kapelle Petra (Foto: Michael Lange bs! 2024)

Für manche der eigentliche Hauptact, tritt schon um 17:00 Uhr auf. Man hat sie schon gefühlt tausend mal gesehen und gehört, aber es ist gefühlt immer wieder neu. Kapelle Petra bestehen aus Opa (Gesang, Gitarre), Der Tägliche Siepe (Bass) und Ficken Schmidt (Schlagzeug). Live wird das Ensemble durch die Bühnenskulptur Gazelle und Andy Schmaus an der Gitarre verstärkt. Bei Kapelle Petra ist eins garantiert, sie machen mit ihrem Indierock und den ausgefallenen Texten immer Stimmung, wirklich immer. Und immer ist irgendwas. Diesmal haben sie ihren Merch-Kram-Anhänger vergessen. Nach dem Konzert können die Fans gerne an den Festival-Merch-Stand kommen, wo sie dann auch sind, aber die Fans halt nichts kaufen können. Running Gag der nächsten Stunde, die leider viel zu schnell vergeht. Vom neuen Album „Hamm“ gibts „Freibad Pommes“ und dann die ganzen alten guten Sachen wie „Weltkulturerbe“, „Also stoßen wir an“ und „An irgendeinem Tag wird die Welt untergehen“. Bis bald und dann auch mit Merch.

Er macht die Knöpfe fest
Und drückt sie rein
Wir können alles
Und Alles können wir sein

Apropos Welt untergehen, es zieht sich zu, bedenklich zu. Und es fängt an zu regnen. Na toll. Ein bisschen aber nur. Ausgerechnet beim nächsten, doch eher sonnenverwöhnten Act. Und was passiert? Panteón Rococó „blasen“ die Wolken weg. Die mexikanische Latin Ska/Mestizo Band lassen überhaupt keine Zweifel aufkommen, hier wird es an diesem Abend nicht mehr feucht vom Himmel kommen, sondern nur noch feucht-fröhlich sein. Ein Dutzend Kerle auf der Bühne machen richtig Alarm. So fröhlich ansteckend die Mucke auch ist, Ziel der Band ist es auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Die Texte setzen sich mit politischen Themen wie sozialer Ungerechtigkeit und Korruption auseinander und geben Unterdrückten eine Stimme. Wie heißen die Lieder? „No sé“ . Es ist „La Dosis Perfecta“. Und auch „La Carencia“ Die Truppe wird hoffentlich wieder kommen. Mega Mexikaner.

Panteon Rococo (Foto: Michael Lange bs! 2024)

Bei der nächsten Band ist ein Kerl namens Jan Windmeier der Sänger. Ganz normaler Typ. Typ mit Hundeblick. Typ mit Hundeblick und Hundeshirt. Was heißt das? Achtung, ganz gefährlich, das sind die schlimmsten. Turbostaat ist eine deutschsprachige Punkrockband aus Husum, mittlerweile hauptsächlich Flensburg. Auf deutsch gesagt, die kommen vonne Küste, von ganz oben. Und wenn man dann bildlich da oben steht und so auf Deutschland guckt, da fallen einem bestimmt ganz viele Lieder ein, Lieder zu Themen wie Rassimus, Einsamkeit und auch Landflucht. Mister Hundeblick sagt gleich von Beginn an, dass er keine großen Reden schwingen wird. Sie spielen die Songs im 5er-Block , dann kurze Ansage und weiter. Das ist dann wohl wenig Reden, aber trotzdem viel sagen. Turbostaat liefern ab. „Tut es doch weh“ , das Gravenhurst-Cover „Der weiche Kern“ oder auch der „Vormann Leiss“ fehlt nicht. Das war Gaspedal runter und drauf bleiben. Turbostart mit Turbostaat.

Turbostaat (Foto: Michael Lange bs! 2024)

Und schwupps, schon beim letzten Act des Abends. Talco ist praktisch Panteón Rococó in weniger Menschen und aus Italien. Weniger Menschen auf der Bühne heißt jetzt aber nicht weniger Energie und Spielfreude. Die bekannteste italienische Punkrock-Band hat in ihrer über 20-jährigen Geschichte acht Studioalben veröffentlicht und unzählige Show gespielt. Punkchanka ist der Musikstil, eine Mischung aus Punk-Rock, Folk-, Latin- und Ska-Musik. In einfach ausgedrückt: vom Ohr direkt ins Bein und Tanzen. Auf deutsch. Ausgelassene Partystimmung. Doch auch hier schwingen immer ernste Themen mit. Fragen wie das Konzept der Wahrheit, der menschlichen Erniedrigung und des Selbstwerts fließen genauso ein wie die Thematisierung politischer und sozialer Missstände . „Bella Ciao“ kennt jeder, aber es gibt auch eine Beziehung zu „St. Pauli“. „La Torre“ wird besungen genauso wie „der „Danza dell’ autunno rosa“. Die Fans sind glücklich und nass, aber nicht von einem Regenguss. Geiler Abend.

Talco (Foto: Michael Lange bs! 2024)

Galerien (by Michael Lange bs! 2024):

  • Fährmannsfest 2024

Links:
www.faehrmannsfest.de

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