Review: Disco Ensemble – Nach ihnen die Ginflut (30.03.2017, Bremen)

Finnland. Dunkelheit. Seen. Mücken. Wälder. Depressionen. Alkohol.

Mensch kennt die Vorurteile, mit welchen auch Disco Ensemble am Abend des 30.03.2017 im Kulturzentrum Lagerhaus nicht komplett aufräumen können. Statt einer Vorband bringen sie einen finnischen Gin-Hersteller mit auf Tournee. Ist ja irgendwie auch eine Form von Warm-Up. Statt einer freundlichen Bühnenbeleuchtung bleibt es düster, hier und da mal etwas Strobo oder Lichtblitze, um wenigstens einen kurzen Blick auf die Band werfen zu können. Seen aus Schweiß bilden sich schon nach kurzer Zeit und so wirklich fröhlich sind die Texte nun auch nicht

…nun, immerhin keine Mücken.

Disco Ensemble (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Aber beginnen wir von vorn. Klein und düster ist der Saal im Kulturzentrum Lagerhaus in Bremens „Viertel“. Die Bühne bereits vollgepackt mit Instrumenten. Ein junges Publikum versammelt sich nach und nach. Vermutlich Studenten die sich zum Semesterferien-Abschluss noch einmal die Gehörmuscheln durchpusten lassen wollen, damit auch die Worte der DozentInnen wieder verstanden werden können.

Pünktlich um 20:30 Uhr betreten die gutgelaunten Finnen von Disco Ensemble die Bühne und starten ihr Set mit „This is my head exploding“ der frühen „First Aid Kit“ Platte. Die ersten vorsichtigen Schubsereien auf der Tanzfläche beginnen. Die Bühne ist so klein, dass sich Sänger Miikka Koivisto immer mal wieder in den Zuschauerraum begibt, um sich die Beine zu vertreten, oder sich zwischen die, über den Boden robbenden, FotografInnen zu hocken.

Sinnvoll, die Dinge einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Disco Ensemble (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Das Set besteht, entgegen der Erwartungen, aus vielen alten Songs. Nur fünf Titel der aktuellen „Afterlife“-Platte werden zum Besten gegeben. Eine kluge Entscheidung, denn als Sänger Miikka Koivisto kurz über „Afterlife“ erzählt, fällt der Applaus nur mäßig aus. Nichtsdestotrotz haben Band und Publikum eine Menge Spaß. Der Sound ist, für die Größe der Location, überraschend gut, die fetzigen Keyboardklänge Koivistos und das wahnsinnige Talent seiner Mitmusiker, deren Namen eh niemand aussprechen

Disco Ensemble (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

kann, bereiten gute Laune. Der harte innere Kern der ZuschauerInnen lässt sich, trotz der Tatsache, dass Disco Ensemble ihre zweite Seele an Til Schweiger verkauft haben, nicht vom Tanzen abhalten. Auf den äußeren Rängen wird immerhin mal mit dem Kopf genickt. Koivisto stören die Kopfnicker nicht. Der Gute ist aufgeweckt wie ein Sack Flöhe, hat Hummeln im Hintern und pumpt auch hier und da mal wie ein Maikäfer.

Es gibt gar nicht genug Insektenmetaphern,
um seinen immensen Bewegungsdrang zu beschreiben.

Auf „Second Soul“ folgt „Das Boot“. Ein Sample des U96-Klassikers funktioniert natürlich immer. Statt „Get on board join the troops“ heißt es jedoch

„When I go to war,
I leave my guns at home“.

Kommt gut an. Kurze Zeit später folgt mit „Headphones“ bereits der gefühlte Höhepunkt des Abends. Aber auch Klassiker wie „When I fall apart“ und „Bad luck Charm“ bringen das Publikum ordentlich ins Schwitzen. Wärme, welche die Jungs, die zwischendurch über den „Shitty fucking stupid winter“ in Finnland schimpfen, sicherlich genießen.

Verschnaufpause.

Disco Ensemble (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Die pumpenden Maikäfer krabbeln von der Bühne, um Energie für sechs weitere Songs zu tanken. Mit „White Flag“, „Black Euro“ und „I’ve seen the future“ wird noch einmal richtig Krach gemacht, bis schließlich mit „Stun Gun“ das Set mit übermäßigem Lärm und Soundüberschneidungen ein Ende findet. Die Zugaberufe des Publikums sind laut und überraschend ausdauernd, reichen aber nicht, die Band noch einmal aus ihrem Versteck zu locken.

Schade eigentlich, der Abend ist noch jung. Glücklicherweise kann mensch sich mit dem ein oder anderen Feierabendgin der Kyrö Distillery Company vertrösten, bevor sich ’s Gekäfer durch die Hotspots des Bremer Szeneviertels nach Hause kämpft.

Galerien (by Thea Drexhage bs!):

Disco Ensemble (Foto: Thea Drexhage bs! 2017)

Setlist:

  1. This Is My Head Exploding
  2. Fight Forever
  3. Spade Is The Anti-Heart
  4. Magic Recoveries
  5. Second Soul
  6. Das Boot
  7. Eartha Kitt
  8. Headphones
  9. We Might Fall Apart
  10. Bay of Biscay
  11. Face Down In A Fountain
  12. Afterlife
  13. Bad Luck Charm
    Encore
  14. Realtity
  15. White Flag For Peace
  16. Beacon
  17. Black Euro
  18. I’ve Seen The Future
  19. Stun Gun

Links:
www.discoensemble.com

 

Thea Drexhage
Thea Drexhagehttps://www.be-subjective.de
Thea Drexhage hat Salma Hayek einiges voraus! 10 mm. Wie die meisten Frauen der Redaktion, Duffy, Beth Ditto, Joan Rivers oder Angus Young kann sie die MusikerInnen aus dem Bühnengraben also völlig problemlos sehen, wenn jemand ihren Hocker trägt, wird aber - das hat sie mit Salma dann doch wieder gemein - dennoch viel zu oft auf Ihre Körpergröße, ihre Mähne und ihre leicht misanthropischen Anflüge reduziert. Damit sie also nicht im nächstbesten Titty Twister von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang Menschenmengen und Bläser mätzelt, halten wir “Aggro-Thea”, die zuvor ganze Landstriche in Mecklenburg Vorpommern ausgerottet hat, halbtags im spießbürgerlichen Oldenburger Exil an der langen Leine. Seither legt sich die scheißpünktliche existentialistische Besserwisserin analog mit Sartre, Camus & Kodak an und ja, auch wir müssen neidlos zugestehen, dass der Instagram-Account ihrer beiden Katzen “Salma” und “Hayek” mehr Follower pro Tag hat, als unser webzine im ganzen Jahr.

Weitere Artikel

Ähnliche Beiträge

Preview: Jetzt erst recht – Kafvka auf Tour (2024)

Die Band Kafvka aus Berlin ist bekannt dafür, keine...

Review: Kommt ein Schwan in den Schlachthof – Turbostaat (25.10.2024, Bremen)

Der Schwan ist im Schlachthof gelandet, dort wird er...

Preview: Uns schwant da was: Turbostaat mit Special-Shows (2024)

Turbostaat feiern 25 Jahre Bandgeschichte und ehren damit einhergehend...

Preview: Helft dem Hellseatic (2024)

Auf den ersten Blick sind 89 Euro für ein...