Review: Sphärisch düstere Melancholie. Diorama im Frank K. (03.12.2016, Reutlingen)

Ein knackig kalter Abend in Reutlingen. Aber es lohnt sich, das Haus zu verlassen, denn heute steht im Franz K ein Heimspiel von Diorama auf dem Programm. Und zugleich feiert die Band den D-Day zum 20-jährigen Bandjubiläum und möchte natürlich ihr neues Album „Zero Soldier Army“ vorstellen. Es steht also einiges auf dem Programm, entsprechend groß sind Erwartungen und Vorfreude. Der Andrang auch: so findet sich im Franz K eine altersmäßig stark gemischte, in farbenfrohes Schwarz gekleidete Menschenmenge ein.

Den Einstieg macht Janosch Moldau, der zusammen mit dem Wiener Elektro-Urgestein Gerhard Potuznik seine Songs performt. Und hier weht ganz klar ein Wind aus den 80er: von den Frisuren, der Kleidung (ja, einige Sakkos mit Schulterpolster haben überlebt und dürfen heutzutage wieder auf die Bühne) und der Musik. Gespielt wird reinster Dark Wave, der stark an Depeche Mode angelehnt ist und mit einer gehörigen Portion Herzschmerz und Melancholie gewürzt ist. Die Stücke werden sauber vorgetragen, die Stimme des Sängers bleibt in angenehmer Erinnerung, die Stimmung im Saal ist relaxt. Einzig die zwischenzeitlich doch etwas gegensätzlichen Tanzbewegungen des Sängers, die so gar nicht zu der Musik passen wollen, irritieren. Insgesamt aber bieten die beiden Künstler eine schöne Einstimmung auf den Hauptact.

Den Einstieg von Diorama – schleichend und äußerst gelungen – bildet der Titelsong „ZSA“ des neuen Albums: Während die Band zu den ersten Klängen des Liedes die Bühne betritt, ist die Stimme von Torben Wendt nur zu hören. Es vergeht einige Zeit bevor er, von tosendem Applaus begleitet, die Bühne betritt. Und der musikalische Wind ändert sich: Diorama zaubern eine gewohnt mitreißende, kraftvolle und energetische Stimmung. Nicht zuletzt das Charisma des Sängers trägt viel dazu bei, den besonderen Spirit auf Diorama Konzerten entstehen zu lassen. So auch an diesem Abend in Reutlingen. Es entstehen Klangwelten in einem Spannungsbogen zwischen elektronischen Beats, klassischen Instrumenten und sphärisch-düsteren-melancholischen Soundkulissen, welche durch die voluminöse Stimme Torben Wendts zu einer musikalischen Explosion verbunden werden.

Auch auf diesem Konzert schaffen es Diorama, ihre Lieder vertraut und doch ganz anders als auf CD wirken zu lassen. Gerade die Stücke von dem neuen Album, welches doch etwas gegensätzlich aufgenommen wurde, überzeugen live vollends. Es ist die Begeisterung der Band, die Freude am Spielen und die authentische Bühnenpräsenz der Bandmitglieder, die diesen besonderen „Diorama-Spirit“ entstehen lassen. Dieses Markenzeichen lässt Konzerte immer wieder einzigartig und zu etwas Besonderem werden. Zugleich wird der Zuhörer gekonnt in wechselnde Klangwelten entführt, die die gesamte Bandbreite von nachdenklich-melancholisch über sanft-verträumt bis hin zu fordernd- powervoll- begeisternd abdecken. Und das Publikum lässt sich gern in diese Welten entführen. So ist die Stimmung während des gesamten Konzerts sehr gut.

Diorama (Foto: Janina Lindner bs!)

Gespielt wird eine bunte Mischung aus alten und neuen, ruhigen und kraftvollen Songs. Es ist eine schöne Präsentation der gesamten musikalischen Bandbreite, aber auch ein schöner Querschnitt durch die musikalische Bandgeschichte. Abgerundet wird das Konzert optisch durch Videos und Bilder, die im Hintergrund laufen. Eine Besonderheit ist dabei die visuelle Begleitung des Songs „Polaroid“ von dem aktuellen Album „Zero Soldier Army“.

Die Band hatte ihrem Album eine Schablone einer scherenschnittartigen Profilansicht eines Gesichtes beigelegt, mit deren Hilfe die Fans Fotos machen sollten. Eine schöne Idee und eine schöne Interaktion zwischen Band und Fans. Das fanden die Fans wohl auch, denn so erhielten Diorama einen großen Rücklauf. Und das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen.

Die Band ist an dem Abend gelöster Stimmung, zwischendrin gibt es ein paar entspannte Ansagen, Sticheleien, dumme Sprüche. Der neue Gitarrist Zura Dzagnidze fügt sich gut in die Band ein. Ein Bruch oder ein musikalischer Qualitätswechsel ist nicht zu spüren. Aber eine unveränderte Freude am Spielen und an der Livepräsenz ist zu spüren. So verwundert es nicht, dass das Publikum vehement Zugaben fordert und sie auch bekommt. Nach zwei Stunden ist die Lücke an Diorama-Live-Eindrücken reichlich gefüllt und so gestärkt lässt sich die Wartezeit bis zum nächsten Konzert sicherlich gut überbrücken.

Diorama (Foto: Janina Lindner bs!)

Setlist:

  1. ZSA
  2. Forgotten
  3. Hope
  4. Off
  5. Hydrodrugs
  6. Polaroids
  7. &
  8. Belle
  9. Howland Road
  10. Defcon
  11. Beta
  12. Synthesize Me
  13. Why
  14. Stay undecided
  15. Kein Mord
  16. Child of Entertainment
  17. Advance

Links:
www.diorama-music.com
www.janoschmoldau.com

Judith Sander
Judith Sanderhttps://www.be-subjective.de
Es gibt Sucht-Charaktere, die entsagen und es gibt andere, die setzen sich ins Epizentrum ihres Verlangens. Nein, Judith ist keine Schweizer Taschenmesserwerferin, sie ist bekennend schokoladensüchtig und metzelt ohne zu zucken für ‘ne Toblerone oder Eiscreme oder Tobleroneeiscreme oder.. na jedenfalls: Die Frau ist echt Zucker, echt hart drauf, hat ein feines Näschen, legt sich für die richtigen Dinge ins Zeug, in die Kurve und nascht am allerliebsten an kleinen, unbekannten Bands in ruhiger Atmosphäre. Wer die olle Genießerin dennoch ans Messer liefern will, sperrt sie – in einen rosa Rüschen-Alptraum gehüllt – mit stinkenden Dränglern ins Musikantenstadl und nimmt ihr das letzte Milkyway weg.

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