Die Konzertbranche stöhnt und ächzt über schlechte Vorverkäufe, sodass Konzerte in kleinen Locations wie dem Tower aktuell jedes Mal einem Krimi gleichen. Kommen genug Leute? Wie wird die Stimmung? Sagt die Band doch noch ab. Keinen Grund zur Sorge gibt es an diesem Abend bei Die Nerven. Schon als Shitney Beers sich allein mit ihrer Gitarre auf die Bühne schleicht, ist der kleine Laden im Herzen Bremens gut gefüllt.
Schon vor den ersten Tönen entschuldigt sich die Musikerin, für ihr Set. Klar, klanglich liegen Welten zwischen dem Sound von Die Nerven und ihrem eigenen, aber qualitativ kann Shitney Beers durchaus mithalten. Die überwiegend ruhigen und melancholischen Songs werden unterbrochen durch witzige Anekdoten und selbstkritischen Ansagen. Vor allem letztere hinterlassen auf Dauer einen etwas bitteren Beigeschmack, auch, wenn sie zur Bühnenpersona gehören mögen, wünscht man der Musikerin doch dauerhaft einen Schub Selbstbewusstsein, das würde eventuell auch den ein oder anderen Quatschkopf mehr zum Zuhören bewegen.
Zum Zuhören gezwungen wird man im Anschluss bei Die Nerven definitiv. das Trio eröffnet sein Set mit den ersten drei Songs des jüngst erschienenen, selbstbetitelten Albums. Ein Kracher nach dem anderen. Volle Lautstärke, volle Wucht, volle Intensität, volle Energie. Der Tower platzt mittlerweile aus allen Nähten – so voll war es auch vor pandemischen Zeiten nicht oft.
Deutschland muss in Flammen stehn
Ich will Alles brennen sehn
dröhnt es seitens der kleinen Bühne. Auf „Die Nerven“ hält die Band nicht hinterm Berg mit Gegenwartskritik. Europa, Deutschland, Influencer – alle müssen einstecken. Der Tenor ist düster. Das Thema Tod allgegenwärtig. Seinen musikalischen und auch zeitlichen Höhepunkt findet es im donnernden 180 Grad, welcher das Set im Tower beendet. Zwar waren die Konzerte von Die Nerven auf in der Vergangenheit recht ernst, doch dieses Mal merkt man sehr, wie sich die Band auch musikalisch weiterentwickelt hat. Jeder Ton sitzt, der Sound ist hervorragend. Makel sucht man vergeblich.
Alles in und um uns ‚rum, ist zum zerreißen angespannt
Baby, setz den Wagen an die Wand
Das Publikum ist sowohl bei den neuen Stücken als auch den Klassikern wie „Niemals“ textsicher. Bewegung gibt es nur vor der Bühne ein wenig. Im Rest des Ladens ist es auch einfach zu eng, sodass schon der Weg zur Bar einer abenteuerlichen Reise durch einen sehr fleischig verschwitzten Dschungel gleicht. So muss es sein. So muss es bleiben. Geht mehr auf Konzerte!
(PS: Bei Die Nerven vielleicht das Regencape einpacken, denn auch in Pandemiezeiten kann Drummer Kevin Kuhn nicht aus seiner Haut. „Sorry für’s Spucken, ist aktuell eigentlich nicht so cool“)
Galerien (by Thea Drexhage bs! 2022)
Die Nerven
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