Wisst ihr noch, damals? Damals als man als Kind englische oder französische Lieder aus voller Kehle mitgesungen hat ohne auch nur eine Vokabel zu verstehen, geschweige denn richtig auszusprechen? Wo alle Musik nur ein reines lautgetreues Artikulieren war und trotzdem wunderschön? So, oder so ähnlich muss es den meisten Leuten nun bei der Crucchi Gang gehen. Nur eben auf Italienisch und in (mehr oder weniger) erwachsen. Eine Möglichkeit dazu bietet die Eröffnungsshow der c/o pop. Schon zum 20 Mal findet das Festival in Köln Ehrenfeld statt. Ein Grund zum Feiern, den ich nicht verpassen möchte.
Köln und der Karneval ist ja ein Kapitel für sich. Man kann es mögen, man kann ihm aus dem weg gehen. Eins vereint alle: Man muss kein*e Närr*in sein, damit bei dem Begriff der Sartory-Säle als Location irgendwie klingelt. Für alle, die doch noch Infos möchten: Mitten im Herzen Kölns eine der größten karnevalistischen Sitzungssäle, Urgestein des Varieté und Boxens und so weiter. Und jetzt eben auch Gastlocation der 20. Eröffnungsshow der 20. c/o pop. Ist anerkannt, notiert und geht bestimmt in meine Liste der besuchten ganz besonderen Locations ein.
Ein lauer Mittwochnachmittag, es riecht nach Frühling und so langsam wechselt das gewohnte Einheitsgrau zu einem zarten Grün. Wer will da schon so schnell wie möglich in eine Halle, wenn man stattdessen noch ne gute Stunde Sonnenstrahlen tanken kann? Eiskalte Cola vom Kiosk, Sonnenbrille auf und kurz mal festgequatscht. Dabei hier und da kleine Grüppchen beobachten, die sich freudig begrüßen und in Zeitlupentempo Richtung Eingang pilgern. Drinnen dann erstmal orientieren. Jacken müssen abgegeben werden, Getränke kaufen draußen im Foyer, drinnen die Ränge teilbestuhlt. Während einige wenige stehend in der Mitte ausharren, werden nach und nach immer mehr Stühle besetzt. Mal gucken, wie lange das so bleibt.
Ein Blick nach vorne, die Bühne vollgestellt. Ein bisschen wie ein Wimmelbild, jeder Blick eröffnet neues. Bunte Skulpturen, weiße Pflanzen. Ein Neonschild der Crucchi Gang, ein Mosaikbild zwischen unzähligen Mikrofonen, Instrumenten, Monitoren und Notenständern. Vorne am Bühnenrand noch ein Schild. Es zeigt den Namen derjenigen, die den Abend eröffnen wird. Juli Gilde steht darauf. Und die Berlinerin eröffnet, als gäbe es kein Morgen mehr. Im Theaterscheinwerferleuchten nur von der eigenen Gitarre und Keyboarderin Clara begleitet. Vom Berliner Vorgarten über Köln bis ganz Paris. Ganz großes Tennis.
Ihr seid das Beste, was uns heute Abend passieren konnte
Abgang Juli Gilde, Verschluss des Vorhangs. Dahinter wird geräumt, Instrumente gestimmt und gemurmelt. Leerer werden die Ränge, voller der Saal. Vorhang wieder auf und dann wird’s auch auf der Bühne voll. Ciao Crucchi Gang, ciao Francesco. Es dauert keinen ganzen Takt und das Tanzfieber steckt alle an. Mitsingen, laut und (fast) richtig. So stellt Francesco schnell fest: „Ihr seid das beste, was uns heute Abend passieren konnte“. Und Köln ist für einen Abend ganz Italien. Irgendwie fehlt nur noch ein cremiges Eis. Oder wahlweise ein prickelnder Aperol Spritz. Oder es bleibt einfach alles ganz genau so, wie es ist. So ist es nämlich auch ganz schön perfekt.
Ich hoffe die meisten Leute in diesem Raum können auch kein Italienisch.
Es dauert keine 2 Songs (ok, genau 2 Songs), da wird die erste Gästin auf die Bühne geholt. Willkommen Antje Schomaker! Ab hier zeichnet sich ein Muster ab, das den Abend so herrlich wunderbar macht. Immer mal wieder ein*e Gast*in und der große Solo-Auftritt, dann direkt was specialiges „original“-italienisches mit Francesco zusammen. Und alle begrüßt, mit tosendem Applaus, lautem Mitsingen oder wenigsten ganz viel Getanze. Sei es Tristan Brusch, der leidenschaftliche Anhänger der Melancholie, oder Lina Maly, die mit einer Wir sind Helden-Interpretation erstmal wieder für gute Stimmung sorgt. Unvergessen der Überraschungs-Glücks-Aufschrei von Matze Rohde (Von Wegen Lisbeth), der zwar (wie er selber zugibt) kein Wort italienisch spricht, allerdings jedes „Al mio lokale“ („Meine Kneipe“) vom Publikum in Spielpausen so laut mitgesungen wird, dass von der Bühne niemand mehr zu hören ist. Abgerundet wird der Abend nur noch von Sven Regener (Element of Crime).
Cerco l’estate tutto l’anno
e all’improvviso eccola qua.
Mehr mehr mehr! Die metaphorische nächste Runde Eis muss her! Und das ist das Super-Special-Eis mit Streuseln und Sahne und Schokosoße. Geschmacksrichtung: Azzurro nach Adriano Celentano. Die Toppings: Alle Gäste*innen des Abends. Garnierende Kirsche: Das Publikum. Zusammen das schönste (und lauteste?) Azzurro der Welt.
Besinnlich wird’s zum letzten Song: Buonanotte Amici von Hannes Wader. Gleichzeitig die neue Single des kommenden Albums. Ich will noch ein Eis!
Ps: Und nur mal so am Rande – Crucchi reimt sich nicht auf Gucci 😉
- Galerie (by Daphne Dlugai bs! 2023):
- Crucchi Gang (26.04.2023, Köln)
- Juli Gilde (26.04.2023, Köln)
Setlist Crucchi Gang:
- Ancora tu
- Giovanne esploratore tobia
- Tempo sprecato
- Cavaliere d’argento
- L’altra meta
- Sparringpartner
- Ma il cielo per sempre più blu
- Rimini
- Quello che sei
- Solo una parole
- Ti sposero
- Al mio locale
- Paracetamolo
- Carta bianca
- Splash
- Kurt Cobain
- Il mio bungalow
Encore - Azzurro
- E penso a te
Encore 2 - Buonanotte amici