Review: Coppelianische Gesellschaft sorgt für Eskalation in Erzgebirgs-Idylle (28.12.2016, Annaberg-Buchholz)

Mit herannahendem Ende des Jahres 2016 verschwinden auch immer mehr Gelegenheiten die Herren Max Coppella, Graf Lindorf, Comte Caspar, Nobusama, Sissy Voss und ihren Butler Bastille auf der Bühne live zu erleben. Die alte, aber unglaublich jung und adrett gebliebene Musikkapelle Coppelius hat für dieses Jahr ihre Bühnenabstinenzankündigungskonzertreise verkündet und so bleiben nach den bereits vergangenen und hoch erfreulichen Konzerten wie beispielsweise in Dresden nur noch zwei Daten im Kalender übrig.

Mit “FINALE” sind die Konzerte im erzgebirgischen Annaberg-Buchholz und in Berlin ausgeschrieben. Welch tränenergreifendes Trauerspiel! Aber wenn man das Recherchieren im weltweiten Netz beherrscht, so kommt man schnell zum Schluss, dass es sich zum Glück nur um eine Pause handelt. Coppelius helfen voraussichtlich ab Sommer 2018 wieder. Welch Glück!

In guter coppelianischer Gesellschaft

Das Finale vor dem Finale in Berlin trägt das kleine Annaberg-Buchholz im Erzgebirge aus. Nebelig, kalt und äußerst nass ist es hier. Überall leuchten idyllisch Schwibbögen in Fenstern. Bereits 11:00 Uhr schwirren die ersten fanatischen AnhängerInnen von Coppelius durch die Kleinstadt. Einige reisen sogar aus 800 km Entfernung oder Übersee an. Des Wahnsinns! Aber da Coppelius bekanntlich hilft und die Menschen verbindet, ist es umso erfreulicher, dass zum großen Finale die Fanatiker aus allen Himmelsrichtungen angereist kommen. Sehr freundlich sind sie alle außerdem. Jeder neue, der den Weg zur Alten Brauerei findet, wird herzlich willkommen geheißen. Wer friert, wird auf Pinguinart gewärmt. Mit der coppelianischen Gesellschaft (in diesem Bericht „Sammelbegriff“ für die gesamte Fangemeinde) ist man wirklich in guter Gesellschaft.

Carpe Noctem: Zeit, den Bogen zu überspannen

Carpe Noctem (Foto: Kristin Hofmann bs!)

Nach Einlass schwärmen alle schnellstens vor die kleine Bühne der Alten Brauerei. Überschaubar ist der Platz hier. Die vorderen Reihen sind binnen weniger Minuten standhaft eingenommen. Durch die Dicht-an-Dicht-Verteilung kommt eine familiäre und intime Stimmung auf. Man kann quasi direkt in die Steckdosen und Schnürsenkellöcher der Musiker blicken. Gegen 21:00 Uhr geht dann das Licht aus, die kleine Bühne wird artig eingenebelt. Zeit für die sympathischen Jungs von Carpe Noctem! Für die Damen und Herren direkt an der Bühne heißt es:

Vorsicht vorm Bogen!

Durch das gemütliche Gequetsche kommen sich Musiker, Bogen und Fans teilweise gefährlich nahe. Doch verletzt wird zum Glück niemand. Wie die Wirbelwinde wirbeln Friedrich Busch, Cornelius Wagner, Martin Streicher, Sascha Dobschal und Daniel Cebulla über die Bühne mit ihren Instrumenten. Bis auf Ausnahmen musiziert das Quintett nur instrumental, aber sehr virtuos. Unterstützung am Gesang folgt dann auf eine ganz besondere Art und Weise.

Neeeeeein! Deine Lösung wollt ich nicht!

Die aktuelle Single “Das Gift der Spinne” (Video hier) musizieren Carpe Noctem mit Butler Bastille zusammen. Die fanatische Anhängerschaft ist begeistert. Begeistert ist sie auch als Graf Lindorf für “Toxicity” (System Of A Down Cover) adrett gekleidet dazu stößt. Als dann aber beide, Bastille und der Graf, zusammen singen, ist die Wonne kaum zu bremsen.

Nein! Deine Lösung wolln‘ wir nicht!

Wir wollen kämpfen, streiten und uns schlagen, kennen keine Pflicht.

Wir wollen eig‘ne Wege gehen, uns erst irgendwann verstehen,

wenn wir unsre Antwort kennen – sollte die einmal besteh‘n.

 

Mit Carpe Noctem wird es dank eines abwechslungsreichen Programms nie langweilig. So sind die knapp 40 Minuten Spielzeit (leider) schnell um.

Carpe Noctem (Foto: Kristin Hofmann bs!)

Setlist Carpe Noctem

  1. Blick
  2. Conviction
  3. Daydream
  4. Mephisto
  5. Gift der Spinne (mit Bastille)
  6. Autumn
  7. Toxicity (mit Graf Lindorf)
  8. Aerials (mit Bastille und Graf Lindorf)
  9. Afterwrath
  10. Intermezzo

 

Wer beim Umbau einen Blick hinter sich wagt, wird vor allem als kleiner Mensch feststellen, dass er gar nichts mehr sieht. Überall sind (große) Menschen! In jeder Ecke, in jedem Winkel, auf jeder guten Möglichkeit in erhöhter Position etwas sehen zu können. Die Alte Brauerei ist ausverkauft und platzt aus allen Nähten. Langsam bilden sich eigene Schweißwölkchen unter der Decke. Am Boden dagegen beschlagen die Objektive. Die Alte Brauerei kreiert eine ganz eigene Wetterzone. Fotografen drängen sich durch die Menge. Die FotografIN freut sich über ihren Platz ganz vorne links in einem Schlupfloch an der Bühne. 

Bühne frei für das coppelianische Perpetuum Mobile

Mit dem eigenen Wetter über den hibbeligen Köpfen, mit oder ohne Zylinder, heizt die erhitzte coppelianische Gesellschaft die Stimmung gegen unendlich hoch als um 22:00 Uhr Butler Bastille mit dem Beckenschlag auf die Bühne stürmt. Musiker und Publikum heizen sich gegenseitig hoch. Quasi ein coppelianisches Perpetuum Mobile! Das Finale beginnt.

Mich packt die Gier!

Durchgängig enthusiastisch, tanzend, springend, applaudierend, gut gelaunt und (fast) immer textsicher gieren die Damen und Herren nach mehr und mehr Liedern. Die Herren von Coppelius sind gewohnt bei bester Laune, wie immer adrett gekleidet und professionell. Es ist eine wahre Wonne sie “bei der Arbeit” zu beobachten. Indes bilden sich durch allerhand menschliche Bewegungen noch mehr Wolken an der sehr niedrigen Decke, die auch so gleich zu tropfen beginnen. Aber eigenes Wetter muss man sich auch erst einmal verdienen.

Coppelius (Foto: Kristin Hofmann bs!)

Umso erstaunlicher, dass Herr Comte Caspar trotz der widrigen Bedingungen auf den Schultern seines Butlers Bastille bei “Phantom Of The Opera” durch die schwitzende Eskalationsmeute mit seiner Klarinette schreitet. Ein Wunder, dass er sich hier nicht den Kopf gestoßen hat. Viel Platz zum orthogonalen Hüpfen auf der Bühne haben die hoch gewachsenen Herren aufgrund der sehr niedrigen Deckenhöhe nämlich nicht.

My English is not so good …

… und trotzdem begrüßte Bastille Gäste, die sogar von über dem großen Teich aus den USA angereist waren. Passend also, dass einige Lieder wie “Time – Zeit” in englischer Sprache gesungen werden. Die restlichen Deutschen Texte werden von der freundlichen Fanatikerschaft nebenbei übersetzt. Geh mal ein Risiko ein!

Und da schlug die Glocke …

ääääh … 2?

Ob es an der Lokalität lag oder nicht, “Die Glocke” läutet in Annaberg öfters in der falschen Reihenfolge. Sie schlägt nicht wie sie soll. Bastille wirkt verwirrt, das Publikum soll ihm helfen. Und das patzt an der gleichen Stelle. Ob die Glocke nun doch erst 1, dann wieder 1 und dann 2 und dann … schlägt. Am Ende weiß es keiner mehr so genau. Das spielt aber auch keine Rolle.

Coppelius (Foto: Kristin Hofmann bs!)

 

Ich trage dich durch’s Moor und stelle keine Fragen

Ich mach’ es einfach gern, laß mich Dich tragen!

 

Zu einer außerordentlichen Hüpfburg verwandelt sich die Gesellschaft bei Liedern wie “Moor” “Locked Out” oder “Risiko”. Die knappe Luft beginnt so ganz leicht zu zirkulieren. Die Wölkchen bewegen sich etwas. Die Wände sind nass. Allerhand Haar schütteln die Herren Coppelius zusammen mit mehr Damen als Herren auf der Bühne als sie die Töne zu “Murders In The Rue Morgue” anstimmen. Corsage festhalten, Hut ab, Zopf auf. Los geht’s.

 

Ein Tintenfisch?
Wie wunderlich!
Sprach Friederich
Und lehnte sich

Ganz weit hinaus
Verlor den Halt
Fand keinen Griff
Fiel jämmerlich
In’s Wolkenriff

 

Coppelius (Foto: Kristin Hofmann bs!)

Doch eigentlich scheint es egal, ob nun das persönliche Lieblingsstück gespielt wird oder nicht. Coppelius machen einfach durchgängig Spaß, überzeugen auf der ganzen Linie und lassen ihre Fanatikerschaft keine Sekunde an ihrer Treue zweifeln. Wie gut gelaunte virtuose Berzerker beherrschen sie Instrumente und Gesang in Perfektion. Coppelius hilft einfach. Grund zum Zweifeln gibt es hier nicht. Und wie keine andere Musikkapelle vermögen sie es ihre treue und schnieke Gemeinschaft, die coppelianische Gesellschaft, zusammen zu halten. Jeder hält jeden. Alle kennen sich irgendwie oder über drei Ecken und wenn nicht, ist man Neuankömmlingen äußerst freundlich gesonnen. Werte Freunde oder Fremde, das nennt man Zusammenhalt!

So viele Belobigungen auf einmal! Doch wieder zum „Wetter“:

Bei dieser vielerlei Eskalation im tropfnassen Säälchen der Alten Brauerei muss sich der ein oder andere eine kurze Auszeit von vor der Bühne gönnen und dem Kreislauf zu Liebe eine Erfrischung an der Bar holen. Trotz der Hitze mit wenig vorhandenen Sauerstoffmolekülen ist die Stimmung bei der coppelianischen Gesellschaft unermündlich fanatisch gut. So helfen sie wenn Herr Comte Caspar ein Taschentuch benötigt oder Bastille seinen Haargummi verloren hat. Die coppelianische Gesellschaft ist und bleibt eine äußerst herzensgute, liebenswerte und lustige Truppe. Coppelius können stolz auf ihre treue Anhängerschaft sein. (Schon wieder Belobigungen … !)

Coppelius (Foto: Kristin Hofmann bs!)

So langsam endet dieser hitzige Finalabend in der Alten Brauerei. Ohne große Worte, aber unter berauschenden Applaus verabschieden sich Comte Caspar, Max Coppella, Graf Lindorf, Sissy Voss, Nobusama und Bastille von ihrem Publikum. Freude und Wehmut liegen hier nah beieinander.

 

Ade, mein Lieb ich muß jetzt geh’n

Ich kann nicht mehr verweilen

Und geh’ ich auch, ich kehr’ zurück

Seien es auch zehntausend Meilen, mein Lieb

Seien es auch zehntausend Meilen

 

Im neuen Jahr kann man die Herren Coppelius “nur” im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen auf der Bühne erleben. “Coppelius Waits For You” klingt vielversprechend, oder? Ihre treue Gefolgschaft wird ihnen in jedem Fall überall folgen und (un)geduldig auf ihre Rückkehr warten.

Coppelius (Foto: Kristin Hofmann bs!)

Denn eins ist sicher. Eine Pause hat sich wirklich jeder einmal verdient. Pausen braucht man, um Kraft zu schöpfen, den kreativen Speicher aufzuladen und auch um einfach mal Pause zu machen und die Beine baumeln zu lassen (bummeln oder gar nichts tun!). Coppelius haben sich ihre Pause mehr als verdient und so wünscht die Redakteurin/Fotografin den Herren eine erholsame und auch spannende Auszeit, die sie sich wohl verdient haben und dankt für die zwei unvergesslichen Abschiedskonzerte in Dresden und Annaberg-Buchholz.

Chapeau!

Vergessen Sie niemals:
Coppelius hilft. Coppelius verbindet. Coppelius macht Freu(n)de.

Galerien:

Setlist Coppelius

  1. Intro Zuckerfee
  2. Transylvania (Iron Maiden Cover)
  3. Habgier
  4. Der Advokat
  5. Schöne Augen
  6. Rather Be Dead
  7. Mitten ins Herz
  8. Phantom of the Opera (Iron Maiden Cover)
  9. Time – Zeit
  10. Moor
  11. Locked Out
  12. 1916 (Motörhead cover)
  13. Bitten Danken Petitieren
  14. Murders in the Rue Morgue (Iron Maiden cover)
  15. To My Creator
  16. Reichtum
  17. Die Glocke
  18. Viel zu viel
  19. Risiko
    Encore
  20. Der Luftschiffharpunist
  21. Ade mein Lieb!
    Encore
  22. Operation
  23. I Get Used To It

Links:
Coppelius
Carpe Noctem

Zitate:
“Das Gift der Spinne” – Carpe Noctem,
“Habgier”, “Die Glocke”,  “Moor”, “Tragisches Ende eines Luftpiraten”, “Ade mein Lieb” – Coppelius

 

Kristin Hofmann
Kristin Hofmannhttp://www.fotokatz.de/
Kristin Hofmann, das schnurrende Fotokatzl, ist uns von den Elbwiesen zwischen Nightwish und Lacrimas Profundere im Fotograben irgendwie zugelaufen. Das „Spätzchen“ fährt in der Regel nicht die Krallen aus, voll auf weißblaue Vierräder ab und hat die anderen sechs Nerdzwerge zwischen Datenkraken, Mediendschungel und Hexadezimal im Blinzelwettbewerb längst platt gemacht. Schnurrbart steht ihr übrigens nicht so gut wie DocMartens, aber irgendwas is’ ja immer. Bitte nicht füttern!

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