Hamburg, 20 Grad, Regen aus Kübeln. Fluten überschwemmen den Spielbudenplatz, Feuchtigkeit wabert als Dunst knapp darüber – eigentlich ein ganz normaler Dienstag Abend am Schnittpunkt zwischen Frühling und Sommer im Norden der Republik. Und dennoch: Hamburg fühlt sich anders an, heute. Anders als sonst. Es sind nur Nuancen, irritierend, aber: Die Luft scheint weicher, die Tropfen, die von der Haut perlen, wärmer, die Ahnung vom Farbrausch eines Sonnenuntergangs hinter dem Grau über den Köpfen ist greifbarer.
Etwas ist im Begriff zu geschehen.
Etwas, auf das die Menschen die vor dem Docks Schlange stehen, lange warten mussten – einige wohl deutlich mehr als zehn Jahre. Die Band, die sich für heute angekündigt hat, spielt zum ersten Mal in Norddeutschland, ist – wenngleich seit vielen Jahren international bekannt und erfolgreich – auf ihrer ersten Europatour überhaupt.
Breaking Benjamin, US-Post-Grunge-/Alternative-Band, 1998 rund um den Sänger Benjamin Burnley gegründet, zwischendurch zerfallen und 2014 in – bis auf Burnley – komplett neuer Besetzung wieder erstanden, waren Ende 2015 der Clou in den Ankündigungen des Line-ups für das Nova-Rock-Festival. Selbst die eingefleischtesten Fans hatten zu diesem Zeitpunkt die Hoffnung schon nahezu aufgegeben, dass Breaking Benjamin einmal den Sprung über den großen Teich antreten würde. Der einfache Grund für ihre Europa-Abstinenz bis dato: Die enorme Flugangst des Bandleaders.
Was schlussendlich dazu geführt hat, die Ängste weit genug in den Hintergrund treten zu lassen, um auf eine umfangreiche Tour quer über den Kontinent zu gehen, wird seitdem im Netz wild spekuliert: Von exorbitanten Geldbergen über Drogen, Meditation, Gebeten bis hin zu Geheimdienstinterventionen findet sich dabei alles. Den geneigten Fans vor dem Docks im Regen können solche Spekulationen egal sein. Für sie erfüllt sich der Traum, bei einer der wenigen Shows in Deutschland dabei zu sein.
Nachdem sich die Türen geöffnet haben, dauert es nicht lange, bis der Raum von vorne bis hinten dicht gedrängt gefüllt ist. Die Luft schwingt erfüllt von vorfreudigen Gesprächen und verdichtet sich mit der Feuchtigkeit zu einem leicht an Sauna gemahnenden Ensemble.
Doch bevor der lang ersehnte Auftritt des Mainacts beginnen kann, ist noch die Vorband dran. Den meisten der Wartenden vor der Bühne dürften Starset vor ihrem Auftritt noch nicht viel gesagt haben. Vielleicht haben so einige sogar heimlich den Gedanken gehegt, dass mensch die halbe Stunde jetzt auch noch ertragen kann – nach all den Jahren.
Starset
Es kommt dann allerdings ganz anders. Die vier Jungs aus Columbus, Ohio, die um Punkt sieben in Leggings, Schutzwesten und beleuchteten Helmen die Bühne entern, lassen von der ersten Minute an keinen Zweifel daran, dass sie nicht vorhaben, „nur“ die Vorband einer ganz großen zu sein.
Elektrobässe feuern sirenenartige Salven um die Ohren des Publikums bevor Gesang, Drums und Gitarren einsetzen.
Was dann in den nächsten 30 Minuten folgt, ist eine Mischung aus eingängigen harten Gitarren-Riffs eingebettet in eine teilweise hymnische Elektro-Basis, belebt vor allem durch den abwechslungsreichen und anspruchsvollen Gesang des Masterminds der Band Dustin Bates. Entfernt fühlt mensch sich positiv an Linkin Park mit mehr Soul erinnert. Acht Songs – fast alle vom Debutalbum der Band Transmissions (von 2013) – später sind die Zuschauer so begeistert, dass viele lautstark eine Zugabe fordern.
Dann: Umbau, kurze Pause, Licht aus, und:
Endlich.
Mit den umstandslos gespielten Tönen von So cold geht eine Mischung aus erleichtertem Stöhnen und Begeisterungssturm durch den Raum. Fans und Band haben sich gefunden und zelebrieren den ersten großen Erfolg der Band aus dem Jahr 2004 zusammen
It’s alright.
It’s alright.
It’s alright.
Die Songs für den Abend erfüllen das, was die Band ihren Fans über Jahre schuldig geblieben ist. Aus allen Schaffensphasen der Band reihen sich Titel aneinander. Alles lebt vom Ineinanderfließen der Stimme von Benjamin Burnley mit der eigenen den beiden Gitarren von Jasen Rauch und Keith Wallen.
Jeder Ton lebt
..und wird in einem dichten organischen Klangteppich auf der Bühne verwebt. Alles ist Geschichte und jeder neue Einsatz erzählt eine Andere: Vertrauen wird Verlust, Verzweiflung zu Hoffnung, Liebe wechselt mit Hass.
Vor den Ohren und Augen der Zuschauer kämpft sich die Band durch eine Welt aus intensivsten Emotionen und das Publikum dankt es ihr.
Jeder Song wird mit geradezu schlafwandlerischer Textsicherheit von der ersten bis zur letzten Reihe vor dem Ausgang stimmlich mitgetragen.
Über allem schwebt an diesem Abend die drohende Vergänglichkeit. Nicht nur in den Themen der Songs, sondern auch in der Inszenierung auf der Bühne (die dadurch manchmal wie ein etwas konstruiertes Best-of wirkt) und als fragender unausgesprochener Gedanke bei so manchem Zuschauer scheint sie zu wirken: Wird es eine Wiederholung geben?
Wird es wieder 10,..15,.. Jahre dauern?
Am Ende, als sich schließlich mit einem weiteren ihrer großen Erfolge verabschieden – The Diary of Jane, bleiben Glück und Beklemmung ob der Ungewissheit der Zukunft nebeneinander stehen und lassen ein träumerisches Publikum in die immer noch feuchte hamburgische Nacht tanzen:
„As I burn another page
As I look the other way
I still try to find my place
In the diary of Jane“
Galerie Starset:
Galerie Breaking Benjamin:
Setlist Breaking Benjamin:
- So Cold
- Follow
- Sooner or Later (Keith Wallen on vocals)
- Angels Fall
- Firefly
- Simple Desig (Aaron Bruch on vocals)
- Ashes of Eden
- Blow Me Away
- The Imperial March / For Whom the Bell Tolls / Smells Like Teen Spirit / Walk
(John Williams / Metallica / Nirvana / Pantera covers) - Polyamorous
- Home
- Believe
(Aaron Bruch on vocals) - Bury Me Alive
- Breath
- Failure
- Until the End
- I Will Not Bow
- The Diary of Jane (Encore)
Links:
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