Review: Atari Teenage Riot – Digital Hardcore Sounds Good (22.10.2016, Dresden)

Im Rahmen des DAVE Festivals 2016 spielten Atari Teenage Riot im KONK Club, einer neuen Lokalität für alternative Musikkonzerte in dieser Stadt. Das Dresdner Audio Visual Experience Festival, kurz DAVE, fand in diesem Jahr vom 14. bis 23. Oktober zum dritten Mal statt. Auch in diese Ausgabe hatte das Programm über zehn Tage nicht nur Auftritte von DJs, Künstlern bzw. Musikern zu bieten, sondern es wurden ebenso Workshops, Fachdiskussionen und anderen Aktionen unter dem diesjährigen Motto „WE ARE OFFLINE“ veranstaltet. Genau solch einen Zustand braucht es auch, um sich ein Konzert Live und in Farbe anzuschauen – also auf in den KONK Club zu Atari Teenage Riot.

In ihrer derzeitigen Besetzung mit Alec Empire, Nic Endo, den aktuellen MCs CX Kidtronik bzw. Rowdy SuperStar sind ATR seit Gründung im Jahr 1992 für einen aufrüttelnden, kompromisslosen bzw. wieder erkennbaren Elektro-Sound-Clash geschätzt und geachtet. Besser bekannt unter dem Genre-Namen Digital Hardcore werden verschiedene Stile wie Techno, HipHop, Dance beziehungsweise Breakbeat vermischt. Zudem sind Elemente des „klassischen“ Hardcore/Metalcore enthalten und dem Ganzen wird noch ein heftiger Schlag Punk (zu finden im Klang, in den Texten bzw. in der Einstellung der Band an sich) verpasst. Eine andere Gruppe, welche die eben aufgeführten Kategorien perfekt kombiniert sind The Prodigy. Allerdings setzten sie seit Jahren auf Konzerten Bass und Schlagzeug zur Resonanzverstärkung ein, während sich Atari Teenage Riot auch Live komplett auf die Bits & Bytes ihrer Atari-ST-Computer verlassen, die für den Digital Hardcore verantwortlich sind. Passend dazu gründete Frontmann Alec Empire 1994 das Label Digital Hardcore Recordings, um unabhängiger über mehr Kontrolle bei Vertrieb & Co. u.a. bei den bandeigenen Veröffentlichungen zu verfügen.

Und wo Atari drauf steht, steckt auch Riot drin,

..oder zumindest immer eine gewisse Haltung. So ist es nur konsequent, dass im Vorraum des KONK Club ein Stand aufgebaut ist, wo diverse Projekte beziehungsweise Organisationen vorgestellt werden und sich jede/r über Themen wie Freiheit des Individuums, Gleichberechtigung, Nationalismus, Netzneutralität, Rassismus, Überwachung oder auch Zensur etc. informieren kann. Diese Themen spiegeln sich natürlich auch in den Songs von Atari Teenage Riot wieder. Die Instrumental-Version des Tracks „Black Flags“ ist beispielsweise bei einigen Statements im Internet der Hacker-Gruppe mit der weltbekannten Maske aus dem Comic „V wie Vendetta“ als Hintergrundmusik unterlegt. Auf der Bandwebseite von ATR ist u.a. das Live-Betriebsystem „Trails“ verlinkt, welches im Vergleich zu den Großen unabhängig die Anonymität bewahrt und die Privatsphäre schützt. Ebenso wird auf die Startseite des Chaos Computer Clubs verwiesen und so verwundert es nicht, dass das Konzert mit dem Instrumental-Stück „30c3“ beginnt, welches Alec Empire für die Videopräsentation zur Einführung des gleichnamigen Kongresses des CCC 2013 komponiert hat.

Endlich geht sie los, die wilde Fahrt durch den musikalischen Kosmos von Atari Teenage Riot.

„60 Secongs Wipe Out“ ist der Titel eines Longplayers der Band aus dem Jahr 1999 und ungefähr genauso lange braucht es nur, bis der Funke bei allen Anwesenden im rappelvollen Konzertsaal überspringt ATR präsentieren zu Beginn mit „J1M1“ über „Death Machine“ zu „Transducer“ einige Stücke aus ihrem aktuellen Album „Reset“. Ob sich Alec Empire beim Aussuchen des LP-Titels u.a. auch gedacht haben mag, dass dieser ganze Sch***-Rassismus gerade wieder so am Hochkochen ist, wie zu Anfang der 90er als sich die Band gegründet hat, kann man nur vermuten. Jedenfalls geht es im Set der Band jetzt in das besagte Jahrzehnt, mit absoluten Klassiker wie „Destroy 2000 Years Of Culture“ – ‚Wow, was für eine Aussage in diesem Track immer noch steckt’. Oder „No Remorse“, diesen Song haben sie ’97 damals zusammen mit Slayer für den Soundtrack „Spawn – The Album“ der Comic-Verfilmung aufgenommen (Anmerk. des Autors: ganz mieser Film, aber sehr empfehlenswerter Various Artists Sampler). Das Sound-Gaspedal wird mit „Speed“ weiterhin voll durchgetreten, der Saal dampft und platzt aus allen Nähten. Die Menge kocht ‚und jetze knallt och noch „Revolution Action“ aus den Boxen –

was für’n krasser Sch***!’

Zum Schluß gibt es noch zwei Tracks der Vorgänger-Platte „Is This Hyperreal?“ von 2011 und mit dem letzten Song „We Are From The Internet“ des aktuellen Albums schließt sich der Kreis. Atarii Teenaaage Riioooot…das war (wieder ein Mal) ganz großes Digital-Hardcore-Kino!!

Atari Teenage Riot (Foto: Pressefreigabe, hfr.)
Atari Teenage Riot (Foto: Pressefreigabe, hfr.)

Während des Konzertes appelierte Alec Empire u.a. an die anwesenden Dresdner, dass sie niemals aufgeben sollen und ich denke ATR werden das auch nicht tun, wie ihr Auftritt Auftritt im KONK Club oder auch das letzten Bühnengastspiel im Kulturzentrum Scheune dokumentieren. Gewiss wird die Band bei nächster Aktion bzw. Gelegenheit in Dresden mit genügend Bits & Bytes im Gepäck wieder am Start sein – „You Can’t Hold Us Back“, „We Got The F*****g Power“, weil wir Atari Teenage Riot sind und das ist gut so, stay tuned.

Setlist:

  1. 30c3
  2. J1M1
  3. Reset
  4. Death Machine
  5. Modern Liars
  6. Transducer
  7. Blood In My Eyes
  8. Into The Death
  9. Street Grime
  10. Destroy 2000 Years Of Culture
  11. No Remorse
  12. Speed
  13. Revolution Action
  14. Activate
  15. Collapse Of History
  16. We Are From The Internet

Weiterhören:

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https://www.youtube.com/watch?v=54MWIvwGuoI

ATR „Reset“, „Is This Hyperreal?“, „Redifine The Enemy!“, „60 Seconds Wipe Out“, „Burn! Berlin! Burn!“, „The Future Of War“ & „Delete Yourself“ bzw. V.A. „Spawn – The Album“

Links:
www.dave-festival.de
www.atari-teenage-riot.com
www.digitalhardcore.com/atariteenageriot

Tobias Richter
Tobias Richterhttps://www.facebook.com/mischband/
Jeder sollte einen Tobi haben. Keiner von uns hat ihn je gesehen, der Typ ist einfach zu groß und artig, der schmeißt aufgeblasene orange Dinger in Einkaufsnetze und - wie man so hört - muss sich der Ü190 Hüne dafür bücken. Eat Sleep Ball Repeat. Ansonsten ist ein Tobi einer, der Kassetten professionell aufwickeln kann, "der immer Ärger macht, der Streiche spielende Anstifter, der, der süchtig nach Furcht ist, ein Sinnbild für Gefahr." Jeder sollte einen Tobi haben. Und eine B-Seite.

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