Regen fällt bedächtig und lässt den Asphalt von der Halle tiefschwarz glänzen. In den Pfützen spiegelt sich die farbige Beleuchtung vom Eingang der Theaterfabrik. Ich schiebe mich in das wärmende Innere, das schon ganz ordentlich mit einer wartenden Menge gefüllt ist.
Pünktlich um 20:30 Uhr betritt opening act Lisa Hannigan im dunkelblauen Kleid die Bühne. Die irische Multi-Instrumentalistin haucht ihren ersten Song ins Mikro und begleitet sich auf der Konzertgitarre. „Fall“ vom letzten Album „At Swim“ erklingt. Man kennt ihre Stimme von den gemeinsamen Auftritten mit Damien Rice, den sie sechs Jahre lang im Studio und auf Tour begleitete. Nach wenigen Takten hat Sie bereits die volle Aufmerksamkeit des Publikums. Die unvermeidlichen Gespräche der BesucherInnen verstummen gänzlich und wir lauschen den filigranen und schönen, sehr melodischen Pop/Folk-Stücken, die uns Lisa präsentiert.
Gut gemischt ist das Publikum. Von der Studentin bis zum Studienrat ist alles vertreten. Auch sind viele Pärchen da, die durch regen Austausch von Körperkontakten signalisieren: Wir sind zusammen! Ich stehe dicht an dicht mit geschätzten 1000 Menschen in der inzwischen prallvollen Theaterfabrik und überlege, warum die RiesInnen bei Konzerten eigentlich immer in den ersten drei Reihen stehen und die Zwerge hintenan. Nett daran ist aber, dass einem nach geraumer Zeit die Hinterköpfe richtig vertraut werden.
Nach einem kurzem Soundcheck und vereinzelten, aufmunternden Rufen aus der Menge ist es dann soweit: Agnes Caroline Thaarup Obel und ihre drei Musikerinnen betreten unter tosendem Beifall die Bühne. Das Damenquartett startet mit „Red Virgin Soil“ vom aktuellen Album
„Citizen Of Glass“
Die beiden, links und rechts auf der Bühne platzierten Cellistinnen (Kristina und Catherine) zupfen, schlagen und streichen ihre Instrumente – die Percussionistin mit dem blonden Engelshaar (Charlotte) trommelt, rasselt und spielt zwischendurch auch mal Oboe. Eine Reise durch den Zauberwald der Klänge beginnt. Die flinken Finger der Künstlerinnen locken die wunderbarsten Töne aus Tasten und Saiten.
Der Sound kommt glasklar und sehr warm und ich frage mich, wie man es schafft, diese komplexen Rhythmen und die vielen unterschiedlichen Klänge, erstens zu komponieren und zweitens dann auch noch fehlerfrei live zu performen.
Eine soundtechnische Meisterleistung
Kaum gedacht, gibt’s eine Unterbrechung: Agnes hört sich nicht. Kein Signal vom Monitor. Sofort entschuldigt sie sich völlig panikfrei auf Deutsch bei den ZuschauerInnen. Die Mängel werden schnell behoben und weiter geht es mit „Dorian“ einem Klassiker des zweiten Albums „Aventine“. Den Song kennt das Publikum bestens – und Zufriedenheit macht sich auf den Gesichtern breit.
Die Grazien sind hervorragend eingespielt und bieten Titel von allen drei Veröffentlichungen im Wechsel dar. Die inzwischen zu Hits gewordenen Songs der ersten beiden Alben und das komplette Material vom neuen Werk, welches sich mit dem Begriff des gläsernen Bürgers auseinandersetzt. Irgendwie spürt man auch, dass sich das Glasthema akustisch durch die neuen Songs zieht.
Manchmal klirrt und flirrt es geradezu
Das einzig befremdliche ist die Lichtsituation: entweder starres, sehr dunkles blaues oder rotes Licht, sodass man die InterpretInnen erahnen muss, oder man wird von großen Multicolorriesenscheinwerfern geblendet und die Agierenden mit tausenden, tanzenden Farbflecken überschüttet. Da geht natürlich etwas von der Magie und der Intensität durch die abgelenkten Sinnesreize flöten. Darauf hätte ich gerne verzichtet.
Agnes Obel hat sich die Mühe gemacht, alle ihre Stücke genau zu analysieren, hier und da neue Instrumentalteile einzuweben und manche Parts oder einzelne Töne etwas zu dehnen. Für jedes neue Lied wird ein eigener Klangkosmos entworfen in dem ich mich geborgen fühle und in dessen Stimmung ich gerne verweile. Emsig und voller Konzentration arbeiten die Künstlerinnen an dem Soundgeflecht, das jedem einzelnen Lied Struktur verleiht und es umwebt.
Nach jedem Song dann frenetischer Beifall, den die Feen auf der Bühne sehr höflich und bescheiden annehmen. Agnes teilt uns mit, dass sie etwas erkältet ist und bedankt sich für den warmen und herzlichen Empfang der Münchner Menge. Dann setzt sie sich an ihr altes Piano, von dem sie meint, dass es wohl bald den Geist aufgibt, und spielt ein ätherisch schönes Pianosolo, bei dem rasch klar wird, welch große Künstlerin diese zierliche Dänin doch ist.
Nach 80 Minuten Musikgenuss auf höchstem Niveau wird die obligatorische Zugabe eingefordert und es werden uns noch drei Stücke zum Abschied kredenzt. Unter anderem „Run Cried The Crawling“:
Wind heavy on the ground / A cloak before the moon /
I guess I’ve never known / Someone like you /
Nature will get her way / Though you took her for a fool /
Walking on the lake / Frozen under you
Der Vorhang fällt. Die Elfen schweben rasch von der Bühne und verschwinden in den nächtlichen Wald. Das Publikum bleibt ergriffen und bezaubert zurück.
Text: Axel Ganguin
Setlist:
1. Red Virgin Soil
2. Dorian
3.Trojan Horses
4. Fuel To Fire
5. Golden Green
6. It’s Happening Again
7. Familiar
8. Piano Solo
9. Philharmonics
10. Mary
11. The Curse
12. Stone
13. Stretch Your Eyes
14. Smoke
15. Riverside
16. On Powdered Ground
17. Words Are Dead
18. Run Cried The Crawling
19. Citizen Of Glass
20. Grashopper