Review: Wasser kommt und Wasser geht – Watt En Schlick Fest (2021)

6000 Menschen lassen kollektiv die Masken fallen. Also nicht wirklich fallen, sondern stecken sie brav artig in ihre Hosentaschen, denn auf dem Gelände des Watt En Schlick fest sind diese nicht notwendig – nicht, weil dort alles Schwurbler sind, Gott bewahre, sondern, weil das WES in diesem Jahr als Modellprojekt des Landes Niedersachsen stattfinden darf. Das bedeutet, dass das Festival AUF dem Gelände stattfindet wie immer. Davor gibt es jedoch einiges zu beachten. Während zunächst die 3 Gs (geimpft, genesen, getestet) für einen Einlass ausreichen sollten, wurde zügig auf steigende Inzidenzen reagiert und eine tägliche Testpflicht für alle Besucher*innen, Künstler*innen und Crewmitglieder eingeführt. Nur mit einem in die Corona-Warn-App eingespeisten negativen Ergebnis durfte der wunderschöne Dangaster Strand betreten werden. Während die Einspeisung in die App in Testzentren im Oldenburg, Hamburg und dem Umland für Probleme sorgte, konnte auf diese in den zahlreichen Testzentren vor Ort gut reagiert werden, sodass der Einlass meist zügig voran ging.

Atmo beim Watt en Schlick. Foto: Thea Drexhage bs! 2021

Wie sich so ein Festival nach so langer Zeit anfühlt, ließ sich vor Beginn des Wochenendes nur schwer greifen. Würden die Menschen vorsichtig sein und bei jedem kleinen Rempler zusammenzucken oder einfach alle Hemmungen fallen lassen? Die Antwort gab es schon in den ersten Minuten und das nehme ich an dieser Stelle vorweg: Das Watt En Schlick 2021 hat sich genauso angefühlt wie in den Jahren zuvor.

ganz wundervoll, frei und ungehemmt.

Rikas Foto: Thea Drexhage bs! 2021

Be-subjective! durfte den Festivalfreitag begleiten. Den Anfang machten Rikas aus Stuttgart, nach einer langen Dankesrede von Festivalkopf Till Krägeloh, der sich sichtlich gerührt zeigte in diesem Jahr endlich wieder vor Publikum zu stehen. Rikas sind mit ihrem locker-fluffigen Indie-Sound ein passender Einstieg für das – noch – sonnige Festival am Meer und ziehen nach und nach immer mehr Gäste vor die große Hauptbühne.

Etwas ist allerdings doch anders als in den letzten Jahren. Die Zeltbühne nennt sich nun „La Mer“ und ist umgeben von einem riesigen Holzgerüst – ohne Dach. In den kommenden Jahren soll sie noch mit einem Fischernetz bespannt werden. Dies bedeutet jedoch, dass es 2021 außer den Bierwägen keinen wirklich trockenen Unterstand für Gäste im Falle eines Wolkenbruchs geben kann – und dieser sollte nicht allzu lange auf sich warten lassen. Schon bei Annenmaykantereit, welche direkt nach Rikas den Steg zur Floßbühne erklommen haben, fing es an zu schütten. Stört aber niemanden. Aber halt, Annenmaykantereit zu so früher Zeit auf so kleiner Bühne? Klingt nach ungewöhnlichem Booking, war aber wohl der gelungenste Coup an diesem Wochenende, denn dass die spielen wusste niemand. „Secret Act“ hieß es auf dem Timetable. Trotzdem wurde es auf dem kleinen Platz vor dem Floß rappelvoll und die Spekulant*innen lagen goldrichtig. Coronaabstände? Spätestens dann vergessen, wenn Henning May mit seiner unnatürlich tiefen Stimme die liebsten Songs der Millenials schmachtet!

Annenmaykantereit Foto: Thea Drexhage bs! 2021

Für diese hat Watt En Schlick Veteran Flowin Immo auf seiner Palettenbühne nur ein müdes „Hör auf zu keuchen da hinten und geh mal zum HNO!“ übrig. Dieser bespaßt mit gewohntem Freestyle die Kids und die junggebliebenen und haut alle Wörter durch den Mixer, die ihm so zugeworfen werden. Das Publikum an diesem Tag wirkt hungrig. Eis, Schokolade, Pommes…bei so viel Essen vergeht auch Immo der Bock auf Arbeit.

„Ich kündige,

Ich ziehe in den Weltraum,

Doch es bleibt nur ein Traum,

mir fehlen die Pesos,

denn ich bin nicht Jeff Bezos“

Flowin Immo
Flowin Immo Foto: Thea Drexhage bs! 2021

Immer am Zeitgeist der Typ. Aber wer braucht bei so ´ner Palette schon ´ne Rakete – noch ein paar Jahre tüfteln und dann fliegt die auch. Außerdem wird Flowin Immo noch auf dem WES gebraucht – vor allem sonntags zur Allstar Session, die am Rande bemerkt auch in diesem Jahr wieder das große Festivalhighlight war.

Die Höchste Eisenbahn Foto: Thea Drexhage bs! 2021

Etwas koordinierter, aber kein bisschen weniger wortgewandt bespielt im Anschluss Die Höchste Eisenbahn die Hauptbühne, bei mittlerweile wieder bestem Wetter und vor allem besten Sound, von dem mit etwas Glück auch Wilhelmshaven noch was abbekommen hat. Es ist die perfekte Musik für Tageszeit und Stimmung. Das Publikum freut sich selig beschwingt zu schönen Melodien und bittersüßen Stücken wie „Raus auf’s Land“ .

Süß finden auch zahlreiche Damen und Herren der Schöpfung deutsch-italiener Fil Bo Riva, der sich auf der La Mer Bühne die Seele aus dem Leib spielt. Allerdings fällt dieser mit 18 Uhr auch in einen Timeslot der bestens geeignet ist, kurz durchzuatmen und Kräfte zu sammeln für das, was der Abend noch zu bieten hat.

Unter anderem die Leoniden. Pünktlich um 19 Uhr platzt der Bereich vor der Hauptbühne aus allen Nähten. Wenn sich eine Band in den letzten Jahren auf Festivals ein Bienchen ins Muttiheft für außerordentliche Live-Performances verdient hat, dann die. Die Show der Kieler Band kriegt jeden. Schon mit den ersten Tönen von „Colorless“ hört man ihn fallen, den kollektiven Stein in den Herzen der Festivalgänger*innen, denn spätestens jetzt ist wirklich alles wie immer. Die Gäste tanzen und springen ausgelassen. Circle-Pits, es gibt sie noch. Sänger Jacob Amr scheut den Weg in die Menge nicht. „1990!, „Kids“, „Sisters“ – schon etliche Male live erlebt, trotzdem tat es nie so gut wie jetzt.

Leoniden Foto: Thea Drexhage bs! 2021

Nicht nur die Gäste sind erleichtert, auch die Künstler zeigen sich sichtlich gerührt von dem, was in Dangast geschaffen wurde.

Pabst Foto: Thea Drexhage bs! 2021

Ein ähnlicher Kracher hätte Pabst auf der Palette werden können. Die Berliner Grunge Band hatte Bock, die Technik nicht so. Und das Wetter? Das so gar nicht. Plötzlich kam die Flut von oben. Das ist der/die gemeine Norddeutsche natürlich gewöhnt und harrt störrisch aus, bis die ersten Töne von der Palette erklingen und er oder sie einen Grund findet unkontrolliert mit seinen Gliedmaßen und einer ganzen Menge Schlamm um sich zu schmeißen – bis die Technik wieder streikt. Kein Back-Up „Wonderwall“, kein Impromptu-Stand-Up Comedy, nur leichte Anspannung und „Nicht-so-viel-Bock“-Stimmung auf der Bühne. Aber wenn es dann doch mal lief, dann lief es hervorragend – sogar für einen kleinen Walzer im Schlamm zum Sixpence None The Richer 90’s Schmachtklassiker „Kiss Me“ hat es am Ende gereicht.

Atmo beim Watt En Schlick Foto: Thea Drexhage bs! 2021

Headliner an diesem Abend machen die Giant Rooks die der geneigte Konzertbesucher quasi auf dem Watt en Schlick beim Aufwachsen beobachten konnte. 2016 noch im Zelt, 2019 auf der Hauptbühne im Nachmittagsprogramm und nun Headliner. Verdient. Das Publikum ist kaum zu halten, der Kollektive Gesang scheint lauter als der auf der Bühne. Die Bühnenpräsenz der jungen Band aus Hamm wächst von Jahr zu Jahr. Selbst die Gäste, die mit dieser Art des Indie-Pop nicht viel anfangen können, müssen eingestehen, dass man den Job an dieser Stelle kaum hätte besser machen können.

Giant Rooks Foto: Thea Drexhage bs! 2021

Ein gelungener Auftakt für ein drei-tägiges Festival, dass auch an den kommenden Tagen trotz erschwerten Bookings mit einem sehr diversen, internationalen und aufregenden Line-Up überzeugen konnte.

Galerien (by Thea Drexhage bs! 2021)

Watt en Schlick 2021

Links:

Watt En Schlick

Thea Drexhage
Thea Drexhagehttps://www.be-subjective.de
Thea Drexhage hat Salma Hayek einiges voraus! 10 mm. Wie die meisten Frauen der Redaktion, Duffy, Beth Ditto, Joan Rivers oder Angus Young kann sie die MusikerInnen aus dem Bühnengraben also völlig problemlos sehen, wenn jemand ihren Hocker trägt, wird aber - das hat sie mit Salma dann doch wieder gemein - dennoch viel zu oft auf Ihre Körpergröße, ihre Mähne und ihre leicht misanthropischen Anflüge reduziert. Damit sie also nicht im nächstbesten Titty Twister von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang Menschenmengen und Bläser mätzelt, halten wir “Aggro-Thea”, die zuvor ganze Landstriche in Mecklenburg Vorpommern ausgerottet hat, halbtags im spießbürgerlichen Oldenburger Exil an der langen Leine. Seither legt sich die scheißpünktliche existentialistische Besserwisserin analog mit Sartre, Camus & Kodak an und ja, auch wir müssen neidlos zugestehen, dass der Instagram-Account ihrer beiden Katzen “Salma” und “Hayek” mehr Follower pro Tag hat, als unser webzine im ganzen Jahr.

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