Vainstream Festival, die etablierte münsteraner Fakultät für Punk, Metal und Hardcore, startet ins nächste Semester. Zum 15-jährigen Jubiläum sogar mit zwei Versuchen, das Festival findet nämlich in diesem Jahr an zwei Samstagen hintereinander statt. Unter den Voraussetzungen schaffen hier alle einen Abschluss.
Das Wochenende zwei stand im Vorfeld in einiger Kritik, ein stark ausgedünntes Lineup, besonders im Vergleich zu Weekend 1, dazu die ewig fehlende Angabe, wer sich denn nun hinter der „…and many more“-Angabe auf sämtlichen Ankündigungen versteckt. Spoiler: Ghostkid, Chubby and the Gang , XL Life und Dead Heat sind ausgefallen, jemand Neues kam nicht dazu. Aus and many more wurde and many less. Dazu die allgemein mitschwingende Sorge wieder ein ähnlich überfülltes Gelände wie Präcorona zu erleben, nicht in die Sputnikhalle zu kommen, nicht mit dem Drinkticket-System klarzukommen oder schlichtweg auf dem schattenarmen Parkplatz in Flammen aufzugehen.
Trotzdem zählt das Festival seit mittlerweile zehn Jahren zu meinem jährlichen Standard. Trotz aller Kritik überzeugt für mich doch grundsätzlich das durchweg ausgeglichene Line-Up, der Aufbau der münsterüberragenden Zwillingsbühnen, der Charme der mit den Jahren gewachsenen Areas und die generelle Lust sich einen Tag lang mal gehörig mit Punk, Metal und Rock beschallen zu lassen. So auch in diesem Jahr. Musste ich bei Weekend 1 noch passen, freue ich mich umso mehr auf Weekend 2. Schnell die Begleitung eingesammelt und zum Einlass angestellt. Fotopass abholen, Ticketkontrolle überspringen, Bändchenausgabenschlange abwarten, Taschenkontrolle, Drinktickets kaufen. Und schon spielt im Hintergrund die erste Band. Für einen Hechtsprung in den Fotograben bin ich mit Kameraaufbau und co zu spät, Hostage sehen aber auch von weitem wunderbar aus. Als Impericon Contest Gewinner sind die vier Jungs aus Aachen ein ganz schönes Brett, das gebührend vom eintrudelnden Publikum gewertschätzt. Anlauf nehmen für den links-rechts Marathon am Hawerkamp.
Schwung nach rechts. Noch immer stolpern Menschen auf den Platz. Deez Nuts kurbeln das Tempo des Tages gehörig an. Pose nach Pose, Bock auf Publikumsinteraktion, das Feuer schüren für den Rest des Tages.
Zurück nach links, wo Nasty-Rufe im Chor erschallen. Solider, belgischer Hardcore. Kann man mal machen. Die Band zumindest zieht alle Register, begonnen beim Bühnenauftritt mit Kind des Gitarristen, über Circle Pits und Moshpits. Das Publikum nimmt’s dankend an. Zeit für eine Trockenrasur, Knoocked Loose wetzen schonmal die Messer. Oh Junge, gerade mal Band Nummer vier und schon so eine Zerstörung. Fliegende Mikrofone nutzen die riesige Bühne auch in der Höhe voll aus.
Zurück nach links zu Touché Amoré. Das erste Mal mit neuem Album in Europa unterwegs, da wird natürlich der ein oder andere Song von gespielt. Tut der Textsicherheit des Publikums keinen Abbruch, Chapeau Vainstream!
Zwei Bands, die derzeit auch zusammen auf Tour sind direkt hintereinander weg. Hier muss dafür allerdings (so langsam sollte ein Muster zu erkennen sein) die Bühne gewechselt werden. Von links nach rechts, Touché Amoré zu Thrice. Nicht so meins, endlich mal Zeit für eine Pause, ein wenig Schatten am Coconut Beach und ein Stück der besten Pizza an der Sputnikhalle.
Auf der linken Bühne: Die Band mit den Melodien. Madsen auf dem Vainstream funktioniert erstaunlich gut. Aber Madsen funktionieren sowieso irgendwie immer. Respekt ans Publikum, ihr seid auch hier erstaunlich textsicher. Und man sehr ihr schön beim Tanzen aus!
Fahrt schon mal die Planierraupe nach rechts, Turnstile pflügen den Hawerkamp kurzerhand um. Vor der Bühne wird es mittlerweile kuschelig, diese Band mag niemand verpassen. Und wenn man schon da ist, sollte man auch gleich nach links, zu den fliegenden Gitarren von Fever 333 pilgern. Kurzerhand werden die Monitorboxen zum Sprungturm, singend das Schlagzeugpodest in die Bühnenmitte gezerrt und auch sonst kein Stein auf dem Anderen gelassen. Ein Abriss, im wahrsten Sinne des Wortes.
Stick to your Guns wollens nochmal wissen. Wo andere die Bühne umbauen wird dem Publikum hier musikalisch so ein Brett um die Ohren gehauen, man sollte meinen, die Band kenne die Bühne schon. Ahja… tun sie ja wirklich. STYG haben nämlich letzte Woche schon auf dem Vainstream gespielt.
Der traditionelle Rapact des Vainstream baut kurzerhand die Bühne um. Hinter einem schwarzen Vorhang verbirgt sich… noch ein schwarzer Vorhang. Dahinter: Alligatoah auf der Baustelle. Als Matadore gekleidet wird Gitarrespielen neu definiert (ergo das Instrument kurzerhand und ohne große Worte direkt zerschmettert). Die Erinnerung an das Geräusch von splitterndem Holz treibt mir jetzt noch eine Gänsehaut über den Rücken.
Abendbrotzeit auf der rechten Bühne. Bullet for my Valentine packen den Grill aus. Zwischen aufsteigenden Feuersäulen wird unbeirrt gerockt. Könnte ja kühl werden in der Abendsonne. Ich jedenfalls weiß nun, wie sich die Grillhähnchen im Wagen vorm Supermarkt fühlen müssen.
Eins wird im Laufe des Tages immer deutlicher: Die vielen Veränderungen in diesem Jahr sind definitiv Verbesserungen. Der stetig wachsende Festival glänzte zuletzt nämlich damit, dass schon Mittags kaum mehr ein Durchkommen auf dem Hauptgelände möglich war, Dixies überliefen oder die raren Schattenplätze eher Sardinenbüchsen glichen. Diesen Samstag scheinen all diese Probleme vergeben und vergessen. Der Wegfall der dritten Außenbühne, die Erweiterung des Foodcourt vor dem eigentlichen Platz, eine schattengenerierende Gestaltung des Coconutbeach – das entzerrt und gefällt! Ein so leeres und dementsprechend auch so entspanntes Vainstream habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Ob, oder gerade auch weil gefühlt wesentlich weniger Karten verkauft wurden, als die vergangenen Male.
Zeit für den Mainact. Zeit für die Broilers. 2017 das letzte Mal dort aufgeschlagen, Erinnerungen an Quetschen, Drängeln und eine verfrühte Abfahrt meinerseits kommen hoch. Heute: Platz zum Tanzen und miteinander Singen. Reihenweise auf und abhüpfen, die schönsten Menschen Münsters auf Schultern getragen. Im Takt klatschende Arme vor der untergehenden Sonne. Oh Broilers, ihr macht diesen schönen Tag nur noch viel schöner!
Mittendrin ein kurzes Stocken: Kann es sein, dass Ines wirklich die erste Frau heute auf der Hauptbühne ist? Klar, Scowl eröffneten direkt mit Kat als Frontfrau die Sputnikhalle. Aber Lisa Who von Madsen fiel krankheitsbedingt aus und dann kommt nur noch Laura Jane Grace, die den finalen Spot in der kleinen Indoorbühne gestaltet, damit ist die female Front komplett. Immerhin etwa 1/5 der (geplanten) Bands mit Musiker*innen. Da ist es leicht erfüllte Pflicht Ines besonders zu feiern.
Während in der Sputnikhalle noch the The Rumjacks und Laura Jane Grace den Abend ausklingen lassen, mache ich mich auf den Weg nach Hause. Die Bilanz: 12 ½ Bands in 11 Stunden, ein Sonnenbrand in den Kniekehlen, der mich sicherlich noch die nächste Woche begleitet, das fettete Grinsen des Tages und der feste Vorsatz nächstes Jahr auch wieder dabei zu sein.
Galerien (by Daphne Dlugai bs! 2022):
Links:
Vainstream Festival
Veranstalter:
Kingstar Music