Das RELOAD Sulingen ist so etwas wie der kleine Bruder des weltbekannten WACKEN-Festivals. Ein etwas bescheideneres LineUp, ein etwas übersichtlicheres Infield, ein etwas familiäreres Orga-Team und ein klitzekleines bisschen weniger Schlamm.
Beständig und ständig in Bewegung. Nachdem es 2014 pausierte, bezieht das RELOAD 2015 – in seinem vierten Sulingen-Jahr – inzwischen das dritte Infield. Mit heißer Nadel gestrickt und mit Gummistiefeln aus dem Boden gestampft, überraschend feucht, positiv und ungebrochen fröhlich. »Schon am Donnerstagabend war der Andrang auf die verfügbaren Campingflächen so groß, dass kurzfristig zwei weitere Ausweichflächen, inklusive Sanitäranlagen und Licht mit Unterstützung der Stadt Sulingen aus dem Nichts gestampft wurden«. Diese Unterstützung war – so der Veranstalter – so absolut, »dass der Bürgermeister selbst für mehr als eine Stunde den Verkehr regelte.«[1] So konnte das RELOAD 2015 trotz einiger Anlaufschwierigkeiten, einer Unwetterwarnung für den Freitagmorgen mit der Hilfe vieler Ehrenamtlicher anlaufen. Dabei wurde die erwartete Besucherzahl von 5.000 BesucherInnen um 1500 übertroffen.
Festival-Freitag. Konfetti und Kanonen.
»Now we’re standing here together
At the crystal borderline
All my memories are shattered
Nothing’s left of what was mine«
Mit Beyond the Black reißt die Wolkendecke auf. Wie passend denkt sicht’s. Mach »weck das black«. Die relativ junge Symphonic-Metal-Band um Jennifer Haben präsentiert ihre Songs of Love and Death vor der noch relativ kleinen Gummibestiefelten Horde. Der Matsch auf dem Gelände gepaart mit der immer stärker drückenden Sonne, ist erschöpfend, doch das Publikum tröpfelt langsam vor der RELOAD Bühne zusammen.
IGNITE – inzwischen mehr als 20 Jahre im Musikgeschäft – entfachen das Publikum nicht nur mit ihrem rotzigen Westcost-Hardcore-Punk-Schrägstrich-Melodic-Metal, Sänger Zoltan Téglás setzt auch in punkto poetische Promotion fucking geile Maßstäbe: »The new IGNITE Album is finished. It’s fucking kaputt.« Fucking yeah.
Eskimo Callboy. Was soll man sagen. Wenn ein Eskimo Callboy 30 wird, gibt s ne zünftige Party, wird die Mainstage zur 30erZone, mit rosa Kostümchen, Kanonen und Konfetti, Partyhütchen, Sektdusche und natürlich einer Torte – einer ›Prinzessinnentorte‹ – mitten ins Gesicht versteht sich. Happy Birthday Kevin. Das plüschige Bunny freut sich und der Nullende bekommt von ›Sushi‹ die Sahne vom Gesicht geleckt. Eskimo Callboys wissen wie man feiert, homoerotisch schön wie ein JunggesellInnenabschied. Wer hat, der kann und es ist schön, dass die Jungs sich selbst nicht allzu ernst nehmen und die spitzen ›Hen Party‹ auch musikalisch ordentlich nach vorn geht. »Der schönste Bday meines Lebens«, lässt Kevin verlautbaren. Happy Birthday!
»Let’s party, get naughty! So baby rock your body!
Let’s party, get naughty! And that’s the way it goes.«
The Architects beeindrucken durch ganz andere Klänge. Trommelnd, gleichzeitig sphärisch gestalten sie mit melodischen Parts Atmosphäre und interagieren herrlich mit dem Publikum.
Zu den Urgesteinen des Festival Freitags gehören sicherlich die Schöpfer Kreator. Als eine der bekanntesten und ältesten Trash Metal Bands, die bombig, knallend starten. Konfetti bei Kreator? »Das erste Mal Kreator beim Reload? Das will ich das Chaos ausbrechen sehen« und kein Konfetti. »Ich will Euch schreien hören« gröhlt „Mille“ Petrozza. Die Altmeister des Trash Metal sind eigentlich ganz geil, können was sie machen und machen, was sie können. Professionell wie Hölle und dabei relaxed und strahlend als sei es ihr erstes Mal.
In Flames. Wie wundervoll. Die schwedische Melodic-Death-Metal-Band ist wirklich melodisch, macht Spaß, und entflammt das Herz der BesucherInnen im Nu. »I wanna smell you people, you smelly dirty people.« Die Schweden kommunizieren auf vielfache Weise mit dem Publikum »I wanna see ya beautiful people jumping«, heizen es immer wieder neu an und bestechen vor allem durch den – um dieses Wort noch einmal zu strapazieren – wundervollen Klargesang Andres Fridéns. In Flames – eine unbedingte Liveband.
»Are you with me, Are you with me?
Let me see you from your best side«
RELOAD Samstag – »Watch Out motherfuckers«
GWLT. GWLT? GWLT! Wer den Samstags-Eisbrecher verpasst hat, weil er noch den Matsch aus seinem Profil kratzen musste, hat wirklich was verpasst. Die Münchner Hardcore – Hip Hop – Rocker machen richtig Druck, sind richtig fett und das ganze deutschsprachig und durchaus durchdacht. »Tagein tagaus müssen wir funktionieren, tagein tagaus im Hamsterrad. Mit der Hoffnung, dass eines sich einstellt, Ruhe und Frieden« Das Publikum schluckt. »So viel Schmerz, so wenig Ausgleich…« Und schließlich bringen GWLT den RELOAD BesucherInnen, die es rechtzeitig geschafft haben das Freestylen als eine Sache bei, die man zusammen erleben müsse. GWLT. GWLT? GWLT!
DEATH BY STEREO wirken musikalisch recht uninteressant und bei »Watch out Motherfuckers« im Nachmittagsprogramm muss man schon aufpassen, dass alle Kids ihr Mäuse auf den Ohren haben. Die Jungs aus Kalifornien machen ihren Namen in jeder Hinsicht zum Programm und Efrem Schulz scheinen die Songs direkt aus den Augäpfeln zu quellen.
Leider, leider, so lässt der Veranstalter verlautbaren, stecken Black Stone Cherry, die Southern-Rock Band aus Kentucky bei Hannover im Stau fest, können also ihr Set nicht spielen, so dass Blues Pills ein bisschen Fleetwood-Mac-Joplin-Franklin-Stimmung verströmen können. Gitarrig. Bunt. Blusig.
Callejon covern gern. Callejon stehen in jeder Hinsicht in einem absoluten Kontrast zum Rockigen Intermezzo. Ob Schwule Mädchen à la Fettes Brot oder der Schrei nach Liebe von der besten Band der Welt, Callejon sonnen sich in Songs, die jeder mitsingen kann, haben dabei allerdings durchaus einen Sinn für politische Themen. Ein schöner Support für K.I.Z.
K.I.Z.
Wir müssen uns entschuldigen, wir können das Bild vom Führer beim Crowdsurfing leider nicht publizieren, denn den quadratischen Oberlippenbart zu pixeln hatte k/einen großen Effekt und jedes Teilen, Retweeten und Zitieren von Symbolen – selbst wenn sie negiert werden – verleiht ihnen eine Macht, die wir ihnen hier nicht zubilligen können und wollen. Verdammt, stecken wir tief drin, denn dass wir’s nicht tun, tut sein Übriges, wirkt genauso, lädt das Ganze noch mehr auf. Symbole und Ikonen von Hass und Menschenfeindlichkeit entkontextualisieren und entmachten? Geht das oder beleben sie einen neuen Vojeurismus? Eine Bredouille die K.I.Z. mit ihrem Hipster-Hitler Song auf die Spitze treiben. Wenn Adolf sich selbst feierte, Groupies und Follower hätte, wenn Fans »Ich bin Adolf Hitler« grölen und K.I.Z. rappen »Von mir gibt’s nur schwarz-weiß Fotos – Instagram«, »denn ich bin Adolf Hitler«, dann können sie diese Fragen nicht lösen, aber polarisieren und damit eine ganze Generation anstupsen, die meint, das Gespenst aus dem Geschichtsunterricht wäre nicht unter ihnen, hätte keine Follower und würde nicht twittern. K.I.Z. sind nach Callejon schon eine Überraschung im LineUp, aber durchaus präsent – Hitlerbärtchen auf dem Campinggelände, K.I.Z.-Shirts und plüschige FestivalbesucherInnen – und so provokativ wie ihr Logo, der ›Notenständer‹. K.I.Z. wissen wie Show geht. Und glaubt man beim militaristischen Auftakt zu ihrer Show noch daran, dass sie nicht auch die Metal- und Rock Elemente auf die Schippe nehmen würden, ist man spätestens bei der ›Wall of Love‹, einer riesigen Kissenschlacht mit fliegenden Federn und Küssen, eines Besseren belehrt und freut sich darüber, dass man hier so befreit feiern kann.
Wie man nach K.I.Z. Punk-Folk-Bands wie Flogging Molly und die Dropkick Murphys als Headliner setzen kann, irritiert durchaus, Zweifler werden aber schnell eines Besseren belehrt, denn zum ersten Mal ist das Infield des RELOAD 2015 sehr voll, als die ›peitschende Molly‹, die Massen zu ihren irisch-amerikanisch-punikig-folkloristischen Klängen tanzen lässt. Das Schlangen-Kleeblatt strahlt hell und giftig aus den Gesichtern zufriedener Gäste zurück. Man darf gespannt sein, ob sich diese bunte Tüte auch beim RELOD 2016 bewährt.
»See you in 2016.«
[1] Dass das RELOAD dem WACKEN gleich in der Gemeinde verankert scheint und durch diese auf vielfache Weise getragen wird, zeigt wohl auch die Anekdote, dass dem Mangel an Handtüchern für die KünstlerInnen durch die vereinten Waschkünste der Nachbarschaft, die 1500 Handtücher über Nacht gewaschen habe, Abhilfe geschaffen wurde.
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